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Niedersachsen Niedersachsen: Vorwürfe nach den Morden in Bodenfelde

Von Jürgen Voges 28.11.2010, 12:38
Die Schleifen eines Kranzes liegen auf dem Grab von Tobias auf dem Bodenfelder Friedhof. (FOTO: DPA)
Die Schleifen eines Kranzes liegen auf dem Grab von Tobias auf dem Bodenfelder Friedhof. (FOTO: DPA) dpa

Hannover/Bodenfelde/dapd. - Die Polizei hat den mutmaßlichenMörder von Bodenfelde schon vor seinen Taten verhaften wollen,konnte aber keinen Sicherungshaftbefehl erwirken. Nach Angaben desniedersächsischen Justizministeriums nahm die Polizei den26-jährigen Jan O. am 4. November wegen fahrlässiger Brandstiftungvorläufig fest und bemühte sich bei der zuständigenStrafvollstreckungskammer vergeblich um einen Haftbefehl. «DieInhaftierung eines Menschen ist an sehr strenge Voraussetzungengebunden, die bei Jan O. zum damaligen Zeitpunkt nicht vorlagen»,sagte Ministeriumssprecher Georg Weßling am Sonntag in Hannover.

Bodenfeldes Bürgermeister Hartmut Koch erhob wegen des nichterlassenen Haftbefehls Vorwürfe gegen die zuständigeStaatsanwaltschaft. «Wenn vor drei Wochen Jan O. festgesetzt wordenwäre, würden beide Kinder noch leben», sagte Koch in derNDR-Fernsehsendung «Hallo Niedersachsen». Die Polizei habe «bald aufKnien bittend» versucht, bei der zuständigen Staatsanwaltschafteinen Antrag auf Haftbefehl zu erwirken. Die Staatsanwaltschaft habeaber keinen Antrag gestellt.

Zwtl: Justiz sah kein Gewaltpotenzial

Bei Jan 0. war nach Justizangaben eine Reststrafe zur Bewährungausgesetzt. Zuständig war für ihn die Strafvollstreckungskammer desLandgerichts Stade. Einen Tag nach der Festnahme wegen fahrlässigerBrandstiftung habe sich die Kripo Northeim wegen einesSicherungshaftbefehls telefonisch an die Strafvollstreckungskammergewandt, sagte die Sprecherin des Stader Gerichts, Petra Baars, aufdapd-Anfrage und bestätigte einen Bericht des Nachrichtenmagazins«Der Spiegel». Die Strafvollstreckungskammer habe dann Kontakt mitder zuständigen Staatsanwaltschaft Lüneburg aufgenommen.

Für Kammer und Staatsanwaltschaft seien jedoch fahrlässigeBrandstiftung und Alkoholmissbrauch keine ausreichenden Gründe fürErlass eines Sicherungshaftbefehls gewesen. Dieser dürfe mit Blickauf einen drohenden Widerruf der Bewährung wegen Fluchtgefahr oderwegen Gefahr schwerer neuer Straftaten erlassen werden. «Es gab beiJan O. keinerlei Hinweise auf ein Gewaltpotenzial», betonteRichterin Baars. Die Strafvollstreckungskammer habe nachzusätzlichen Berichten über Diebstähle des 26-Jährigen schließlichfür den 25. November ein Gespräch über eine Unterbringung in einergeschlossenen Entziehungsanstalt angesetzt. Am 25. befand sich JanO. dann aber bereits wegen der beiden Morde in Untersuchungshaft.

Zwtl: Bodenfelde gibt 13-jährigen Tobias letztes Geleit

Ministeriumssprecher Weßling bestätigte zudem, dass Jan O. imSommer zeitweise für seinen Therapeuten nicht erreichbar war, obwohler sich wegen seiner Drogen- und Alkoholsucht betreuen und seinenUrin regelmäßig kontrollieren lassen musste. Der 26-Jährige habezudem einen Termin mit seiner Bewährungshelferin nicht eingehalten.Bei einem unangemeldeten Besuch der Bewährungshelferin habe er danneine neue Handy-Nummer angegeben und sei wieder erreichbar gewesen.Außerdem habe man Ende Oktober eine Anhörung angesetzt. «Bei derAnhörung im Beisein eines Arztes gab es keine Anhaltspunkte, dassJan O. eine Gefahr für sich selbst oder andere Menschen darstellte»,sagte Weßling zudem.

Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde am Wochenende inBodenfelde der getötete 13-jährige Tobias beigesetzt. Mehrerehundert Menschen nahmen an einem Trauergottesdienst teil. PastorMark Trebing sagte in dem Gottesdienst: «Wir suchen einen Raum fürunsere Wut.» Der gesamte Ort rücke zusammen und trauere.Feuerwehrleute standen dem getöteten Jungen Spalier.