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Pest, Cholera, Corona Pest, Cholera, Corona: Wird die Welt alle 100 Jahre von einer Pandemie verwüstet?

02.04.2020, 05:17
Pest, Cholera, Corona: Treten Pandemien in einem 100-jährigen Rhythmus auf?
Pest, Cholera, Corona: Treten Pandemien in einem 100-jährigen Rhythmus auf? www.imago-images.de

Berlin - Es sind Jahreszahlen, die sich scheinbar auf erstaunliche Weise gleichen: Im Jahr 1720 die Pest, 1820 die Cholera, 1920 folgt die Spanische Grippe - und nun 2020 das neuartige Coronavirus. Wird die Welt tatsächlich alle 100 Jahre von einer Pandemie heimgesucht? Das wird zumindest in sozialen Medien vorgerechnet.

Behauptung: Pandemien treten in einem 100-jährigen Rhythmus auf.

Bewertung: Der Abstand der genannten Infektionen entspricht nur ungefähr 100 Jahren. Zudem ist die Auswahl vollkommen willkürlich. Andere verheerende Seuchen fallen unter den Tisch, um den Anschein eines 100-Jahre-Rhythmus zu erwecken.

Fakten: Der Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven ist angesichts der 100-Jahre-Theorie skeptisch. «Zwischen den Pandemien traten noch viele weitere Epidemien auf, die hier unterschlagen werden», sagte der Professor der Uni Erlangen-Nürnberg auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Etwa fehlt die Asiatische Grippe. Auch weitere Pandemien wie die Pocken oder Tuberkulose werden nicht genannt.

Dass einige Pandemien zudem im Abstand von circa 100 Jahren auftreten, stimme nur auf den ersten Blick, erklärte Leven. Die erste Cholera-Pandemie datiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf 1817 und nicht auf 1820. Die Spanische Grippe verbreitete sich schon ab 1918 und der Ausbruch des neuartigen Coronavirus begann bereits 2019 in China. «Das heißt, der Ansatz des 100-jährigen Rhythmus ist von Anfang an verfehlt, ungenau und völlig willkürlich. Er erklärt überhaupt nichts», so Leven.

Mythen und Verschwörungstheorien der Seuchengeschichte

Ansteckende Krankheiten und Pandemien haben in der Geschichte schon immer zu Gerüchten und Falschmeldungen geführt. «Jede Zeit hat ihre Verschwörungstheorien», sagt Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven von der Uni Erlangen-Nürnberg. Menschen wollten das Unerklärliche erklärbar machen - gerade bei Bedrohungen, die mit dem bloßen Auge nicht zu sehen und insgesamt kaum zu begreifen seien.

Brunnenvergiftungen: In der Antike galten Seuchen als Strafe der Götter. 430 vor Christus starb bei der Attischen Pest Schätzungen zufolge ein Viertel der Einwohner Athens. «Unter den Zeitgenossen in Athen entstand das Gerücht, die Spartaner, die Feinde der Athener, hätten die Brunnen vergiftet», erklärt Leven. Dies sei das erste Mal in der Geschichte gewesen, dass dieses fatale Gerücht in Umlauf kam. Der genaue Auslöser für diese Pest ist noch immer unklar.

Sündenböcke: Auch bei der Pest im 14. Jahrhundert standen Brunnen im Verdacht. Damals machte die folgenschwere Theorie die Runde, Juden hätten diese vergiftet. Zahlreiche jüdische Gemeinden wurden wegen der Beschuldigung vertrieben oder ermordet. Heute ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Beulenpest durch einen Floh verbreitet wird. Die Lungenpest gelangt über die Atemluft von Mensch zu Mensch.

Biowaffen: Eine weitere Theorie sieht ansteckende Krankheiten als Biowaffen - etwa in den USA in der Endphase des Ersten Weltkrieges 1918, als die Spanische Grippe grassierte. «Viele glaubten zum Beispiel, dass man Aspirin mit einer krankmachenden Substanz angereichert und nach Amerika importiert hätte», sagt der Münchner Historiker Nicolai Hannig. Der Ursprung der Krankheit wurde erst in den 1930er Jahren erforscht: Es waren Viren. (dpa)