Ordensschwestern Ordensschwestern: Der heilige Umbruch in Deutschlands Klostern

Es ist noch früh am Morgen, aber Schwester Katharina Kluitmann ist bereits unterwegs. Der Tag der katholischen Ordensfrau hat wie immer mit einer Andacht gegen sechs Uhr begonnen. Als Frühstück musste diesmal ein auf dem Weg gekauftes Käsebrötchen reichen. Jetzt marschiert sie mit einem Rucksack auf dem Rücken von der Bushaltestelle zu dem Kloster, das etwas außerhalb der Kleinstadt Lüdinghausen in Nordrhein-Westfalen liegt.
In den Wiesen hängt noch der Tau, der Hochnebel trübt die Sonnenstrahlen milchig ein. Die 50-Jährige trägt „Halbzivil“, also zum Schleier kein Ordenskleid, sondern normale Straßenkleidung in Braun: Das ist die offizielle Farbe des Frauenordens der Franziskanerinnen, der zu den drei großen in Deutschland zählt. Das Kloster, ein imposanter Backsteinbau mit weißen Fenstern und einer Heiligenfigur aus hellem Stein über der Tür, ist rasch erreicht.
Das Antonius-Kloster ist die Zentrale der Franziskanerinnen von Lüdinghausen. 45 Schwestern leben hier, weitere 15 an anderen Orten in der Umgebung. Schwester Katharina ist die Chefin dieser sechzig Ordensfrauen, ihr offizieller Titel lautet Provinzoberin. Lange war sie selbst im Antonius-Kloster zu Hause, nun lebt sie in Münster in einer Wohngemeinschaft. Ins dreißig Kilometer entfernte Lüdinghausen kommt sie zweimal pro Woche, um ihre Leitungsaufgaben zu erfüllen.
Rollatoren vor der Kapellentür
Ihr erster Weg im Kloster führt Schwester Katharina in ihr Büro. Sie sieht Briefe durch, hört den Anrufbeantworter ab. Eine der Ordensfrauen meldet sich aus dem Krankenhaus: Sie habe eine Operation gut überstanden und könne bald nach Hause. Auf dem Flur erfährt die Provinzoberin, dass es einer alten Schwester schlechter geht. Kurz wird erörtert, ob die Kranke besser in den zentralen Klostertrakt umzieht, wo Pflegekräfte sie schneller erreichen. Dann ist es Zeit für die Morgenmesse. Im Vorraum der Kapelle steht ein Rollator neben dem anderen.
In Lüdinghausen und den anderen rund 1 500 Frauenklöstern und klösterlichen Niederlassungen hierzulande ist der größte Teil der Schwestern im Rentenalter. Nur rund 16 Prozent aller Nonnen sind jünger als 65 Jahre, so die offizielle Statistik. Das Durchschnittsalter soll bei knapp 80 Jahren liegen. Etwa 18 300 katholische Klosterfrauen gibt es noch, kaum ein Fünftel der vor 70 Jahren bestehenden Schwesternschar. Etwa tausend Nonnen werden in diesem Jahr voraussichtlich sterben und im gleichen Zeitraum nur rund sechzig neu in ein Kloster eintreten. Das Ende der Frauenorden scheint nur eine Frage der Zeit zu sein: Im Kloster Lüdinghausen werden in zehn Jahren wohl nur noch zwanzig Schwestern leben.
Vielerorts sind die Klöster zu groß geworden, der Unterhalt überfordert die Nonnen; manchmal fallen sie auf betrügerische Verwalter herein wie die Christkönigsschwestern in Berlin-Lankwitz, die so ihr Vermögen und letztlich ihr Kloster verloren. Es fehlt an Führungskräften in mittleren Jahren – für die Orden, aber auch für die ordenseigenen Krankenhäuser, Altenheime und Schulen. Den alt gewordenen Schwestern fällt der Abschied von ihren Klöstern schwer. Die greise Gemeinschaft macht das Klosterleben für Novizinnen, sofern es sie gibt, nicht unbedingt verlockender.
„Das ist eine große Herausforderung“, sagt Schwester Aloisia Höing, die im Bergkloster im thüringischen Heiligenstadt lebt. Sie ist seit Februar Beauftragte für das Zukunftsproblem bei der Ordensobernkonferenz, dem Dachverband der katholischen Ordensgemeinschaften. Sie organisiert Workshops und versucht zu vermitteln, wenn Schwestern sich weigern, ihr liebgewonnenes Kloster zu verlassen. „Wir suchen alle miteinander, wo und wie es weitergehen kann“, sagt sie. Einrichtungen, die die Schwestern nicht mehr bewirtschaften könnten, empfiehlt sie aufzugeben. Sie schlägt vor, externe Fachleute mit komplizierten Aufgaben zu betrauen. Die Ordensgemeinschaften dürften ihre Authentizität nicht verlieren, müssten andererseits aber mehr Gestaltungsfreiheit zulassen.
