Parteivorsitz Stahr soll übergangsweise Grünen-Chefin werden
Neue Parteivorsitzende dringend gesucht: Nach einem Debakel auf dem Parteitag brauchten Berlins Grüne rasch eine Lösung für eine schwierige Personalie. Die scheint nun gefunden.
Berlin - Die Bundestagsabgeordnete Nina Stahr soll übergangsweise Landesvorsitzende der Berliner Grünen werden und die in Flügelkämpfe verstrickte Partei in ruhigeres Fahrwasser führen. Das teilte die Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch am Dienstag für den sogenannten Realo-Flügel der Partei mit.
Die 41-jährige Stahr war von 2016 bis 2021 schon einmal Vorsitzende der Hauptstadt-Grünen, ehe sie in den Bundestag wechselte. Nun tritt sie bei einem Parteitag am Mittwoch erneut für die Doppelspitze an. Weiterer Kandidat ist Amtsinhaber Philmon Ghirmai, der zu den Parteilinken gehört - genannt Fundis.
Ihren Parteitag am Samstag hatten die Grünen abgebrochen und auf Mittwoch verschoben, nachdem bei den Wahlen zum Landesvorsitz die einzige Realo-Kandidatin Tanja Prinz durchgefallen war. Prinz hatte sich vor einiger Zeit in einer internen Abstimmung des Realo-Flügels knapp gegen die bisherige Co-Landeschefin Susanne Mertens durchgesetzt, die nicht noch einmal antrat. Auf dem Parteitag verfehlte sie jedoch in mehreren Wahlgängen klar die Mehrheit - vor allem, weil der Fundi-Flügel sie ablehnte.
Dem für Prinz erniedrigenden Prozedere war eine Art öffentliche Schlammschlacht um ihre Kandidatur vorausgegangen. Nach dem Debakel gab es in den vergangenen Tagen hinter den Kulissen viele Gespräche, wie es weitergehen soll. Eine sogenannte Findungskommission der Realos fand schließlich die Übergangslösung Stahr.
Stahr bleibt im Bundestag
Die Bundestagsabgeordnete soll das Parteiamt maximal bis zur Landesdelegiertenkonferenz im Mai ausüben, wie es hieß. Ihr Bundestagsmandat behält sie. Das ist ungewöhnlich, denn üblicherweise gilt bei den Grünen eine Trennung zwischen Parteiamt und Mandat.
„Wir haben schon genug Krisen in der Welt, in Deutschland und Berlin, da braucht es nicht auch noch Bündnisgrüne in der Krise“, erklärte Stahr. „In Berlin waren wir immer dann stark, wenn wir an einem Strang gezogen haben. Ich bin bereit, meinen Teil zu einer Lösung beizutragen und Verantwortung zu übernehmen, wenn die Partei mir dafür ihr Vertrauen schenkt.“
Die Balance zwischen den beiden Flügeln, die sich auch in der Besetzung der Spitzenposten niederschlägt, spielt innerhalb der Berliner Grünen eine große Rolle. Während der Zeit der Regierungsbeteiligung 2016 bis 2023 traten die gegensätzlichen Vorstellungen über Programmatik und Ausrichtung, die die Grünen schon früher heftig beschäftigten, in den Hintergrund. Nun sind sie in der Opposition wieder sichtbar.
„Geschlossenheit war in den letzten Jahren unsere Stärke, und dazu müssen wir so rasch wie möglich zurückfinden“, erklärte Jarasch zur Personalie Stahr. Die Bundestagsabgeordnete sei deshalb ein gutes Angebot für die ganze Partei. „Es braucht eine Person mit Ruhe, Erfahrung und Ansehen in der Breite der Partei. Nina Stahr vereint all diese Punkte.“
Unterstützung von Parteilinkem Werner Graf
Co-Fraktionschef Werner Graf, der dem linken Flügel angehört und einst gemeinsam mit Stahr Parteichef war, stellte sich hinter den Personalvorschlag: „Nina ist die Landesvorsitzende, die wir jetzt brauchen. Deshalb werbe ich auch in der Partei dafür, dass wir Nina gemeinsam tragen.“
Graf weiter: „Als großer Anhänger der Trennung von Amt und Mandat sage ich aber auch deutlich, diese ist gerade in Zeiten wie diesen nur realitätstauglich, wenn wir einen Übergang ermöglichen. Das solch ein spontaner Dienst an der Partei auch eines Übergangs bedarf, ist selbstverständlich.“
Auch die frühere Fraktionsvorsitzende Silke Gebel vom größten Grünen- Kreisverband Mitte sieht Stahr, die aus Steglitz-Zehlendorf kommt, als Frau der Stunde. „Wir brauchen einen handlungsfähigen Landesvorstand, um Konflikte zu befrieden“, sagte die Anhängerin des Realo-Flügels. Stahr habe als Landesvorsitzende mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie die Partei mit allen Gruppen und Strömungen vereinen könne. „Das ist jetzt gefragt“, sagte Gebel.