1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. «Reitender Urzwerg»: «Reitender Urzwerg»: Deutsche Forscher finden kleinstes Lebewesen

«Reitender Urzwerg» «Reitender Urzwerg»: Deutsche Forscher finden kleinstes Lebewesen

Von Thilo Resenhoeft 01.05.2002, 16:57
Der «reitende Urzwerg»
Der «reitende Urzwerg» Nature/Arbeitsgruppe Stetter

Regensburg/London/dpa. - Demnach handelt es sich bei dem nur 400 millionstel Millimeter«großen» Bakterium um den ersten Vertreter eines vollkommen neuenReiches urtümlicher Mikroben.

Der Winzling mit dem lateinischen Namen Nanoarchaeum equitans(etwa: «Urzwerg, der die Feuerkugel reitet») habe ein etwa 160 Malkleineres Volumen als das massenhaft im Darm des Menschen vorkommendeBakterium Escherichia coli und ist damit etwa so groß wie einPockenvirus, berichtet das Team. Sein Name deutet auf eine besondereLebensweise hin: Der kugelige Zwerg wächst nicht alleine, sondern«reitet» auf der Oberfläche einer zweiten Mikrobe namens Ignicoccus(«Feuerkugel»). «Nach den Gründen dafür suchen wir derzeit noch»,sagt Stetter. «Vielleicht produzieren die großen Kugeln irgendeineSubstanz, die die kleinen gut gebrauchen können.»

Mit rund 500 000 Gen-Bausteinen habe der Urzwerg zudem daskleinste Erbgut, das je bei einer lebenden Zelle gefunden wurde.Zurzeit arbeiten die beiden US-Firmen Celera Genomics und Diversa ander Entzifferung des Erbgutes. Von der genauen Analyse erwarten dieRegensburger Wissenschaftler wichtige Erkenntnisse über diegenetische Minimalausstattung von Lebewesen. Stetter will vor allemwissen: «Was ist essenziell für das Leben?» Er geht davon aus, dassNanoarchaeum höchstens 400 Gene besitzt.

Zwar sind viele Viren noch kleiner als der Urzwerg. Viren sind ausBiologensicht jedoch keine Lebewesen, weil sie sich nichtselbstständig vermehren können, sondern dabei auf lebende Zellenangewiesen sind. Ihnen fehlt damit ein Schlüsselmerkmal des Lebens.

Der Winzling stellt im Labor gehobene Ansprüche: Er wächst nur inkochendem Wasser, verträgt keinen Sauerstoff und benötigt Schwefelund vulkanische Gase. Solche Umstände decken sich vermutlich mit denGegebenheiten auf der Ur-Erde, als vor rund 3,8 Milliarden Jahren dasLeben entstand. «Damit könnte es sich bei Nanoarchaeum um eine Artlebendes Fossil aus den Anfängen des Lebens auf unserem Planetenhandeln», sagt der Professor.

Der winzige Organismus stammt aus einer Probe, die ein U-Boot aufdem so genannten «Kolbeinsey-Rücken» im Vulkangebiet im Atlantiknördlich von Island genommen hat. Dort rücken die europäischen undamerikanischen Kontinentalplatten auseinander, Lava quillt nach oben.In der Bruchzone entstehen dabei zahlreiche heiße Wasserströme.

Der «reitende Urzwerg» gehört zur Gruppe der so genanntenArchaebakterien. Sie wachsen heute noch in Umgebungen, wie es sie vormehreren Milliarden Jahren allerorten auf dem Planeten gab: invulkanisch aktiven Zonen, kochenden Geysiren, heißen Schwefelquellen,konzentrierten Salzlösungen oder ätzenden Säurepfützen.

Stetter und seine Kollegen billigen dem von ihnen entdecktenLebewesen eine besondere Stellung in der biologischen Systematik zu.Diese besteht aus drei großen Zweigen: erstens den Eukaryonten, dazuzählen alle höhere Organismen mit Zellkern, darunter der Mensch.Zweitens die Bakterien und drittens die urtümlichen Archaebakterien.Letztere wurden bislang in drei große Reiche unterteilt.«Nanoarchaeum equitans ist aber so vollkommen anders, dass wir es alsVertreter eines neuen, vierten Reiches innerhalb der Archaebakteriensehen», berichtet der Mikrobiologe.