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Österreich Österreich: Natascha nimmt ihren Entführer in Schutz

28.08.2006, 08:25
Die acht Jahre gefangen gehaltene Natascha Kampusch wird mit einer Decke verhüllt. Der jungen Frau war am vergangenen Mittwoch nach acht Jahren Gefangenschaft in einem Verlies die Flucht gelungen. (Foto: dpa)
Die acht Jahre gefangen gehaltene Natascha Kampusch wird mit einer Decke verhüllt. Der jungen Frau war am vergangenen Mittwoch nach acht Jahren Gefangenschaft in einem Verlies die Flucht gelungen. (Foto: dpa) APA

Wien/dpa. - «Lasst mirZeit, bis ich selbst berichten kann», bat die 18-Jährige in einemBrief, den ihr Psychiater Max Friedrich am Montag bei einerPressekonferenz in Wien vorlas. In ihrem Schreiben präsentierte sichKampusch, die sich zurzeit an einem unbekannten Ort aufhält, alsstarke Persönlichkeit und nicht als Opfer. Über ihren EntführerWolfgang Priklopil sagte sie: «Er war nicht mein Gebieter. Ich wargleich stark. Er hat mich symbolisch gesprochen auf Händen getragenund mit Füßen getreten.»

Doch der 44-Jährige, der sich nach der Flucht der 18-Jährigen amvergangenen Mittwoch das Leben genommen hatte, habe sich «mit derFalschen angelegt». Kampusch betonte aber: «In meinen Augen wäre seinTod nicht nötig gewesen. (...) Er war ein Teil meines Lebens,deswegen trauere ich in einer gewissen Art über ihn.» Sie sei sichbewusst, dass sie keine normale Kindheit und Jugend hatte. Doch habesie nicht das Gefühl, dass ihr etwas entgangen sei. Unter diesenUmständen habe sie zumindest «nicht mit Rauchen und Trinken» begonnenund «keine schlechten Freunde» kennen gelernt, meinte die 18-Jährige.

Kampusch berichtete in dem Brief auch über den Alltag mitPriklopil, der sie acht Jahre zuvor auf dem Schulweg in Wien-Donaustadt verschleppt hatte. Sie hätten zusammen gefrühstückt, siehabe Hausarbeiten erledigt, gekocht, fern gesehen und gelesen. «Allesmit Angst vor Einsamkeit verbunden.» Ihren Raum habe der Mann mit ihrzusammen gestaltet. Es sei ihr Raum und nicht für die Öffentlichkeitbestimmt, unterstrich Kampusch. Persönliche Fragen wolle sie aufkeinen Fall beantworten. «Alle wollen immer intime Fragen stellen,die gehen niemanden etwas an. Vielleicht erzähle ich das einmal einerTherapeutin, wenn ich das Bedürfnis habe, oder aber auch vielleichtniemals.»

Die junge Frau wird derzeit auf eigenen Wunsch in einer«spitalähnlichen Einrichtung» abgeschirmt und hat um eine Ruhepausegebeten. Demnächst solle sie in eine betreute Wohnung mitpsychosozialem Beistand umziehen, teilte die Kinder- undJugendanwältin Monika Pinterits mit. «Ich fühle mich an meinem neuenAufenthaltsort wohl», ließ Kampusch am Montag mitteilen. Allerdingsfühle sie sich auch ein wenig bevormundet. Zu Vorwürfen der Eltern,ihre Tochter werde ihnen vorenthalten, sagte Betreuer Friedrich: «Sieist ein mündiger, erwachsener Mensch. Wann sie Kontakt zu den Elternhaben wird, ist ihre Entscheidung.» Auch über Gespräche mit denMedien wolle sie selbst zu einem geeigneten Zeitpunkt entscheiden.Ihre getrennt lebenden Eltern haben bereits Interviews und zum Teilbereitwillig Auskunft gegeben.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärte, es werde weiter dieMöglichkeit eines zweiten Täters untersucht, da eine damalige Zeuginbei ihrer Aussage bleibe, sie habe bei der Entführung im März 1998zwei Männer beobachtet. Zwar wiesen Aussagen der Entführten daraufhin, dass es nur einen Täter gegeben habe. Dennoch müsse man allenHinweisen nachgehen und sei zudem erst «am Beginn der Gespräche mitNatascha».

Die Untersuchungen am Tatort in Strasshof nördlich von Wien dauernnach Angaben des Sprechers der Sonderermittler, Gerhard Lang, an. DieBaupläne und der Zustand des Hauses stimmten nicht überein. Man habedaher keine Gewissheit über etwaige weitere Hohlräume in dem Gebäude.Die sicher gestellten Beweismittel, darunter Notizen, Bücher undVideobänder, würden ausgewertet. Für Gerüchte, Nataschas Mutter habeden Täter gekannt, gebe es nach bisherigem Stand der Ermittlungenkeine Bestätigung. Die Gespräche der Ermittler mit dem Opfer würdenerst wieder aufgenommen, wenn Natascha dazu bereit sei.

Nach Informationen der «Kronen-Zeitung» soll ein Anwalt im Namenvon Natascha Kampusch Ansprüche auf jenes Haus in Strasshof geltendmachen, in dem sie gefangen gehalten wurde. Es gehe dabei auch umSchadenersatzforderungen für erlittene seelische Qualen. Auch einMedienmanager soll der jungen Frau zur Seite stehen.

Österreichs Innenministerin Liese Prokop kritisierte dieErmittlungsmethoden nach der Entführung am 2. März 1998. Damals warenauf die Aussagen einer Zeugin hin rund 700 Inhaber von weißenMercedes-Lieferwagen überprüft worden. Dabei war auch der TäterWolfgang Priklopil befragt worden. Die Fragen seien jedoch bezüglichfamiliärer und örtlicher Situation ungenau gewesen, sagte Prokop derin Wien erscheinenden Zeitung «Kurier» (Dienstagausgabe): «Wenn ichalle Fragen auf einen Raster gebracht hätte, dann hätte ichvielleicht nicht mehr 700, sondern 25 Personen übrig gehabt. Da istes dann schon leichter, runter zu prüfen.»