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Spitzhörnchen Spitzhörnchen: Biertrinken - ohne betrunken zu sein

28.07.2008, 17:46
Ein Federschwanz-Spitzhörnchen. Das im Regenwald Malaysias lebende Spitzhörnchen trinkt regelmäßig Palmbier - und trotzdem ist dieser nachtaktive Kletterspezialist niemals betrunken. (Foto: dpa)
Ein Federschwanz-Spitzhörnchen. Das im Regenwald Malaysias lebende Spitzhörnchen trinkt regelmäßig Palmbier - und trotzdem ist dieser nachtaktive Kletterspezialist niemals betrunken. (Foto: dpa) Uni bayreuth

Bayreuth/Washington/dpa. - Ein Spitzhörnchen im RegenwaldMalaysias trinkt regelmäßig Palmbier - und ist trotzdem niemalsbetrunken. Der kleine nachtaktive Kletterspezialist könne Alkohol offensichtlich besser verarbeiten als der Mensch, berichtete derBayreuther Tierphysiologe Frank Wiens am Montag. Die unerwarteteBeobachtung werfe auch ein neues Licht auf die Entwicklung desAlkoholkonsums unter den Vorfahren der Primaten - und damit auch desMenschen. Die Entdeckung des internationalen Teams um Wiens sind inden «Proceedings» der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS; Bd. 105,S. 10426) veröffentlicht.

Wiens, der als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am LehrstuhlTierphysiologie der Universität Bayreuth arbeitet, hatte gemeinsammit der Bayreuther Wissenschaftlerin Annette Zitzmann undinternationalen Kollegen über viele Jahre das Ernährungsverhalten derFederschwanz-Spitzhörnchen (Ptilocercus lowii) untersucht und dabeidie erstaunliche Entdeckung gemacht. Das in Südthailand und Malaysiabeheimatete Tier hat etwa die doppelte Größe einer Maus und ist mitden Primaten verwandt.

Wiens und Zitzmann hatten bei der Beobachtung des Spitzhörnchensfestgestellt, dass der zu Alkohol fermentierte Blütennektar derBertam-Palme Hauptnahrungsbestandteil des nachtaktiven Säugers ist.Der Saft der Palme werde dabei in den Blütenknospen wie in einerGärkammer in Alkohol verwandelt. Der zu einer Art Palmbier vergoreneNektar enthalte bis zu 3,8 Prozent Alkohol, berichtete Wiens.

Videoaufnahmen hätten ergeben, dass jedes Tier mehr als zweiStunden pro Nacht den alkoholhaltigen Nektar trinkt. «Das war mehrZeit als für irgendeine andere Nahrung aufgewendet wurde», sagteWiens. «Gemessen an dem aufgenommenen Alkohol müssten sie eigentlichjede dritte Nacht betrunken sein», betonte der Wissenschaftler. «Siesind es aber nicht.» Alle beobachteten Federschwanzhörnchen zeigtenauch nach dem nächtlichen «Trinkgelage» keinerlei Anzeichen vonTrunkenheit.

Den hohen und dennoch folgenlosen Alkoholkonsum der Tierebestätigte auch eine Analyse von Haaren der Federschwanzhörnchen. Beiallen untersuchten Haaren seien extrem hohe Werte sogenannterBiomarker für Alkohol festgestellt worden. Anhand dieser Biomarkerlässt sich ermitteln, ob jemand über einen langen Zeitraum hinweggroße Mengen Alkohol zu sich genommen hat.

Wiens vermutet, dass der Stoffwechsel der untersuchten Tiere inBezug auf Alkohol weitaus effektiver ist als der von Menschen. «DasFederschwanzhörnchen kann seinen Organismus nach dem Konsum vonAlkohol offenbar schneller entgiften, als dies bei Menschen der Fallist», unterstrich der Wissenschaftler. Ähnlich Beobachtungen habesein Team auch bei fünf anderen, im malaysischen Regenwaldverbreiteten Arten gemacht.

Nach Wiens Einschätzung müssen möglicherweise Theorien zumAlkoholkonsum verändert werden. Bislang sei man davon ausgegangen,dass die Menschheit und ihre Ahnen vor der Erfindung des Bieres voretwa 9000 Jahren entweder gar nicht an Alkohol gewöhnt waren oder nuran sehr geringe Dosen in überreifen Früchten. Die Untersuchung zeigehingegen, dass ein regelmäßiger hoher Alkoholkonsum schon sehr frühin der Evolution der Primaten vorkam.

(Fachartikelnummer: DOI 10.1073/pnas.0801628105)