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Sarah Wiener Sarah Wiener: Der französischen Regionalküche auf der Spur

Von Stefan Waschatz 29.11.2006, 10:39
Die Fernsehköchin Sarah Wiener (l) isst gemeinsam mit ihrer Patin Paulette Gelin «Boeuf Bourguignon» (Rindfleisch burgundisch) (Foto vom 22.09.2006). (Foto: dpa)
Die Fernsehköchin Sarah Wiener (l) isst gemeinsam mit ihrer Patin Paulette Gelin «Boeuf Bourguignon» (Rindfleisch burgundisch) (Foto vom 22.09.2006). (Foto: dpa) dpa

Lyon/dpa. - Gute Köche kennen unzählige Fleischgerichte. Dievielen Möglichkeiten, Tiere zu töten, verdrängen dagegen viele.Dieser Entfremdung der Menschen von der Herkunft ihres Essens willdie Österreicherin Sarah Wiener entgegenwirken. Die Fernsehköchin hatmit einem Filmteam Frankreich bereist und dabei nicht nur dieregionalen Gerichte kennen gelernt.

Wiener spürt dem Essen nach, reist dorthin, wo die Zutatenentstehen. Sie schaut in die Küchen, auf die Märkte, auf die Felder.Sie imkert Honig, liest Wein und schlachtet Tiere. Sie lernt dieRegionen und ihre Menschen kennen. Der deutsch-französischeKultursender Arte hat Sarah Wiener auf ihrer «kulinarischen Tour deFrance» begleitet und lädt vom 8. Januar an dann auch die Zuschauerdazu ein. Wiener ist unter anderem durch die Kochshows von JohannesB. Kerner im ZDF bekannt geworden. 2004 war sie in der ARD-Geschichts-Dokumentation «Abenteuer 1900 - Leben im Gutshaus» zusehen.

Es riecht nach rohem Fleisch. Bei Temperaturen um fünf Grad wirddie Atemluft zu kleinen Wölkchen. Das Messer fährt mit schmatzendenGeräuschen durch weiß glänzenden Speck. Die elektrische Säge raspeltlaut durch das rote Fleisch und zertrennt die Knochen. Wie eineZentrifuge schleudert das Sägeblatt kleine klebrige Fleischstücke inalle Richtungen, es bleibt ein Geruch von verbrannten Knochen. DerBlutfleck auf Wieners weißem Kittel wird stetig größer.

Die 44-Jährige hat sich bereits ein Stück Fleisch ausgesucht. Miteiner Handsäge zerteilt sie jetzt die riesigen Fleischbatzen, diespäter einmal appetitlich als «Boeuf Bourguignon» (Rindfleischburgundisch) auf einem Teller serviert werden sollen. Die schlankeFrau ist umgeben von rohem Fleisch - aufgespießt auf silbernen Haken,die auf Metallschienen hin und her gerollt werden können.

Wiener, die in Berlin drei Restaurants betreibt, erhält währendder Dreharbeiten für sie neue Einblicke in die Produktion vonNahrungsmitteln. «Du hast ja manchmal so eine verschrobeneKitschvorstellung von den Dingen», sagt sie. Und hin und wieder seidie Realität sogar noch schöner als die Fantasie, oft sei dieWahrheit aber ernüchternd. So lernt sie in Frankreich unter anderem,dass Perlhühner nachts gefangen werden. Im dunklen Stall fängt sieein Huhn, tötet es, rupft es und nimmt das Tier aus.

Sie schaut außerdem zu, wie ein Kaninchen getötet wird. Mit einemSchlag ins Genick. «Das fand ich echt hart, dieses armes Kaninchen»,sagt Wiener. Aber: «In dem Moment, in dem es tot war, habe ich esausgenommen und das Fell abgezogen. Ich habe mir gedacht: Du willstdieses Kaninchen morgen machen, also mach' Dir gefälligst auch dieHände dreckig.»

Erlebnisse wie diese dürften den meisten Verbrauchern fremd sein.Fleisch wird in den Supermärkten als eine Ware wie jede anderegehandelt. Mehr als 40 Prozent des Fleisches wird in Deutschlandabgepackt verkauft. Der Anteil der Discounter ist nach Informationender Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) in den vergangenenJahren gestiegen und lag im ersten Halbjahr 2006 bei 20 Prozent. Mehrals 60 Kilogramm Fleisch essen die Deutschen durchschnittlich proJahr - eine riesige Nachfrage, die größtenteils durch eine straffdurchorganisierte industrielle Produktion befriedigt wird. DieTatsache, dass für die Fleischgerichte auf ihren Tellern Schweine,Rinder, Hühner sterben mussten, ist aus dem Bewusstsein vielerMenschen getilgt.

