Ostalgie Ostalgie: Kneipe bietet DDR-Aroma aus dem superfesten Glas

Tutow/dpa. - Gleich neben dem Pennymarkt flattert sie im Wind: die Fahne mit Hammer, Sichel und Ährenkranz. Die Flagge des Staates, der am 7. Oktober vor 55 Jahren gegründet wurde und vor 14 Jahrenwieder verschwand, ist in Tutow (Mecklenburg-Vorpommern) noch immer gehisst, gleich mehrfach. Das DDR-Relikt soll den Blick auf eine Gaststätte lenken, in der vieles so ist wie in sozialistischen Zeiten: Hässliche Tischdecken samt Plastikblumen zieren die Tische, ein blaustichiges Porträt von Erich Honecker hängt an der Wand, und Ost-Rock schallt aus dem Lautsprecher der DDR-Museumsgaststätte.
«In dieser strukturschwachen Region geht keiner mehr wegen desBiers in die Gaststätte», meint Fred Spiegel. Der gebürtigeRandberliner hatte das Lokal mehrere Jahre lang als normaleGaststätte betrieben, meldete dann Konkurs an - und mischt nun als Angestellter der Museumsgaststätte mit. Binnen Monaten füllten sich die Räume mit vergessen geglaubten Exponaten. Dorfbewohner bringen immer neue Alltagsgegenstände aus der DDR vorbei.
Alte Ost-Magazine wie «Melodie & Rhythmus», «Mosaik» und «NeuesLeben», allesamt leicht vergilbt, liegen zum Blättern auf einemTisch, gleich daneben das Staatsbürgerkundebuch und die Stars des DDR-Kinderfernsehens, Herr Fuchs und Schnatterinchen, als Handpuppen.In der Zeitungsecke der Gaststätte gibt's keine aktuellen Blätter,sondern die «Freie Erde» (Neubrandenburg) vom 9. März 1988 und die«Ostsee-Zeitung» (Rostock) vom 1. August 1977. An der Theke könnendie Gäste Postkarten und Streichholzschachteln mit DDR-typischenMotiven kaufen.
«Liebe Gäste, ist es Ostalgie, wenn sich viele ehemalige DDR-Bürger nach den Aromen ihrer Kindheit sehnen?», fragt «Ihr Kollektivder DDR-Museumsgaststätte» in der Speisekarte, die im sozialistischenRot daherkommt. In Nostalgie schwelgen können die hungrigen Gästedann bei Bockwurst aus dem vorpommerschen Anklam, Boulette von Kalleaus Berlin und Senf aus Tutow. Getränke - etwa «Rote Brause (DDR)»oder «West-Cola» - werden «in superfesten Gläsern aus unserer VEB-Produktion» serviert.
Für den Besucher noch nicht sichtbar sind die Autos aus einstvolkseigenen Betrieben, die hinter der Museumsgaststätte stehen. «Wirwollen die Autos aufbereiten und dann vermieten, dann kann man maleinen halben Tag lang mit einem Trabant oder einem Wartburg in derGegend herumfahren», sagt Spiegel. Der 46-Jährige will in dem 1500-Einwohner-Dorf eine Mini-DDR schaffen.
Sein Traum: Einen Plattenbau vis-á-vis dem Lokal will er aufmöbelnund dann als Quartier für «Urlaub im Osten» anbieten. «Die anderenPlattenbauten sollten abgerissen werden, dann könnte man einRiesenloch ausheben und einen künstlichen See schaffen», meint derWahl-Tutower. Mit dem Projekt könnte er in dem Ort, in dem jederzweite Einwohner keine Arbeit hat, nach eigener Schätzung 20 bis 30Arbeitsplätze schaffen.