1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Filmfestspiele Venedig: Schweres Thema, leichter Film: Almodóvar gewinnt in Venedig

Filmfestspiele Venedig Schweres Thema, leichter Film: Almodóvar gewinnt in Venedig

Julianne Moore und Tilda Swinton sind die Stars des Gewinnerfilms „The Room Next Door“. Neben Pedro Almodóvar machen in Venedig weitere Preisträger schwere Themen auf persönlicher Ebene erlebbar.

Von Lisa Forster, dpa 08.09.2024, 06:58
Pedro Almodóvar bricht in seinen Filmen oft Tabus.
Pedro Almodóvar bricht in seinen Filmen oft Tabus. Vianney Le Caer/Invision/AP/dpa

 

 

Venedig (dpa) - Es gehört einiges an Kunst dazu, so leichtfüßig vom Tod zu erzählen wie Pedro Almodóvar. Mit einem ebenso mutigen wie poetischen Plädoyer für Sterbehilfe hat der spanische Star-Regisseur den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen. Sein Drama „The Room Next Door“ erzählt von einer todkranken Frau, die ihrem Leben selbst ein Ende setzen will - und dabei Unterstützung von ihrer Freundin bekommt.

Tilda Swinton und Julianne Moore spielen die Hauptrollen - und seien großartig darin, urteilt Jury-Präsidentin Isabelle Huppert. Über Almodóvar sagt sie: „Er bringt uns zum Nachdenken darüber, was es bedeutet, am Leben zu sein und was es bedeutet, sein Leben zu beenden.“ 

Nicht nur „The Room Next Door“, auch die weiteren Gewinnerfilme der diesjährigen Filmfestspiele machen schwere Themen auf persönlicher Ebene erlebbar. „Was viele Filme vereint, die wir mochten, war, dass große menschliche, soziale und auch politische Fragen anhand von Einzelschicksalen oder von Familienkonstellationen erzählt wurden“, sagte Regisseurin und Jury-Mitglied Julia von Heinz der Deutschen Presse-Agentur.

Almodóvars Gewinnerfilm

Wie Zuschauer es von den Filmen Almodóvars gewohnt sind, hat „The Room Next Door“ außerdem eine besondere Optik – mit leuchtenden Farben und Bildkompositionen, die wie Gemälde gerahmt sind. Das Drama ist zudem leichtfüßig, hat einige lustige Momente. 

„Der Film ist seltsamerweise nie wirklich sentimental“, beschrieb es Huppert. „Der Humor zog sich durch“, sagte von Heinz. Almodóvar erzählt von weiblicher Freundschaft - ein Thema, das in Filmen nicht besonders häufig behandelt wird, wie Julianne Moore in Venedig feststellte.

Weil sie unheilbar an Krebs erkrankt ist, hat Martha (Swinton) sich im Darknet eine Pille besorgt, die sie umbringen wird. Sie blickt ihrem Tod recht aufgeräumt ins Auge, will aber in diesem Moment nicht allein sein. Daher bittet sie Ingrid (Moore), sie zum Sterben in ein gemietetes Haus auf dem Land zu begleiten – und im Zimmer nebenan zu sein, im „room next door“, wenn sie die Pille nimmt.

In der aparten Luxusvilla angekommen, verbringen Martha und Ingrid ihre Tage damit, über Bücher und Beziehungen zu sprechen, Filme zu schauen - oder es sich auf Sonnenliegen bequem zu machen, die die beiden Frauen aussehen lassen wie ein Gemälde Edward Hoppers. Von ihm hängt ein Kunstdruck im Mietshaus. 

Almodóvars Film bleibt vor allem wegen dieser stilsicheren Inszenierung in Erinnerung - und weil er sich auf zwei grandios harmonierende Schauspielerinnen verlässt. Die politische Botschaft ist dem 74-Jährigen aber wichtig. „Der Mensch muss die Freiheit haben, zu leben und zu sterben“, sagt er bei der Preisverleihung.

Filme darüber, was der Krieg mit den Menschen macht

Zu den weiteren Gewinnern zählt die italienische Regisseurin Maura Delpero, die für ihren Film „Vermiglio“ den Großen Preis der Jury erhielt. Das Historiendrama erzählt vom Leben einer Familie in einem italienischen Bergdorf während des Zweiten Weltkriegs. 

Der Film fokussiert sich vor allem auf die weiblichen Figuren und ihr vom Katholizismus und patriarchalen Strukturen geprägtes Leben. Sie dürfen nicht selbst über ihr Leben bestimmen, werden vom strengen Familienvater und gesellschaftlichen Konventionen in ihre Rollen gepresst.

Den Silbernen Löwen für die beste Regie gewann der US-Amerikaner Brady Corbet für „The Brutalist“. Das Historiendrama erzählt von einem jüdischen Architekten, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA ein neues Leben beginnen will. Hauptdarsteller des dreieinhalbstündigen Epos ist Adrien Brody. „Der Film handelt von einer Figur, die vor dem Faschismus flieht und dann auf den Kapitalismus trifft“, beschrieb Corbet das Werk.

Einen Spezialpreis der Jury erhielt die georgische Filmemacherin Dea Kulumbegashvili für „April“. Das Drama handelt von einer Frauenärztin, die im ländlichen Georgien illegal Schwangerschaftsabbrüche durchführt. 

Nicole Kidman wegen Trauerfalls abwesend

Trotz dieser schweren Themen ist keiner der ausgezeichneten Filme belehrend. Stattdessen zeichnen sich alle durch eine besondere Bildgewalt aus, sie bringen dem Publikum drängende Themen auf kunstfertige Weise nahe. „Wir brauchen das Kino, um große menschliche und soziale Fragen zu adressieren“, beschreibt Julia von Heinz ihr Resümee nach elf Tagen Festival.

Und manchmal dringt wiederum das echte Leben ins Kino ein. Zu den weiteren Preisträgern zählen Nicole Kidman und Vincent Lindon, die die Schauspiel-Auszeichnungen erhielten - doch anders als geplant konnte Kidman nicht zur Gala erscheinen. Kurz, nachdem sie in Venedig angekommen war, habe Kidman die Nachricht erhalten, dass ihre Mutter Janelle Ann gestorben ist, las die Regisseurin Halina Reijn im Namen der Preisträgerin auf der Bühne vor. „Ich stehe unter Schock und muss zu meiner Familie, aber dieser Preis ist für sie.“