Hier und da tut sich auch schon etwas: Es gibt inzwischen gemischte Klöster, in denen die Oberin aus einem anderen Orden kommt als die Schwestern, in Osnabrück etwa. In Recklinghausen leben gar Nonnen und Mönche in einer klösterlichen Gemeinschaft zusammen.
„Unser Problem ist nicht die Überalterung, sondern die Unterjüngung“, sagt Schwester Katharina in Lüdinghausen. Mit anderen Worten: Es fehle der junge Zuwachs. „Wir müssen viel mehr ausprobieren“, rät sie. Die Frau mit dem rosig-runden Gesicht und dem widerspenstig unter dem Schleier hervorquellenden grauen Pony hat ihr halbes Leben im Kloster verbracht.
Als sie 1964 in Düsseldorf zur Welt kam, setzte bei den Frauenorden gerade jener Schrumpfungsprozess ein, der bis heute anhält: Es ist die Zeit des Feminismus, der Studentenrevolte, der sexuellen Befreiung. Schon als Kind habe sie ihre Eltern damit geärgert, nicht Lehrerin oder Stewardess zu werden, sondern Nonne, erzählt sie. „Dabei wusste ich damals gar nicht, was das ist.“ Sie wächst in einem katholischen Elternhaus auf, studiert Theologie, will Pastoralreferentin werden.
Dann merkt sie, dass ihr das nicht reicht. Mit 25 tritt sie in ein Kloster ein, zehn Jahre später legt sie die ewigen Gelübde ab. Durch ihre Doktorarbeit – sie hat zusätzlichein Psychologiestudium absolviert – wird sie zur Expertin für die Befindlichkeit der Ordensfrauen. Für die Dissertation hat sie 150 angehende, aktuelle und ehemalige Klosterschwestern nach ihren Erfahrungen und Bedürfnissen gefragt. „Die Letzte macht das Licht an?“, lautete der Titel ihrer Doktorarbeit. Seither ist die Franziskanerin als Referentin bei Konferenzen zur Zukunft der Orden gefragt. „Der Wandel ist ungemein schmerzhaft, weil er ein Loslassen verlangt“, sagt sie.
Sie selbst hat es noch relativ gut, denn ihre Vorgängerinnen im Amt der Provinzoberin in Lüdinghausen hatten vorausgeplant. Das Altenheim im Garten des Klosters haben die Franziskanerinnen bereits vor Jahren an säkulare Betreiber abgegeben, ebenso das Gymnasium nebenan. Die Klosterimmobilie gehört einer Stiftung. Den Alltagsbetrieb managt seit gut einem Jahr eine Nicht-Ordensfrau. „Veränderung wagen“ steht auf Ankündigungen, die im Flur des Klosters zu einer Diskussionsrunde einladen.
Auch Schwester Katharina selbst probiert Neues aus: Sie lebt in einer Art WG – der Fachbegriff lautet Konvent oder Kommunität – für Franziskanerinnen aus verschiedenen Unterorden oder Kongregationen, die früher alle ihre eigenen klösterlichen Einrichtungen hatten. Diese Lebensform wollte nicht aufgeben, als sie 2011 vor der Wahl zur Provinzoberin stand. Und sie sagte das auch ihren Mitschwestern. Die Klostergemeinschaft willigte ein, dass ihre neue Leitung eine Teilzeit-Provinzoberin ist und nicht wie üblich im Haupthaus residieren wird, sondern von außerhalb kommt.
Mitten in Münster liegt die Mansardenwohnung, die die Ordensfrauen vor vier Jahren angemietet haben. „Sr. Chiara Maria, Sr. Hiltrud und Sr. Katharina“, steht auf dem Klingelschild; Sr. ist die Abkürzung für Schwester, Nachnamen und akademische Titel spielen keine Rolle. Im Treppenhaus vor der Wohnungstür steht ein Ergometer. Das Fitnessgerät gehört den Ordensfrauen. „Es ist sogar gesegnet“, sagt Schwester Katharina, ahmt die Handbewegung des Priesters mit dem Weihwasserpinsel nach und lacht.
