Spezialität Spezialität: Begehrte Sonderlinge
Halle (Saale)/MZ. - In Deutschland sind die raren Feinschmecker-Happen nur Kennern ein Begriff. Der Preis von 20 Euro pro 100 Gramm aufwärts tut sein Übriges, sie nicht überall zu verbreiten. Um die Weihnachtszeit sind sie ein traditionelles Festessen gut betuchter Spanier. Dann allerdings lassen sie sich durch die Stürme besonders schwer ernten, wodurch die Preise astronomische Höhen erreichen können.
Zoologisch gesehen ist das merkwürdige Tier gar keine Muschel, sondern ein Krebs. Er hat den wissenschaftlichen Namen Pollicipes pollicipes und gehört zur Klasse der Rankenfußkrebse. Die erwachsenen Percebes besiedeln in der Gezeitenzone die Felsen in dicken Büscheln. Sie bestehen aus dem oberen Teil mit einer Reihe weiß-grauer Platten. Diese Klauen enthalten alle wichtigen Organe. Was wie "Rankenfüße" aussieht, sind gar keine Füße, sondern Mundwerkzeuge, welche Nahrung aufnehmen und in den Mund führen. Der untere Teil der Percebes, auch Fuß genannt, ist ein dickhäutiger, unansehnlicher Stamm. Das innen liegende Fleisch besteht aus Muskelsträngen, mit dem sich die Tiere am Felsen festhalten. Dieses Krebsfleisch ist es, das von zahlungskräftigen Liebhaben gegessen wird.
Bei den Percebes handelt es sich um Zwitter, sie sind aber nicht fähig, sich selbst zu befruchten. Als Besonderheit besitzen sie kein Herz. Aus den Eiern schlüpfen frei schwimmende, sogenannte Naupliuslarven, die sich mehrmals häuten und sich dann zu Cyprislarven entwickeln. Diese saugen sich an einer geeigneten Stelle mit ihren Antennen fest. Gleichzeitig sondert eine paarige Zementdrüse kalkhaltige Kittsubstanz ab, und die Tiere kleben von nun an dauerhaft am Felsen fest. Damit einher geht ein Wandel der Gestalt. Es werden Kalkplatten gebildet, die dem Krebs die typische Schnabelform verleihen. Aufgrund dieser Form kam das deutsche Wort "Entenmuschel" zustande.
Im Mittelalter dachte man, die Percebes wären die Jungtiere der Ringelgänse (Branta bernicla). Man kannte den Vogelzug, also auch das Nistgebiet der Vögel am Polarkreis nicht. Allerdings fand man die Krebse manchmal auf Treibholz, was die Theorie des Gänsenachwuchses unterstützte. Der walisische Adlige Giraldus Cambrensis (auch Gerald von Wales, 1146-1223) behauptete sogar, mit eigenen Augen die Entwicklung der Entenmuscheln zu Ringelgänsen gesehen zu haben.
Das kam der Geistlichkeit gerade recht, sie leiteten einen "fischähnlichen Charakter" ab, da die Tiere ja mehr Zeit ihres Lebens auf dem Meere zubrächten, als an Land. Somit schlossen sie, könnte man als "Fischgerichte" während der Fastenzeit, ohne zu sündigen, durchaus eine gebratene Gans essen. Selbst Päpsten gelang es nicht, das Essen der Ringelgänse während des Fastenmonats vollständig zu unterbinden.
Das Einsammeln der Muscheln ist nur bei Vollmond und ruhiger See bei Ebbe relativ ungefährlich. Die "Perceberos" - so heißen die Sammler - arbeiten immer im Tandem. Einer steht auf den Felsen und sichert das Seil, sein Partner sticht mit der Ferrara, einem langen eisernen Spachtel, die Entenmuscheln vom felsigen Untergrund ab. Wer aber wirklich Geld verdienen will, geht nicht nur an den relativ ungefährlichen Tagen zum Fang - und das kann zum Verhängnis führen. An der Küste Galiciens erinnern Holzkreuze daran.
Die Bestände drohten in den 80er Jahren zu kollabieren. Deshalb erließ die Cofradía, die Fischergenossenschaft, strenge Regeln. Es gibt Schonzeiten und Phasen, in denen Percebes geerntet werden können. Nur an etwa 140 Tagen im Jahr, so die Fangbestimmung, dürfen die Fischer offiziell in den Atlantik zum Ernten. Mindestens fünf Zentimeter Länge und zweieinhalb Zentimeter im Durchmesser sind für ein erntereifes Tier vorgeschrieben. Auch die maximale Fangmenge (acht Kilo pro Tag) und das Fanggebiet grenzt man ab.
Genießer unterscheiden zwei Typen. Die Sonnentiere (Percebes "del sol") haben einen kurzen dicken Fuß und rote Klauen. Sie sind bei Ebbe der Sonne ausgesetzt, daher ihr köstlicher Geschmack. Etwas weniger schätzt man die "Aguarones" mit helleren Klauen, die unter den Felsen im Schatten aufwachsen.
Noch auf dem Teller bereiten die Percebes Schwierigkeiten. Da eigentlich nur der Muskel im Stiel die Delikatesse ist, muss man diesen festhalten und den Schnabel drehen. Wer Glück hat, bekommt den Strang problemlos aus der lederartigen Außenhaut. Meist jedoch spritzen dabei rote Tröpfchen umher und führen zu hässlichen Flecken auf Tischtuch und Kleidung.
Das Kochen ist übrigens unspektakulär. Man erhitzt Meerwasser, dem bei Bedarf noch etwas Salz ohne weitere Gewürze zugesetzt wird, und gibt die Percebes hinein, wenn es zu sprudeln beginnt. Dann nur zehn Minuten simmern lassen, nicht mehr kochen, und abgießen. Dazu gibt es lediglich grünen Salat und einen leichten Weißwein aus Galicien. Die Delikatessen schmecken nach Krebs und Meer mit viel Jod und sie sind nach wenigen Bissen tatsächlich ein exzellenter Gaumenkitzel.
Jährlich im Juni gibt es das große Entenmuschelfest in Galicien, die "La fiesta del percebe de Aguiño" in La Coruña. Dem Vernehmen nach wurden dieses Jahr am 25. Juli auf diesem Fest über 1 300 Kilo Percebes verzehrt. In Deutschland bieten gute Feinkostgeschäfte 150 Gramm-Konserven immerhin schon für knapp 50 Euro an. So gesehen lohnt es sich, im nächsten Spanienurlaub nach Entenmuscheln zu schauen oder gleich zum großen Fest im Juli zu reisen.