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Neun Monate nach Stromausfall Neun Monate nach Stromausfall: Entbindungsstationen haben alle Hände voll zu tun

Von Thomas Tacke 25.08.2006, 09:54

Münster/dpa. - «Paul-Hugo ist mein erstesKind, ich freue mich wirklich sehr», erzählt sie strahlend. Vor neunMonaten habe sie es sich mit ihrem Mann zu Hause in Rheine inNordrhein-Westfalen gemütlich gemacht - genau zu dem Zeitpunkt, alsdas verheerende Schneechaos über das Münsterland hereinbrach. DasErgebnis der stromfreien Tage zeigt sich derzeit auf denEntbindungsstationen der Krankenhäuser.

250 000 Menschen in den Kreisen Steinfurt, Borken und Coesfeldwaren im November tagelang ohne Strom. Bei Kerzen und Kaminfeuernrückten viele offenbar enger zusammen. Einige Krankenhäuser undStandesämter im Münsterland melden derzeit deutlich mehr Geburten alssonst. Bei der Schwangerschaft von Alice Dircks habe das Wetterchaosdurchaus Pate gestanden. «Ich kam von einer Dienstreise und hattemeinen Mann drei Wochen lang nicht gesehen», sagt die junge Mutter.Wegen der Schneemassen hätten die beiden nichts unternehmen können.«Dann kann man sich ja vorstellen, was man macht.»

Andere Paare im Münsterland dachten offenbar ähnlich. In derKreisstadt Steinfurt wird im September mit deutlich mehr Entbindungengerechnet. «Wir haben monatlich etwa 50 Geburten. In den nächstenWochen werden es wahrscheinlich 65 sein. Das lag wohl amStromausfall», sagt Standesbeamtin Gudrun Frahling. Einenvergleichbaren Baby-Zuwachs habe es in den vergangenen acht Jahrennicht gegeben. In Zeiten sicherer Verhütungsmittel und modernerFamilienplanung sei eine solche Entwicklung natürlich ungewöhnlich.«Aber vielleicht haben sie die Dinger im Dunkeln ja nicht gefunden»,meint die Standesbeamtin schmunzelnd.

Auch im Krankenhaus von Ahaus sprechen die Mitarbeiter schon von«Schneechaos-Kindern». In anderen Orten hingegen sind dieGeburtenzahlen im Vergleich zu anderen Jahren eher zurückgegangen,heißt es. Mehr Geburten seien auch in den nächsten Wochen nicht zuerwarten. «Dass ein Stromausfall neun Monate später zum einemBabyboom führt, ist vielleicht auch ein bisschen weit hergeholt»,sagt die Coesfelder Standesbeamtin Marianna Wiesmann und wiegelt ab.

Noch mehr Zweifel hat Stephan Schonhoven, Sprecher desMarienhospitals Steinfurt. «Ich bin sehr skeptisch, dass bei eisigerKälte und ohne Lebensmittel überhaupt die richtige Lust aufkommt.»Für eine Schwangerschaft müssten zahlreiche Faktoren stimmen. «EineBefruchtung klappt nicht so einfach. Oder soll der Stromausfall jetztauch noch den Eisprung der Frau ausgelöst haben?», merkt Schonhovenironisch an. Manfred Wiggenhorn vom Ordnungsamt Ochtrup hatte imNovember für Romantik bei Kerzenschein sowieso nicht viel übrig. «Ichwar im Katastrophenschutz, da hatte ich für so etwas keine Zeit.»

In den USA scheiden sich ebenfalls bis heute die Geister, ob dergroße Blackout in den sechziger Jahren in New York und anderen großenStädten des Nordostens zu einem Babyboom geführt hatte. Der gleichenDiskussion im Münsterland steht Stromversorger RWE Westfalen-Weser-Ems, dessen Masten im November zusammenbrachen, ganz neutralgegenüber: «Die Menschen hatten eine schwierige Zeit. Wenn jetzt dortmehr Kinder geboren werden, ist das doch ein positives Ergebnis einerunschönen Erinnerung», meint Pressesprecher Klaus Schultebraucks.

Eine Schwangerschaft bis zu zehn Monate (40 Wochen) nach derBefruchtung dauern. Bis Ende September könnten also noch weitere«Schneechaos-Kinder» im Münsterland das Licht der Welt erblicken.

Umgeknickte Strommasten stehen auf einem Feld bei Laer in der Nähe von Münster (Archivbild vom 28.11.2005). (Foto: dpa)
Umgeknickte Strommasten stehen auf einem Feld bei Laer in der Nähe von Münster (Archivbild vom 28.11.2005). (Foto: dpa)
dpa