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Erdbeben in Italien Norcia: Erdbeben in Italien - Die Zerstörung der Basilika San Benedetto ist eine Katastrophe für Umbrien

Von Markus Decker 30.10.2016, 20:55
Die Reste der Basilika San Benedetto in Norcia
Die Reste der Basilika San Benedetto in Norcia ANSA

Am Sonntagmorgen fielen Nonnen und Mönche vor der zerstörten Basilika von Norcia auf die Knie. Sie flehten. Sie beteten. Vielleicht fluchten sie auch. Verzweifelt allesamt. Sollten sie geflucht haben, hat es ihnen der Herrgott gewiss verziehen. Denn wer jemals in der Kirche gewesen ist und den Gesängen der dortigen Benediktiner gelauscht hat, der hat – insofern er sakralen Gebäuden etwas abgewinnen kann –  einen schmerzhaften Verlust zu beklagen. Mit San Benedetto büßt die Stadt in Umbrien nicht nur einen touristischen Anziehungspunkt ein, sondern einen unverwechselbaren Ort – ja, hier ist das Wort angebracht, ihr Herz.

Italien ist bekanntlich voll mit Kirchen, vor deren Schönheit man erstarrt. In Verona, in Rom, in Neapel. Wo auch immer. Allerdings werden diese Kirchen brutaler denn je zu Opfern der modernen Welt. Ahnungslose Menschen gehen nicht mehr hinein, um Kunstwerke zu bestaunen und die Atmosphäre in sich aufzusaugen, geschweige denn, um ein Vater unser zu sprechen. Nein, sie erniedrigen Kruzifixe, Ölbilder und Fresken zu Objekten ihrer hochgerüsteten digitalen Technik. Ist alles abfotografiert, ziehen die Menschen – Heuschrecken gleich – weiter. Allen voran im Petersdom, dessen Besucher sich längst glücklich schätzen dürfen, wenn sie nicht von einer Selfiestange erschlagen werden. Als ließe sich das machen: ein Selfie mit Gott.

In Umbrien ist das anders, weil das Gros der Touristenströme in der Toskana hängen bleibt, um von dort womöglich in die Hauptstadt weiter zu ziehen – so es nicht ohnehin Küsten und Strände im Visier hat. Umbrien ist Geheimtipp geblieben, obwohl es viel bietet: in Orvieto, in Perugia, in Spoleto, in Todi – in Assisi, natürlich. Liebliche Landschaften, wunderbare Kathedralen. Norcia wiederum liegt, jedenfalls für Besucher, die von Westen kommen, noch einmal etwas abgeschiedener. Zufällig verirrt sich niemand hierher. Eine einspurige Straße schlängelt sich durch eine herrlich grüne Mittelgebirgslandschaft, an deren Ende man an der Stadtmauer zum Stehen kommt. Wer die zahlreichen Läden hinter einem der Eingangstore mit ihren ebenso üppigen wie einladenden Auslagen an Trüffeln, Würsten und Linsen hinter sich gelassen hat, steht sehr bald auf der Piazza San Benedetto mit der gleichnamigen Basilika – heute muss man starr vor Schrecken sagen: stand.

Für die Sache, nicht für den Effekt

Das Gebäude aus dem 13. Jahrhundert mit der gotischen Fassade strahlte im Inneren Wärme aus. Vor allem konnte man hier den Glauben nicht nur sehen, sondern hören. Regelmäßig in den frühen Abendstunden zogen Benediktiner mit ihren braunen Kutten und meist kurz geschorenen Haaren aus dem angrenzenden Kloster in den Chorraum ein, erst einer, dann zwei, dann drei, bis ein rundes Dutzend versammelt war – einer zunächst lediglich den Mönchen bekannten Choreographie folgend. Ihre Choräle hatten etwas ebenso Schönes wie Besänftigendes. Und wenngleich es sich objektiv um eine Aufführung handelte, so war es doch keine. Die da vorne taten es um der Sache, nicht um der Effekte willen.

Das Publikum, das es ebenso ernst meinte, war spärlich, Digitalkameras weit und breit nicht zu sehen – und Selfiestangen unvorstellbar. Hier wussten alle, dass man Gott nicht knipsen kann. So wie die Mönche kamen, so gingen sie auch wieder, erst einer, dann zwei, dann drei – bis das Dutzend die Bühne wieder verlassen hatte. Vereinzelt blieben sie stehen, um ihnen bekannte Menschen zu begrüßen, meist waren es gläubige Frauen, die aus dem Ort zu stammen schienen. Zurück blieb Stille.

Ein unvergleichliches Schauspiel

Alle wussten: Das in Norcia dargebotene Schauspiel war in dieser säkularen Welt unvergleichlich und darum kostbar. Ihm beiwohnen zu können, war ein Privileg, das man gern in den Alltag hinüber gerettet hätte. Hier fand das Leise Gehör und setzte sich, selten genug, gegen das Laute durch. Dabei war der Vorgang so spektakulär, weil er so unspektakulär daher kam.

Touristen mögen über den Verlust hinweg kommen. Nonnen und Mönche von San Benedetto kaum. Für sie war die Basilika ein spirituelles zu Hause, das an seinen Mauern nicht endete. Es ist unwiederbringlich verloren.