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Regierungsviertel Regierungsviertel: Unterirdisch bis zum Reichstag

Von Ulrich Paul 27.01.2012, 20:35

Halle (Saale)/MZ. - Umzugskisten stehen an den Fenstern, daneben Grünpflanzen. Im Bürohaus des Deutschen Bundestags an der Wilhelmstraße 65 / Ecke Dorotheenstraße in Berlin-Mitte zieht langsam Leben ein. Das Gebäude, ein Plattenbau aus DDR-Zeiten, ist von 2008 bis Ende 2011 nach Plänen des Architekturbüros Lieb + Lieb von Grund auf saniert worden.

Es ist der jüngste Zuwachs im Parlaments- und Regierungsviertel der Hauptstadt, aber nicht der letzte. Weitere Häuser sind entweder in Bau oder bereits geplant.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Tack aus Hannover ist als eine der ersten in das neue Bürohaus an der Wilhelmstraße eingezogen. Sie sitzt im zweiten Obergeschoss. "Ich bin sehr glücklich", sagt sie. Früher hat sie im Erdgeschoss des benachbarten Jakob-Kaiser-Hauses gearbeitet. "Dunkel und laut" sei es dort gewesen. Jetzt sei alles viel heller.

Rund 41,5 Millionen Euro hat die Sanierung des Baus gekostet. Davon entfielen 7,5 Millionen Euro auf einen unterirdischen Tunnel. Er verbindet das neue Gebäude mit dem Jakob-Kaiser-Haus auf der anderen Straßenseite, dem größten Parlamentskomplex. Die neue Röhre hat dort Anschluss an das weit verzweigte Tunnelsystem des Parlamentsviertels, welches das Jakob-Kaiser-Haus, den Reichstag, das Paul-Löbe-Haus und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags unterirdisch verbindet.

Die Bundestagsabgeordneten und ihre Mitarbeiter gelangen durch die Tunnel trockenen Fußes von ihren Büros bis zum Reichstagsgebäude. Die Katakomben im Parlamentsviertel sind mehrere hundert Meter lang. Der Bund der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen stört sich allerdings an der Röhre unter der Wilhelmstraße. "Verschwendung pur", lautet sein Urteil angesichts der hohen Kosten.

"Ich wäre auch über die Straße gegangen", sagt die Abgeordnete Tack. Aber jetzt, wo der Tunnel da sei, nutze sie ihn auch. Sinnvoll sei immerhin, dass man nicht ständig mit einer Jacke rumlaufen müsse.

Der neue Tunnel unter der Wilhelmstraße ist an der Decke und an den Wänden mit gelben Lichtbändern ausgestattet. Sie gehören zu einer Kunstinstallation der Berlinerin Gunda Förster und sind Teil des Projekts für Kunst am Bau.

Wer den gelb beleuchteten Tunnel durchschritten hat, gelangt im Jakob-Kaiser-Haus zu einer weiteren Röhre mit großen Spiegeln an den Seitenwänden. Eine gute Gelegenheit für die Abgeordneten, auf dem Weg ins Plenum eine letzte Kleiderkontrolle vorzunehmen. Vorbei an der Druckerei der SPD-Fraktion führt der Weg an einigen Kunstwerken entlang bis zum Reichstagsgebäude.

Kurz vor dem neuen Plenarsaal erinnern ein paar Stühle aus dem alten Bonner Saal an jene Zeit, als die große Politik noch am Rhein gemacht wurde. Ein paar Meter weiter steht ein etwa sechs Meter langer und zwei Meter hoher gemauerter Tunnel in der neuen Röhre. Es ist der ehemalige Heizungstunnel zwischen dem Reichstagspräsidentenpalais und dem Reichstagsgebäude.

Nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 war spekuliert worden, dass Nazis durch den Tunnel in den Reichstag gelangt seien, um diesen anzuzünden.

Ob dies so war, ist aber bis heute ungeklärt. Als Täter verurteilt und hingerichtet wurde kein Nazi, sondern der Holländer Marinus van der Lubbe. Der Erhalt des Heizungstunnels geht auf Reichstagsarchitekt Lord Norman Foster zurück, nach dessen Plänen das Gebäude umgebaut wurde.

Für Bundestagsabgeordnete, die nach dem langen Weg durch die Tunnel schmutzige Schuhe bekommen haben, ist gesorgt. Im Untergeschoss des Reichstags steht eine Schuhputzmaschine für den perfekten Auftritt im Plenarsaal. Direkt daneben: zwei Geldautomaten.

Wer vom benachbarten Paul-Löbe-Haus unterirdisch zum Reichstag will, hat einen kurzen Weg. Er führt vorbei an einer hell beleuchteten Ausstellung über die Deutsche Geschichte.

Vom Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zum Fußgängertunnel im Jakob-Kaiser-Haus ist es weniger komfortabel. Hier müssen Abgeordnete und ihre Mitarbeiter neben der unterirdischen Straße für Lieferfahrzeuge und Personenfahrzeuge entlang laufen. Zum Beispiel, wenn sie Briefmarken bei der Post im Lüders-Haus abholen wollen. Damit sich niemand verläuft, markiert ein gelber Strich den Weg im Tunnel.

Das Lüders-Haus wird derzeit durch einen Anbau erweitert. Der Erweiterungsbau, der eigentlich 2014 fertig werden sollte, wird unter anderem wegen Problemen mit dem Untergrund nun erst im Jahr 2015 abgeschlossen, wie das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung mitteilte.

Wenn es nach der Bau- und Raumkommission des Bundestags geht, wird in einigen Jahren noch ein weiterer Tunnel im Parlamentsviertel gegraben: eine Röhre von einem noch zu bauenden unterirdischen Besucher- und Informationszentrum auf dem Platz der Republik bis zum Reichstag. Die Grundsatzentscheidung für das unterirdische Besucherzentrum sei gefallen, sagt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Die genauen Pläne sollen nun in einer Art Machbarkeitsstudie erarbeitet werden.

Notwendig wird der Bau des neuen Zentrums, um die provisorischen Baracken auf dem Platz der Republik abzuschaffen, in denen die Besucher des Bundestags seit den Terrorwarnungen vor einem Jahr kontrolliert werden.

Die Kontrollen vor dem Reichstag sollen verhindern, dass Attentäter bis in den Parlamentsbau gelangen können. Der Bau eines oberirdischen Besucherzentrums auf dem Platz der Republik war abgelehnt worden, weil damit der Blick auf den Reichstag verstellt würde.

Thierse sagt, er hoffe, dass 2013 die endgültige Entscheidung über den Bau des Besucherzentrums getroffen werde. In der nächsten Legislaturperiode könne der Bau dann beginnen.

Am Rande des Parlamentsviertels beginnen noch in diesem Jahr zwei weitere Projekte. An der Straße Alt-Moabit startet derzeit der Bau des neuen Innenministeriums. Und im April soll der Grundstein für den Neubau des Ministeriums für Bildung und Forschung am Kapelle-Ufer gelegt werden. Immerhin ohne Tunnel zum Reichstag.