Palästina-Demo Polizei von großer Palästina-Demo überrumpelt
Nur 50 Teilnehmer waren zu der Palästina-Demonstration am Sonntag in Berlin angemeldet, Hinweise auf mehr gab es laut Polizei nicht. Die Demonstration wurde daher nicht verboten - und zog offenbar sehr schnell mehr als tausend Teilnehmer an.
Berlin - Die Berliner Polizei ist von der Größe einer palästinensischen Demonstration gegen Israel am Sonntag laut eigener Darstellung förmlich überrumpelt worden und bedauert das Zustandekommen. „Die Polizei und ich hätten gerne diese unerträglichen Bilder verhindert am Potsdamer Platz“, sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Montag im Innenausschuss. Die schnelle und massive Mobilisierung für die eigentlich kleine und zunächst nicht verbotene Mahnwache zum Israel-Konflikt habe die Polizei überrascht.
Erst im Lauf des Sonntagnachmittags sei im palästinensischen Spektrum intensiv in den Internet-Chatkanälen geworben worden. Die sich entwickelnde Demonstration, bei der ein Teil der mehr als 1000 Teilnehmer Palästinaflaggen und israelkritische Plakate trug, wurde dann kurzfristig von der Polizei verboten. Beim Räumen des Platzes gab es den Angaben zufolge Widerstand.
Nach Angaben der Polizei von Montagnachmittag wurden dabei 127 Demonstranten vorläufig festgenommen, es gab 76 Strafanzeigen und 68 Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen das Demonstrationsrecht. Laut Polizei wurden insgesamt 24 Polizisten verletzt. Nach Angaben von Polizeipräsidentin Slowik waren den gesamten Sonntag über rund 800 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz im Zusammenhang mit Auswirkungen des Nahost-Konflikts. Sie nahmen insgesamt 155 Demonstranten vorläufig fest, es gab 80 Strafanzeigen und 68 Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen das Demonstrationsrecht.
In kürzester Zeit kamen Hunderte Demonstranten
In kürzester Zeit seien Hunderte Demonstranten aus anderen Stadtteilen am Potsdamer Platz zusammengekommen, woraufhin die Polizei die bis dahin nicht untersagte Demonstration dann doch verboten habe, sagte Slowik. Eine erfahrene Polizistin habe gesagt, eine solche Dynamik des Zustroms habe sie noch nicht gesehen. Berlin habe eben eine sehr große „gewachsene palästinensische und arabische Community“, sagte Slowik. „Es gibt in Berlin Stadtteile, das ist auch richtig so, die eine große Community haben, die vielleicht größer ist als manche Stadt in Deutschland.“
Die Polizei habe beim Auflösen der Demonstration auch Reizgas und Schlagstöcke eingesetzt. Wegen der aggressiven Stimmung sei ein Wasserwerfer bereitgestellt worden. Wegen der Gefahr der Eskalation und auch weil viele Kinder und Kinderwagen dort gewesen seien, sei er nicht eingesetzt worden.
Jüdische Gemeinde lobt Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden
Die Jüdische Gemeinde würdigte das Vorgehen der Polizei gegen pro-palästinensische Demonstrationen. „Die Demokratie hat in den letzten Tagen gezeigt, dass sie wehrhaft sein kann“, sagte der Gemeindevorsitzende Gideon Joffe am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Unschöne Bilder von jubelnden Hamas-Unterstützern auf den Straßen Berlins würden nicht geduldet. Er bezeichnete die Zusammenarbeit mit der Polizei als gut. „Der Schutz der jüdischen Einrichtungen wurde sichtbar und unsichtbar verstärkt“, sagte er.
Senatorin: Viele arabische Familien haben nichts zu tun mit Hamas
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) betonte: „Wir haben viele arabischstämmige Familien in der Stadt, die nichts mit der Hamas zu tun haben wollen. Das dürfen wir nicht vergessen.“ Sie würden auch Signale geben, dass sie versuchten, einzuwirken gegen extremistische Bestrebungen. Spranger betonte: „Wir müssen in Kitas und Schulen massiv Aufklärung betreiben.“
Auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) forderte mehr Prävention. „Viele der Menschen, die an den Protesten teilnehmen, sind hier aufgewachsen, aber sie fühlen sich trotzdem nicht als Teil dieser Gesellschaft. Andernfalls wären sie sich unserer historischen Verantwortung bewusst. Wir müssen uns fragen, warum es uns nicht gelingt, diese Menschen zu integrieren.“
Spranger sagte weiter, der Schutz der israelischen und jüdischen Einrichtungen und Menschen in Berlin habe „allerhöchste Priorität“. Sie stehe in ständiger Verbindung mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Zugleich sei die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit ein sehr wichtiges Gut. Angemeldete Demonstrationen zu dem Thema müssten jeweils bewertet werden. Dabei müsse man „Hass, Antisemitismus und Gewaltverherrlichung ganz deutlich entgegentreten“, sagte Slowik.
Demonstrationen gegen Israel erlaubt - Volksverhetzung nicht
Seit dem Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober mit Hunderten Toten kam es in Berlin immer wieder zu pro-palästinensischen Demonstrationen, bei denen einige Teilnehmer die Hamas bejubelten. Wegen befürchteter extremistischer Äußerungen erließ die Polizei daher Demonstrationsverbote. Trotzdem versammelten sich am Wochenende immer wieder pro-palästinensische Gruppen, unter anderem in Neukölln. Am Samstagabend wurden teils sehr laute Böller gezündet und Slogans wie „Free Palestine“ skandiert. Die Polizei schritt immer wieder ein.
Der Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, kritisierte die Einschränkungen für palästinensische Solidaritätsveranstaltungen. „Ich bin zutiefst besorgt über die übertriebene Reaktion auf eine friedliche Antikriegsdemonstration gestern in Berlin“, hieß es in einer Stellungnahme des Botschafters vom Montag. „Free Palestine“ sei ein Aufruf zur Beendigung der israelischen Besatzung und zur Wahrung der Menschenrechte, fügte er hinzu. „Es ist traurig, dass diese Aufrufe in einer Weise eingeschränkt werden, die den Werten freier Gesellschaften zuwiderläuft“, sagte Arafeh.
Grundsätzlich sind weder Demonstrationen und Äußerungen gegen Israel und die israelische Politik noch pro-palästinensische Kundgebungen verboten. Ist eine Demonstration „israelfeindlich“, ist das kein Grund für ein Verbot. Problematisch wird es erst dann, wenn Inhalte propagiert werden, die als Volksverhetzung gewertet werden können, weil sie Hass gegen bestimmte Gruppen von Menschen, etwa Juden oder Israelis, schüren. Dann können Veranstaltungen verboten oder Äußerungen bestraft werden.
Hassäußerungen und Antisemitismus im Internet verfolgen
Die Auswirkungen der aktuellen Nahost-Krise werden Berlin nach Einschätzung der SPD in nächster Zeit noch mehr und stärker treffen als bisher. „Hier bei uns werden die schwierigsten Momente sicher noch kommen, die haben wir noch nicht gesehen“, sagte der Berliner SPD-Innenpolitiker Martin Matz am Montag im RBB-Inforadio. Matz forderte, auch Hassäußerungen und Antisemitismus im Internet zu verfolgen. Portale wie Tiktok seien kein rechtsfreier Raum, gegen manche verbotene Äußerungen von bekannten Nutzern dort müsse konsequent vorgegangen werden.