Kommunen Ohne Anne Frank im Namen? Kita-Pläne sorgen für Kritik
„Weltentdecker“ statt „Anne Frank“: Eine Kita in Sachsen-Anhalt könnte umbenannt werden. Die Diskussion über die Änderung läuft schon länger - jetzt ist sie vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts und dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland zum Politikum geworden.
Tangerhütte - Im Nahen Osten eskaliert die Gewalt, in Deutschland blickt die Politik mit Sorge auf den wachsenden Antisemitismus. Eine Namensänderung einer Kita in Sachsen-Anhalt würde in dieser Gemengelage geräuschlos an der Öffentlichkeit vorbeiziehen, wäre es irgendein Name. Doch Überlegungen in Tangerhütte, der städtischen Kita „Anne Frank“ im Zuge eines neuen pädagogischen Konzepts einen neuen Namen zu geben, sorgen vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse für deutliche Kritik - und die fällt bemerkenswert einhellig aus. Das Entfernen des Namens „Anne Frank“ passe momentan „nicht in die Zeit“, sagte Sachsen-Anhalts Antisemitismusbeauftragter Wolfgang Schneiß am Montag.
Anne Frank wurde 1929 als Kind jüdischer Eltern in Frankfurt am Main geboren. Ihre Familie flüchtete 1933 vor den Nationalsozialisten in die Niederlande. Dort versteckte sie sich von 1942 bis 1944 in einem Hinterhaus. In dieser Zeit schrieb Anne Frank ein Tagebuch, das zu den meistgelesenen Werken der Weltliteratur gehört. 1945 starb Anne Frank im Alter von 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
In Tangerhütte könnte „Anne Frank“ nun dem Namen „Weltentdecker“ weichen - sollte es zur Änderung kommen. Nach Angaben des Bürgermeisters Andreas Brohm (parteilos) läuft die Diskussion darüber schon länger. Nachdem man ein pädagogisches Konzept für die Kita mit „fundamentalen Änderungen“ erarbeitet habe, habe sich die Frage gestellt, wie man diese Veränderungen auch nach außen sichtbar machen könne, sagte Brohm. „Wir haben uns mit der Kita auseinandergesetzt. Wir haben uns nicht mit dem Vermächtnis von Anne Frank beschäftigt.“ Er stellte am Montag klar, dass noch nichts entschieden sei. „Die Diskussion hat nun eine neue Dynamik bekommen und muss nun weiterlaufen.“
Das Kuratorium der städtischen Einrichtung hatte sich für die Änderung ausgesprochen. Nach Angaben der Magdeburger „Volksstimme“ sei der Wunsch, den Namen zu ändern, von Eltern und Mitarbeitern der Kita gekommen. Der neue Name sei kindgerechter, die Geschichte der Anne Frank gerade für kleine Kinder schwer fassbar. „Wir wollten etwas ohne politische Hintergründe“, wird die Kita-Leitung in der „Volksstimme“ zitiert.
Es gebe sehr wohl Möglichkeiten - auch für Kinder -, die Geschichte von Anne Frank aktuell abzubilden, entgegnete der Antisemitismusbeauftragte Schneiß. „Man kann das sehr wohl vermitteln und gerade in der Migrationsgesellschaft muss man das sogar vermitteln.“ Man müsse sich nur um Möglichkeiten bemühen und die geplante Namensänderung noch mal diskutieren.
Die Bildungsstätte Anne Frank bezeichnete die mögliche Namensänderung als fatales Signal. Dies gelte gerade angesichts des wachsenden Antisemitismus in allen Teilen der Gesellschaft, erklärte Direktorin Deborah Schnabel am Montag in Frankfurt. Die Umbenennung trüge „zu einer Unsichtbarmachung von jüdischem Leben und jüdischen Opfergeschichten bei, den Grundlagen unserer Erinnerungskultur“.
Die Auseinandersetzung mit Anne Frank müsse keineswegs überfordernd sein, sondern sei ein Türöffner zur Auseinandersetzung mit Menschenrechten, Demokratie und Diskriminierung im Ganzen. Das Internationale Auschwitz Komitee kritisiert die Pläne und forderte, diese noch einmal zu überdenken.
Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) habe nach Angaben seines Sprechers kein Verständnis für die Diskussion zur Umbenennung der Kita. „Es ist wichtig, jüdische Geschichte in Sachsen-Anhalt lebendig zu halten. Anne Frank und nach ihr benannte Einrichtungen gehören auch zu unserer Erinnerungskultur für jüdisches Leben und gegen den Nationalsozialismus“, erklärte Haseloff.
Nach Angaben der „Welt“ haben die Fraktionsvorsitzenden des Stadtrats der Einheitsgemeinde Tangerhütte bereits angekündigt, die Umbenennung in einer Stadtratssitzung am Mittwoch ablehnen zu wollen. Alle Fraktionsvorsitzenden unterstützten demnach ein entsprechendes Positionspapier. Die Behauptung, der Name „Anne Frank“ sei Kindern schwer vermittelbar, zeuge „eher von einer Geschichtsvergessenheit der Verantwortlichen“, heißt es nach Angaben der „Welt“ in einer gemeinsamen Stellungnahme der Stadtratsfraktionen.
In einem offenen Brief kritisierte der Geschäftsführende Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, die geplante Umbenennung. Er richtete sich an die Tangerhütter: „Wenn, werte Bürgerinnen und Bürger in Tangerhütte, ich einen Rat zu erteilen hätte, würde ich Anne Frank raten, zu kämpfen und nicht wortlos und traurig davonzugehen, wenn sie erneut in ihrer deutschen Heimat davongejagt werden soll. Vielleicht überdenken Sie das Ganze ja noch einmal?“
Einen ähnlichen Fall hatte es bereits vor rund zwei Jahren gegeben: Nach einem öffentlichen Aufschrei wurde die „Anne Frank“-Kita im thüringischen Elxleben nicht umbenannt. Ausschlaggebend waren unter anderem Proteste aus der Jüdischen Gemeinde. Damals hatte der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, die Pläne als erschreckend bezeichnet. Auch damals brachte er das Argument des wachsenden Antisemitismus hervor.
„Das ist jetzt zwei Jahre her und wir haben wieder eine ähnliche Situation“, sagte Schramm am Montag. Die Jüdische Gemeinschaft halte die Forderung, am Namen „Anne Frank“ für die Kitas festzuhalten, aufrecht.