In der 20-teiligen Arte-Serie stellt sich Wiener dem Konflikt umdie Fleischproduktion. «Du kannst ein Tier aufziehen mit der größtenLiebe und Dir gleichzeitig die Lippen lecken wegen des leckerenFleischs, das es geben wird. Es ist ein Konflikt, der lässt sich fürmich nicht auflösen», sagt die Köchin und ist sich ziemlich sicher,dass den Zuschauern der Appetit deswegen nicht vergeht. «Es ist immernoch eine kulinarische Sendung.»

Die Frau mit dem langen dunklen Haar wirbt dafür, sich wieder mehrGedanken über das Essen zu machen, darauf zu achten, dassLebensmittel eine hohe Qualität haben. Zusatzstoffen hat sie denKampf angesagt. «Es kann doch nicht gesund sein, wenn manche SachenMonate lang haltbar sind», sagt sie. Beim Fleisch empfiehlt sie Bio-Produkte. Den Einwand, dass das teurer ist, lässt sie nicht gelten -dann müsse man eben seltener Fleisch essen oder an anderer Stellesparen.

Wiener dürfte den Zuspruch vieler Zuschauer erhalten. DieNachfrage nach Bio-Produkten nimmt stetig zu. Mit einem Umsatz vonknapp vier Milliarden Euro hatten Bioprodukte im vergangenen Jahreinen Anteil von drei Prozent am deutschen Lebensmittelmarkt.Experten rechnen mit weiterem Wachstum. Schon 2005 lag derUmsatzzuwachs bei elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Vielerorts protestieren Tierschützer gegen die teilweisemiserablen Lebensbedingungen von Schlachttieren. In Frankreich machtdas Engagement der Tierschützer auch vor der «Foie gras» nicht Halt.Das französische Parlament hat die berühmte Stopfleber davonunbeeindruckt Ende 2005 zum «nationalen und gastronomischenKulturerbe» erklärt. Tierschützer kritisieren, dass für die SpeiseGänse und Enten gewaltsam überfüttert würden.

Weniger brisant sind die Szenen der Arte-Serie, in denen Wienerhautnah die Mühen der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktionkennen lernt. Für manche Gerichte nimmt sie echte Strapazen auf sich.«Eine der anstrengendsten Folgen war, Honig zu imkern, und zwarBerghonig», lacht sie.

Einsatzort ist der Hof einer französischen Imkerin, mit insgesamt165 Bienenstöcken. Vier Mal im Jahr müssen diese umgesetzt werden.Dabei hilft Wiener. Bis zu 60 000 Bienen leben in einem Stock. Bevorihre Behausung bewegt werden kann, werden sie mit Rauch betäubt. Dasschützt vor Stichen, macht die Arbeit aber nicht leichter: Rund 65Kilo wiegt ein Bienenstock. In ihrem weißen Schutzanzug kommt dieKöchin mächtig ins Schwitzen: «Es war mörderheiß, es war irreschwer.» Zu den härteren Jobs gehören auch das Käsemachen sowie dieMiesmuschel-Ernte.

Es geht aber auch sehr idyllisch: Am Morgen scheint die Sonnezwischen den wenigen Wolkenlücken auf die Weinberge von Jean-ClaudeBerthillot im südlichen Burgund. Es ist angenehmes Wetter für dieWeinlese. Wiener lässt es ruhig angehen. Sie bückt sich seltener alsdie anderen Arbeiter. «Die machen so schnell wie möglich», sagt sie.Ihr gehe es um Sorgfalt, nur die besten Trauben wähle sie aus. «Ichkann gar nicht anders.» Mit der Gartenschere kneift sie die Reben ab,stupst anschließend mit der Scherenspitze die faulen Trauben vomStrunk. Im weißen Plastikeimer neben ihr liegen nur - wenige -makellos grüne Trauben.

Berthillot wurde vor rund fünfzehn Jahren vom Seemann zum Winzer.Ungefähr 50 000 Liter Wein jährlich geben Berthillots Rebeninzwischen her. Damals habe es eine Initiative gegeben, den Weinanbauwiederzubeleben, der im 16. und 17. Jahrhundert die Region geprägthabe. Im Charolais-Brionnais mit seinen Hügeln war lange Zeit dieRinderzucht das Maß aller Dinge. Noch immer grasen hier - knapp zweiAutostunden von Lyon - zahlreiche Rinder auf den grünen Wiesen. Aberdie Region öffnet sich, auch für den Tourismus.

Paul Gelin hat vor 30 Jahren angefangen, das Bauernhaus auf seinerFarm zu restaurieren und Gästezimmer einzurichten. «Anfangs wolltedavon hier keiner etwas wissen», sagt der 55-Jährige. Inzwischenverdient er das meiste Geld mit seinen Gästen, die in der Zeitzwischen April und Oktober kommen - vor allem zum Wandern. Imsüdlichen Burgund sind aber auch Hausbootfahrten etwa auf der Saônebeliebt.

