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«Staranwalt» «Staranwalt»: Rastloser Jurist denkt noch nicht ans Aufhören

09.09.2003, 08:22
Das Archivbild vom Juli 1997 zeigt den Münchner Rechtsanwalt Rolf Bossi. Am Mittwoch (10.09.2003) wird Bossi, der 15 Jahre nach Erreichen des Rentenalters immer noch aktiv als Anwalt tätig ist, 80 Jahre alt. (Foto: dpa)
Das Archivbild vom Juli 1997 zeigt den Münchner Rechtsanwalt Rolf Bossi. Am Mittwoch (10.09.2003) wird Bossi, der 15 Jahre nach Erreichen des Rentenalters immer noch aktiv als Anwalt tätig ist, 80 Jahre alt. (Foto: dpa) dpa

München/dpa. - Seit 15 Jahren hat er das Rentenalter erreicht, aber ans Aufhören denkt er nicht. Noch immer jagt der Münchner Staranwalt Rolf Bossi von Termin zu Termin und legt dabei zehntausende Kilometer pro Jahr zurück. Am Mittwoch (10. September) feiert Bossi seinen 80. Geburtstag. Den Tag wird er in seinem Urlaubsdomizil in einer Blockhütte im Bayerischen Wald verbringen - bei der Arbeit: Noch in diesem Jahr wolle er sein Buch mit dem Titel «Rettet unsere Kinder» herausbringen, sagte er.

In dem Buch fordert der Anwalt, der erst vor einem Jahr seine zweite Frau Ingrid geheiratet hat, die Verankerung eines Grundrechts der Kinder auf optimale Förderung und Berufsausbildung im Grundgesetz. Um seine Forderung zu untermauern, zieht der Anwalt die Amokläufe von Schülern in Erfurt und Bad Reichenhall und sowie den Fall des seinerzeit von ihm vertretenen Metzgergesellen Jürgen Bartsch heran. Bartsch hatte in den 60er Jahren vier Jungen in einem Luftschutzstollen ermordet und ihre Leichen anschließend bei Kerzenschein zerstückelt.

«Es geht darum, dass wir nicht nur das Äußere, die Tat sehen, sondern auch, was im Leben eines solchen Menschen schief gelaufen ist, so dass es dazu kommen konnte», sagt Bossi, dessen Tochter Marion lange Zeit drogenabhängig war. «Daraus ergibt sich die Frage: Was können wir tun, um diesen Menschen zu ändern, was kann er tun, um seinem Leben eine positive Wendung zu geben?»

Diese Haltung Bossis spiegelte sich immer wieder in seiner Verteidigung. Schon vor zehn Jahren sagte er in einem Interview: «Mit dem Strafgesetzbuch gesellschaftlichen Fehlentwicklungen begegnen zu wollen, ist (...) der falsche Weg.» Immer wieder versucht er, den gesamtgesellschaftlichen Hintergrund von Straftaten in die Verfahren einzubeziehen, immer wieder zielt seine Argumentation darauf, Verbrechen seien vielfach das Resultat einer bis in die frühe Kindheit reichenden Fehlentwicklung und Symptom einer seelischen Krankheit.

Mehr als einmal errang er damit in schier aussichtslosen Fällen Erfolge. Etwa konnte er 1958 im Fall des jugendlichen Mehrfach- Mörders Peter Hößl durch Recherchen und Gutachten nachweisen, dass sein Mandant hochgradig psychisch gestört war. Hößl wurde zu einer damals relativ geringen Haftstrafe von 15 Jahren und Einweisung in die Psychiatrie verurteilt - ein großer juristischer Erfolg zu einer Zeit, als das Strafrecht noch nicht auf Resozialisierung, sondern rein auf Verwahrung und Abschreckung ausgerichtet war.

Für den Frauenmörder Fritz Honka, der jahrelang die zerstückelten Leichen seiner vier Opfer in der Wohnung aufbewahrt hatte, erreichte Bossi mit Hilfe einer Gutachterin eine Haftstrafe von 16 Jahren. Der US-Oberstleutnant Gerald Werner, der 1964 seine schwangere Freundin umgebracht und zerstückelt hatte, musste nicht ins Gefängnis, sondern wurde in die Psychiatrie eingewiesen und später in die USA abgeschoben.

Zu Bossis Fällen zählten aber nicht nur bestialische Gewalttaten. In Teilen liest sich die Liste seiner Mandanten wie die Gästeliste zu einer Promi-Party. Unter anderem vertrat er Vico Torriani in einem Vaterschaftsprozess, Romy Schneider bei ihrer Scheidung von Harry Meyen und Ingrid van Bergen, die 1977 ihren Geliebten erschossen hatte.

Seine kämpferische Art und seine unkonventionelle Argumentation brachten dem Münchner Anwalt nicht nur Lob ein. Heftige Kritik erntete er 1989 etwa bei der Verteidigung eines Geiselnehmers des Gladbecker Geiseldramas, als er den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Schnoor (SPD) für die Eskalation der Vorgänge verantwortlich machte. Und der Prozess um den Mord an dem Dresdner Neonaziführer Rainer Sonntag 1992 hatte für Bossi selbst ein juristisches Nachspiel. Für seinen Vorwurf an den Staatsanwalt, dieser habe eine «nationalsozialistische Weltanschauung», wurde er zunächst wegen Beleidigung zu 15 000 Mark Geldstrafe verurteilt, dann aber freigesprochen.