Gesellschaft Rabbiner: Gewaltbereitschaft betrifft nicht alle Muslime
Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama rät zu einem differenzierten Blick auf die Ausschreitungen vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Hamas und Israel.
Berlin - Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama hat appelliert, Muslime nicht pauschal als gewaltbereit abzustempeln. Viele Bilder und Filme in den Tagen seit dem Angriff der Hamas auf Israel seien sehr verstörend, sagte Nachama dem „Tagesspiegel“ (Samstag). „Als Berliner kann ich sagen, dass sich vergleichbare Szenen bereits in der Silvesternacht zugetragen haben“, so der Rabbiner der Gemeinde am Hüttenweg. Die Gewaltbereitschaft betreffe nicht pauschal alle Muslime, sondern eine bestimmte Szene.
Nachama setzt auf Dialog
„Wir müssen versuchen, mit diesen Menschen in einen Dialog zu treten. Dazu sind wir verpflichtet, denn wir leben gemeinsam in dieser Stadt“, so der Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender und ehemalige Direktor des Erinnerungsorts Topographie des Terrors. So schwer das für beide Seiten auch sein möge, es sei zum Wohle des Ganzen. „Ich habe in der muslimischen Community viele Freunde und appelliere an alle, einen Weg zur Geschwisterlichkeit und Partnerschaft zu finden.“
„Der rechtsradikale, hier verankerte Antisemitismus und der nahöstliche geben sich auf unheilvolle Weise die Hand“, sagte Nachama, der auch Mitgründer des House of One ist, einem auf Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen ausgerichteten Projekt in Berlin-Mitte. „Es ist nicht so, dass letzterer in Berlin erst eine Erscheinung der letzten Jahre ist. Schon zu Westberliner Zeiten musste die Polizei Gebäude der jüdischen Gemeinde schützen, wenn sich die Situation in Nahost aufheizte.“
Der Rabbiner sieht Juden und Muslime in einem Boot
Die Bedrohungslage sei ernst. „Gleichzeitig sollten wir bei gewaltverherrlichenden Personen nicht den Eindruck erwecken, sie hätten damit Erfolg“, sagte Nachama. Letztlich sei die jüdische Gemeinschaft gewöhnt, mit Drohungen von außen umzugehen. „Ich erinnere an den Anschlag auf die Synagoge in Halle, zugleich aber auch an die rechtsextremen Morde von Hanau, die Muslimen galten“, sagte der Rabbiner. „Ich halte es für extrem wichtig, eine Erkenntnis zu vermitteln: Muslime und Juden sitzen im gleichen Boot. Wir werden von Rechtsextremen gleichermaßen antisemitisch oder antirassistisch bedroht. Wir sollten miteinander für eine tolerante Gesellschaft eintreten.“
Es sei ein Glück für Berlin, dass viele Initiativen Flagge zeigten. „Ich finde es sehr wichtig, dass aus der Mitte der Gesellschaft heraus ein Stoppschild gegen verbale und physische Gewalt gesetzt wird“, sagte Nachama. „Dass wir zurückkehren zu einer Situation, in der man in der Sache streiten kann, aber mit Respekt vor der Position des anderen.“