Alle Schwestern gehen einem Beruf nach
Die Küche ist nicht groß, moderne, helle Einbaumöbel lassen Platz für eine Essecke. Auf den Tisch kommen grüner Salat, gekochte Kartoffeln und ein köstliches Pfannengericht mit Fleisch und Gemüse. Vor dem Essen wird ein Gebet gesprochen. Die Frage des Gastes, wie das Gericht heißt, bringt die Schwestern in Verlegenheit. Es habe keinen, sie hätten es aus den Resten der vergangenen Tagen kreiert.
Wie in anderen Wohngemeinschaften werden die Aufgaben verteilt: Jede ist mal mit Einkaufen, Kochen, Putzen dran. Und weil neben dem Haushalt auch noch kirchliche Aufgaben zu erfüllen sind, wird das eine mit dem anderen gekoppelt: Wer Putzdienst hat, ist zum Beispiel zudem für die Lesung bei der Messe im Dom verantwortlich.
Alle Schwestern gehen einem Beruf nach. Schwester Chiara Maria, 55, hat, bevor sie in den Orden eintrat, als Gärtnerin gearbeitet, in einer Bank und in einer Waldorfschule. Jetzt ist sie in einer Münsteraner Stiftung tätig, die sich um Wohnungslose und Suchtkranke kümmert. Dort hilft sie überall, wo sie gebraucht wird. Schwestern Katharina arbeitet zwei Tage in der Woche als Psychologin in einer Beratungsstelle für Ordensleute, zwei Tage im Kloster Lüdinghausen. Schwester Hiltrud ist Vollzeitkraft in der Ordensadministration.
Die 59-Jährige ist wie ihre Mitbewohnerinnen Franziskanerin, aber sie gehört einer anderen Richtung, Kongregation genannt, an. „Sie trägt ein anderes Tau als wir“, erklärt Schwester Katharina und zeigt auf ihren silbernen Anhänger in Form eines T; den Buchstaben aus dem hebräischen Alphabet hat einst Ordensgründer Franziskus zum Erkennungszeichen gewählt. „Schwester Hiltruds ‚T‘ steht in einem Kreis, der drei Knoten hat.“ Die Knoten stehen für Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam – die drei Lebensprinzipien, zu denen sich jeder Angehörige des Franziskanerordens verpflichtet.
Azubine mit Mut
Die verschiedenen Abzeichen sind Äußerlichkeiten; die früher bedeutsamen historischen Unterschiede der Franziskanerinnen-Kongregationen spielen im Alltag kaum eine Rolle; wenn sich die Schwestern zur Andacht treffen, sprechen sie alle das selbe Gebet.
Mischkonvent nennt man es, wenn Franziskanerinnen unterschiedlicher Richtungen zusammenleben. Bisher gebe es ein knappes Dutzend davon, sagt Schwester Katharina. Sie hält das für zukunftsweisend. „Wir sind die, die den Faden des Ordenslebens nicht abreißen lassen“, glaubt Schwester Chiara Maria. Die alt gewordenen Klosterschwestern in Lüdinghausen verfolgten das Leben des kleinen Mischkonvents in Münster mit Interesse und stellten viele Fragen zu dem Leben der drei Schwestern.
Die neuen Formen des Ordenslebens sind besonders für jüngere Frauen wichtig: die 38-jährige Anja Müller, zum Beispiel, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie federt in flachen Schnürschuhen die Holztreppe im Lüdinghauser Kloster hinab. „Ich bin hier Azubine“, scherzt sie. Seit Juni lebt sie zur Probe im Kloster, noch ohne jedes Gelübde.
Ob sie bleibt, weiß sie noch nicht. Während ihres Theologiestudiums in Münster habe sie einmal die Ostertage in dem Ordenshaus verbracht; es hat ihr so gut gefallen, dass sie ihre Stelle im kirchlichen Dienst aufgab, ihre Wohnung auflöste und hierher zog. Anja Müller ist mit Abstand die Jüngste im Antonius-Kloster – die Älteste ist 96. Dass sie in einer Phase des Umbruchs kommt, ist der jungen Frau bewusst. Sie kann darin auch etwas Positives sehen: weil sie, wenn sie bliebe, das Neue mitgestalten könne. „Natürlich verunsichert mich der Transformationsprozess auch, weil das Ergebnis noch nicht feststeht.“ Aber sie habe nicht das Gefühl, auf ein sterbendes Lebensmodell zu setzen.
Schwester Katharina hört ihr zu und lächelt. Und eine der ganz alten Schwestern sagt: „Die hat Mut.“
