Religion Religion: Jesu Wunden immer wieder neu
Hamburg/dpa. - Manchmal war es eklatanter Schwindel. Oft war es Zeugnis wahrer, inniger Identifikation mit dem Leiden des gekreuzigten Jesus. Auf etwa 350 wird die Zahl der Männer und Frauen geschätzt, die seit dem 13. Jahrhundert an ihrem Körper seine Wundmale trugen. Aktuell soll es weltweit etwa 25 Stigmatisierte geben. Unter den einer größeren Öffentlichkeit bekannten ist der jetzt 30 Jahre alte Kaplan Zlatko Sudac, in dem manche Gläubige in seiner kroatischen Heimat schon einen neuen Pater Pio sehen.
Dieser 1968 gestorbene Kapuzinermönch mit den Wundmalen an Brustseite und Ober- wie auch Unterseiten der Hände und Füße hatte jedes Jahr Hunderttausende Menschen zu seiner täglichen Frühmesse in die Klosterkirche des süditalienischen Bergstädtchens San Giovanni Rotondo strömen lassen. Eine Frau schrieb: «Endlich hält er nun seinen Gott, der Brot geworden ist, in der Hand. Dünne Blutfäden rinnen seine Finger entlang.»
Als erster eindeutig bezeugter Stigmatisierter gilt Franz von Assisi - wegen seines konsequent an der Botschaft Jesu orientierten Lebens eine der überzeugendsten Gestalten in der Geschichte des Christentums. «Seine Hände und Füße wiesen Löcher auf, wie wenn Nägel von oben nach unten hineingeschlagen worden wären, Narben, die aussahen wie schwarze Nägel, während seine Seite von einer Lanze zerstochen schien, und von dort oft das Blut herauslief», berichtete ein Mitbruder seiner Ordensgemeinschaft.
Über Zlatko Sudac' Stigmata schrieb die Kirchenzeitung «Glas Koncila» (Die Stimme des Konzils), dass Untersuchungen einer römischen Klinik mechanische Verletzungen oder krankhafte Gewebeveränderungen als Ursache ausgeschlossen hätten. Indessen scheint Sudac einer Empfehlung von Erzbischof Josip Bozanic, sich in der Zagreber Universitätsklinik untersuchen zu lassen, bisher nicht Folge geleistet zu haben, berichtete kürzlich die österreichische Zeitschrift «Kirche In» aus Zagreb.
In Deutschland erregte neuerdings der Bayer Johannes Hellmer Aufmerksamkeit, der in Pöcking am Starnberger See mit seiner Frau einen Devotionalien-Laden betreibt: er präsentierte in TV-Magazinen blutende Wunden an Händen, Füßen und Stirn. Eine Untersuchung an der Dermatologischen Klinik der Universität München soll er bislang abgelehnt haben. Für das Bischöfliche Ordinariat in München ist er ein «geschäftstüchtiger Mensch», der religiöse Motive lediglich vorschiebt, verzeichnet «Skeptiker. Zeitschrift für Wissenschaft und kritisches Denken» (Roßdorf) in einem Beitrag mit dem Titel «Wunderwunden?»
Als eklatantes Beispiel eines Stigmata-Schwindels erwähnt die Vierteljahrespublikation die Bolivianerin Katya Rivas. Diese machte unlängst in den USA mit einem Auftritt in der TV-Sendung «Signs from God» (Zeichen von Gott) Schlagzeilen. In einer folgenden Talkrunde konnte der Trickexperte Dr. Joe Nickell von der «Skeptiker»- Vereinigung CSICOP ohne große Probleme auf scheinbar wundersame Weise die gleichen Wunden mit einer Rasierklinge produzieren.
Die meisten Ärzte sprechen heute bei Stigmata von psychogenen, also vom seelischen Untergrund hervorgerufenen Zuständen. In «Skeptiker» heißt es allerdings auch: «Allen Hypothesen zum Trotz bleibt Stigmatisation nach wie vor ein komplexes Problem, das nicht bis in sämtliche Details ausgeforscht ist.» Weder unter Hypnose noch durch Autosuggestion sei es bisher gelungen, die mitunter tief greifenden Veränderungen des Gewebes und die starken Blutungen von stigmatischen «Wunderwunden» hervorzurufen, die - wie bei Pater Pio - nicht eitern und oft jeder Behandlung trotzen.
«Übernatürlich» scheinen Stigmata jedenfalls nicht zu sein. Das zeigt schon, dass bei ihnen die Vorstellungen der Betroffenen eine große Rolle spielen. Die Nagelwunden stimmen nämlich nicht mit der historischen Wirklichkeit überein, haben also zu den Wundmalen des Gekreuzigten allenfalls eine symbolische Beziehung. Es ist erwiesen, dass die Römer bei diesen Hinrichtungen die Nägel nicht durch die Handflächen trieben, sondern oberhalb, damit das Körpergewicht gehalten wird.
Dies ist eines der Indizien für die Authentizität des berühmten, in Turin aufbewahrten Grabtuchs, dass es diese Verfahrensweise bestätigt - entgegen praktisch allen künstlerischen Darstellungen der Kreuzigung Jesu. Die auf dem Tuch identifizierbare linke Hand zeigt, dass der Nagel durch die Handwurzel geschlagen wurde.