Nordseeküste Nordseeküste: Zu Fuß durchs Watt vor Baltrum

Baltrum/dpa. - Hier soll mehr Leben als im Urwald zu finden sein?Wattwanderführer Torsten Moschner macht vor der ostfriesischen InselBaltrum die Probe aufs Exempel. Bewaffnet mit einer großen Mistgabelund unter neugierigen Blicken sticht er in den weichen Untergrund desNordsee-Wattenmeeres und siehe da - der Sand lebt. Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer begeht in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum. Am 8. und 9. Juli wird in Neßmersiel an der Nordseeküstegefeiert und dabei auch Bilanz über die vergangenen Jahre gezogen.
Würmer, Muscheln, Schnecken, Kieselalgen und winzige Krebse habensich unter dem Boden versteckt. «Besonders eindrucksvoll ist für dieNeulinge der Wanderung oft, dass wenige Stunden vorher an gleicherStelle noch meterhoch das Wasser stand und sie jetzt über denMeeresboden laufen, über den sonst Schiffe fahren», sagt Moschner undnavigiert die 15 Mann starke Gruppe noch tiefer ins Watt. Dieverschlungenen Pfade der Reise führen über fast sechs Kilometer vonder kleinsten ostfriesischen Insel Baltrum zum Festland nachNeßmersiel. Luftlinie 4,5 Kilometer.
Im Juni hatten sich die drei Nordseeküsten-Nationalparke auf eineenge Zusammenarbeit im Tourismus verständigt. Die NationalparkeSchleswig-Holsteinisches, Hamburgisches und NiedersächsischesWattenmeer bilden mit zusammen mehr als 7300 Quadratkilometern diegrößte Nationalparkfläche des Kontinents. Bereits am 1. Oktober 2005hatte der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer das 20-jährige Bestehen gefeiert.
Das Baltrumer Watt ist eines der meist begangenen Watt-Gebiete inder Nordsee. «Watten-Autobahn» sagen die Kenner auch gern dazu. EineWattwanderung sollte man als Laie nicht unterschätzen: «Wer sich mitdem örtlichen Watt nicht auskennt, sollte auf keinen Fall alleinewandern. Die Nordsee ist tückisch und hat trotz Ebbe zahlreicheUntiefen oder andere gefährliche Stellen im Schlamm versteckt», soMoschner.
Daher mussten die derzeit 150 in der Nordsee tätigenWattwanderführer erst eine spezielle Ausbildung für die Führungenablegen. Die Lizenz zum Laufen erwirbt man sich, wenn man unteranderem das Gebiet zwischen Weser und Ems, die in der Nordseelebenden Arten, das Verhalten im Notfall und den Nationalpark gutkennt. Schließlich sind bis zu 4000 Tier- und Pflanzenarten auf denLebensraum Wattenmeer spezialisiert. Auch eine Zusatz-Ausbildung zum«Nationalpark-Wattführer» wird gemeinsam mit der Erwachsenenbildungangeboten.
Auf Moschners Wattwanderung steht jetzt das Herzmuschel-Wettrennenauf dem Plan. Dazu haben die Wanderer je eine Muschel aus demschlammigen Boden gepult und diese in eine kleine Pfütze geworfen.«Die Muschel, die zuerst im Boden verschwunden ist, hat gewonnen.»Eine Muschel, die sich bewegt? Zunächst passiert nichts. Plötzlichdrückt sich aus der Seite eine kleine weiße, fast durchsichtige Zungeaus der Schale, versinkt im Boden und die Muschel saugt sich damit inden Untergrund zurück. Großes Staunen in der Runde der Erwachsenen.«Etwas Neues vermitteln zu können, das macht am meisten Spaß. Vorallem Kinder sind so dankbar über diese Erfahrungen zum Anfassen. Dasist für mich das schönste Lob.»
Auf der Wattwanderstrecke befindet sich eine Miesmuschelbank, dieauch von der erst 2003 in die Nordsee eingewanderten pazifischenAustern bevölkert wird. «Das Problem ist, dass sie die Miesmuschelverdrängen könnte», erklärt Moschner. Die Austernbestände haben sichin den vergangenen drei Jahren nach Angaben des World Wide Fund ForNature (WWF) nahezu verzehnfacht. Das könnte auch für Wattwanderergefährlich werden, haben die Austern doch scharfe Kanten, die dienackten Wanderfüße schnell verletzen können.
Die letzten Meter der Wanderung Richtung Hafen führen durch tiefePriele, über üppige Muschelbänke und durch tiefen Schlick -Fußsohlen-Massage und Waden-Training inklusive. Mit einem schlechtausgeprägten Gleichgewichtssinn wird man dabei nicht nur nass,sondern auch dreckig. Am Festland angekommen, haben die Teilnehmereiniges über das Watt, den Nationalpark und die Natur gelernt.Biologie- und Geologie-Unterricht zum Anfassen und Staunen eben.