Prozess in Vilnius Prozess in Vilnius: Zeugen schildern schwierige Beziehung

Vilnius/dpa. - Der Totschlag-Prozess gegen den französischen Rockstar Bertrand Cantat (40) entwickelt sich zu einer psychologischen Studie der Beteiligten. Cantat wird vorgeworfen, im vergangenen Sommer die französische Schauspielerin Marie Trintignant getötet zu haben. Am zweiten Verhandlungstag befragte das Strafgericht im litauischen Vilnius am Mittwoch Ex-Partner von Cantat und Trintignant. Dabei ging es den Richtern darum, sich Bilder von Täter und Opfer machen zu können.
«Ich kann ihn mit zwei Worten beschreiben: ehrlich und sanft», sagte etwa Krisztina Rady, die seit 1996 mit Cantat verheiratet ist. «Er hat nie seine Hand erhoben, weder gegen mich noch gegen jemand anderen», sagte Rady weiter. Dies entsprach der Linie von Cantats Verteidigern, die ihren Mandanten als gefühlvollen Mann und Ersttäter darstellen.
Zum Prozessauftakt hatte Cantat am Dienstag zugegeben, seine Freundin vier Mal geohrfeigt zu haben. Die Anklage will 19 Wunden und damit eine regelrechte Prügelei nachweisen. Der befragte Gerichtsmediziner wies darauf hin, dass ein Schlag durchaus mehrere Verletzungen hervorrufen könne. Trintignant war 41-jährig am 1. August 2003 bei Paris an einem Gehirnödem gestorben.
Das litauische Recht sieht es als strafmildernd an, wenn Verbrechen im Zustand höchster Erregung und zwischen zwei sich besonders nahe stehenden Personen geschehen. Cantats Höchststrafe würde sich automatisch von 15 auf 6 Jahre Haft reduzieren, falls die Berufsrichter zu dem Eindruck gelangen, der Sänger der Rockband Noir Désir habe seine Freundin Trintignant im emotionalen Exzess geschlagen.
Anders sehen dies bislang die litauische Staatsanwaltschaft und Nadine Trintignant, die als Mutter von ihrem Recht zur Nebenklage Gebrauch macht. «Ich habe Marie nie so erlebt wie in jenen Tagen in Vilnius», gab die Regisseurin zu Protokoll. Ihre Tochter habe ungewöhnlich angespannt und traurig gewirkt. «Ich habe Marie niemals wütend erlebt», sagte Nadine Trintignant, um zu verdeutlichen, dass aus ihrer Sicht Cantat mit krankhafter Eifersucht den tödlichen Streit auslöste.
Als ausgewogen werteten Beobachter den Auftritt von Marie Trintignants Ex-Ehemann Samuel Benchetrit. Mit ihm hatte Cantat in jener Nacht zum 27. Juli 2003 telefoniert, als die Schauspielerin bewusstlos war. Nach Benchetrits Erinnerung sagte Cantat damals : «Wir haben uns geschlagen. Ich habe sie geohrfeigt. Sie hat ein blaues Auge.» Der Musiker habe sich offensichtlich aus der Filmfamilie Trintignant ausgeschlossen gefühlt und Eifersucht entwickelt, meinte Benchetrit.
Der leitende Staatsanwalt Vladimiras Sergejevas betonte: «Wir interessieren uns eigentlich für die Tat und den Tathergang, nicht für Beziehungen und Vorgeschichte.» Cantats Verteidigern könnte am Mittwoch im Bestreben um mildernde Umstände für ihren Mandanten ein Punktsieg gelungen sein. Vor allem das durch französische Medien geisternde Klischee von Cantat als «Alkoholmonster» konnte nicht durch Zeugen oder Beweise belegt werden.