Gelins Frau, Paulette, spielt eine von Wieners Paten. Sie kochtihr «Boeuf Bourguignon», lässt die Österreicherin probieren undbeantwortet alle Nachfragen der Fernsehköchin. Wieners Aufgabe: Siesoll die regionale Spezialität so gut wie möglich nachkochen. Wie injeder Folge kannte sie bis kurz vor der Abfahrt weder Aufgabe nochReiseziel.

Nicht nur die Gelins freuen sich über die Berichterstattung vonihrem Hof. Auch die Reporter der lokalen Zeitungen bewerten dieDreharbeiten als Chance für die Region. Mit zehn MillionenÜbernachtungen pro Jahr belegt das Department Saône-et-Loire imfranzösischen Tourismus-Vergleich den 37. Platz. Das sei schon ganzgut, schreibt «le journal». «Aber es kann noch vieles besser gemachtwerden.»

Den Stolz auf seine Region lässt sich auch der Rinderhändler Jean-Paul anmerken. Der 43-Jährige ist einer der Händler auf demCharolais-Rindermarkt in Saint-Christophe-en-Brionnais. Über dasPreisniveau, den Ablauf der Verhandlungen und Kriterien beim Viehkaufmöchte er nichts sagen. Nur so viel: «Wir kennen uns hier alle. ZumHändler wird man nicht. Man wird dazu geboren.» Er trägt die Uniformder Viehhändler: schwarzer Kittel, Holzstock, Gummistiefel.

Im Mund hat Jean-Paul fast ununterbrochen eine Zigarette. ZumZeitvertreib in den Verhandlungspausen. Zum Festhalten beimVerhandeln. Oder um zu zeigen, wie gelassen ihn auch das härtesteFeilschen lässt. Dann hängt der Stummel lässig aus seinem Mundwinkel.Am Ende des Markttages verkündet Jean-Paul mit mattem Lächeln: «Ichhabe alle meine Rinder verkauft.»

Auf dem Markt riecht es nach Kuhdung. Und nach beißendem Ammoniak.Der Urin der gestressten, panischen Rinder ist wie ein Hilferuf.«Panikpisse», nennt das Sarah Wiener. In schmalen Rinnen imBetonboden laufen die Exkremente ab. Die Rinder können sich nichtrühren, ohne an das nächste Tier zu stoßen. Die meisten Rinder habeneine weiße Haut, den Dreck verschmierten Tieren ist das hierallerdings kaum mehr anzusehen.

Glitschiger Sabber läuft aus vielen Mäulern, ängstlich schauen sieauf die vielen Menschen um sie herum. Rund ein Dutzend Tiere stehenjeweils zusammen, eingesperrt in Gatter aus mattem Metall. Über allemein Holzdach, nach den Seiten ist das Marktgelände offen.

Wiener ist hier, um ein Rind zu kaufen. Ein erster Schritt zum«Boeuf Bourguignon». Normalerweise verhandeln hier nur Männer. IhrenStock setzen sie ein, um die Rinder genauer zu begutachten. «Dabeischaut man vor allem aufs Hinterteil», sagt Wiener. Unvermitteltklatscht ein Händler seinen Stock auf einen dreckgrauen Kuhrücken. Esfolgt ein erschrecktes Muhen. Meistens versuchen die Rinder irgendwiedavonzukommen, doch andere Tierleiber und die Umzäunungen versperrenden Weg; die Kühe drehen und wenden sich - potenzielle Käufer könnensich so einen Rundum-Eindruck verschaffen.

Auch Wiener wählt ein Rind aus, allerdings ohne den üblichenStockeinsatz. Überhaupt lässt sie sich nicht beirren und weicht auchmal von den Rezepten ihrer Paten ab. Vorbehalte gegen diefranzösische Küche hat sie während der Dreharbeiten allerdingsabgelegt. «Zuerst habe ich gedacht: Mousse au chocolat, Crème caramelkenne ich. Drei-Sterne-Küche interessiert mich null. Ich warenttäuscht, dass es nach Frankreich gehen sollte», erzählt sie.

Doch die regionalen Köche hätten sie inzwischen überzeugt und fürihre Spezialitäten eingenommen. «In jedem Dorf hast du einenregionalen Metzger, einen Fischhändler, einen Bäcker, so etwasfindest Du bei uns nicht.» Daher sei auch eine Reise durchDeutschland - für eine zweite Staffel - vorerst nicht geplant. Injedem Fall würde die Komik fehlen, die entsteht, wenn Wiener mitihrem Französisch daneben liegt. Einen ihrer Paten wollte sie das Duanbieten, fragte stattdessen aber: «Kann ich Dich töten?» Bei einemanderen erkundigte sie sich höflich: «Sind Sie der Apfelbaum?»