Bundespräsident Steinmeier: „Putin missbraucht die Geschichte als Waffe“
Unter dem Motto „Fragile Fakten“ treffen sich in Leipzig Historikerinnen und Historiker. Der Deutsche Historikertag findet dabei nach Ansicht des Bundespräsidenten in einer Zeit statt, in der Geschichte eine besondere Rolle spielen muss.
Leipzig - Wissen über Geschichte ist nach Ansicht des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in einer Demokratie unverzichtbar. „Nur mit dem Wissen um die Vergangenheit können wir die Ereignisse der Gegenwart einordnen, können wir uns eine Meinung bilden, können wir längere Linien, aber eben auch Brüche erkennen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während der Eröffnung. Für Deutsche sei der Blick zurück sowie die Lehren aus der Vergangenheit „ein konstitutiver Teil unserer Identität“. Der Historikertag steht in diesem Jahr unter dem Motto „Fragile Fakten“.
In seiner Rede nannte Steinmeier die aktuelle Situation eine „geschichtsmächtige“ Zeit und verwies auch auf die Lage in der Ukraine und Russland: „Wir sehen, wie Putin Geschichte umdeutet und schon jetzt die Geschichtsbücher umschreiben lässt. Wir sehen, wie Lüge als Wahrheit ausgegeben wird und natürlich in Russland nicht ausgesprochen werden darf, was ein Faktum ist: der Krieg gegen die Ukraine. Putin missbraucht Geschichte als Waffe.“
Zurzeit erlebe man Ungewissheit und Verunsicherung, so der 67-Jährige. In Deutschland seien die Jahre nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung - „eine Zeit im Rückenwind“ - vorbei, sagte der Bundespräsident. Es sei damit zu rechnen, dass Jahre mit Gegenwind auf Deutschland warteten. Heute gehe es um die Frage, „welches Land wir in Zukunft sein wollen.“
Auch müsse sich die Geschichtswissenschaft heute neu behaupten und verteidigen, so Steinmeier. „Wenn Vergangenheiten erfunden werden, dann ist Ihre Aufgabe, dann ist die Arbeit von Historikerinnen und Historikern umso wichtiger“, sagte der Bundespräsident vor den Historikerinnen und Historikern, die sich in der Leipziger Nikolaikirche versammelt hatten. Mit Sorge sehe Steinmeier, dass der Ton in vielen Debatten immer schärfer und unversöhnlich wird, Hass und Hetze zunehmen, die Bereitschaft zum Gespräch hingegen abnimmt.
Während des Deutschen Historikertages wollen Experten unter anderem über die Grenzen Künstlicher Intelligenz sowie die Folgen von Hate Speech diskutieren und den russischen Angriff auf die Ukraine in den Blick nehmen, sagte der Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Lutz Raphael, vor der Eröffnung der Veranstaltung im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Ein weiteres zu diskutierendes Thema seien Fake News. „Geschichtsklitterung - ganz einfache oder bis hin zur verschwörungstheoretischen Umdeutungen der Vergangenheit - sind immer auch ein Nährboden der Verunsicherung über historische Tatsachen“, sagte Raphael. Auf die in der Vergangenheit immer wiederkehrende politische Manipulation von Geschichte müsse das Fach mit kritischer Aufklärung antworten, so der Historiker.
Mit verschiedensten Veranstaltungen soll der Historikertag aktueller Forschung eine Schaubühne bieten, sagte Raphael. „Das ist wichtig, denn so kann sich das Fach alle zwei Jahre selbstkritisch prüfen - also: Wo stehen wir? Wo sind spannende Diskussionspunkte?“ Neben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden auch Lehrkräfte, Schülerinnen und Schülerinnen sowie andere Interessierte erwartet, um mit den Experten in die Geschichtswissenschaft abzutauchen.
Schirmherr der Veranstaltung ist Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Er betonte bei der Eröffnung: „Es ist wichtig, aus der Geschichte zu lernen und unser Wissen über die Vergangenheit für nachfolgende Generationen lebendig zu halten.“ Neben Steinmeier und Kretschmer war unter anderem auch der Oberbürgermeister Leipzigs, Burkhard Jung (SPD) gekommen.
Der Deutsche Historikertag findet in diesem Jahr zum 54. Mal statt. Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands erwartet zwischen dem 19. und 22. September eigenen Angaben zufolge rund 2000 Besucherinnen und Besucher sowie über 480 Referentinnen und Referenten und über 70 Sektionen. Damit ist er einer der größten geisteswissenschaftlichen Fachkongresse in Europa.