Mordprozess gegen Berliner Raser Neuer Mordprozess gegen Raser vom Kurfürstendamm in Berlin begonnen

Berlin - Maximilian Warshitsky kommt an diesem Dienstagmorgen als letzter Prozessbeteiligter. Er hält eine Wasserflasche in der Hand. Bevor er sich durch die vielen wartenden Kameraleute drängt und im Saal 700 des Berliner Kriminalgerichts verschwindet, sagt er noch, er wolle endlich abschließen können. „Emotional bin ich wieder voll geladen“, erzählt der 37-Jährige. Alles komme wieder hoch: die Erinnerungen, die Gefühle. „Es geht hier schließlich um meine Familie.“
Maximilian Warshitsky ist – wie sein Bruder, der nicht im Gericht erscheint – Nebenkläger in Runde zwei, wie er das neue Verfahren um den Tod seines Vaters nennt. Michail Warshitsky, ein 69 Jahre alter Arzt im Ruhestand, starb in der Nacht zum 1. Februar 2016, als er mit seinem Wagen bei Grün von der Nürnberger Straße auf die Tauentzienstraße einbiegen wollte und vor einem Raser erfasst wurde, der sich mit einem anderen Fahrer ein illegales Autorennen über den Kurfürstendamm geliefert hatte. Hunderte PS hatten die beiden jungen Männer über die 3,4 Kilometer lange „Rennstrecke“ getrieben und dabei mehrere rote Ampeln missachtet.
In einem ersten Verfahren vor dem Berliner Landgericht wurden die beiden Raser Hamdi H. und Marvin N. im Februar 2017 überraschend wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt – erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte bei so einem Delikt. In vergleichbaren Fällen waren Angeklagte bis dahin lediglich der fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil jedoch mit allen Feststellungen auf und verwies es an eine neue Strafkammer in Berlin zurück. Die Akten landeten bei Peter Schuster, dem Vorsitzenden Richter der 40. Großen Strafkammer.
Das öffentliche Interesse ist riesig
Nun also Runde zwei, die wegen des immer noch herrschenden riesigen öffentlichen Interesses im größten Saal des Kriminalgerichts beginnt. Und in der durchaus nicht ausgeschlossen ist, dass es wieder ein Mordurteil wird, das dann möglicherweise erneut beim BGH landet.
Hamdi H. ist inzwischen 29 Jahre alt. Er sitzt mit blassem Gesicht zwischen seinen beiden Anwälten und sucht bekannte Gesichter im Publikum. Ab und zu huscht ein erkennendes Lächeln über sein Gesicht. Sein hochmotorisierter Audi A6 war es, der in jener Tatnacht in den Jeep von Michail Warshitsky krachte – bei Tempo 160 bis 170.
Marvin N. ist 26 Jahre alt. Er fuhr bei dem illegalen Straßenrennen einen Mercedes AMG CLA. Sein Bärtchen, das er noch im ersten Prozess trug, ist mittlerweile zu einem Vollbart geworden. Beide Angeklagten sitzen seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Auch das Urteil des BGH im März dieses Jahres änderte daran nichts.
Befangenheitsantrag vor Prozessbeginn
Marvin N.’s Anwalt hatte zwar die Entlassung seines Mandanten aus der Haft beantragt. Doch bei dem 26-Jährigen, der eigentlich nicht unmittelbar an der Kollision beteiligt war, lehnten die Richter der nun zuständigen 40. Schwurgerichtskammer die Freilassung ab. Begründung: Es gebe noch immer einen dringenden Tatverdacht des Mordes, es bestehe daher Fluchtgefahr. Und sie erklärten, dass sich im neuen Prozess die Feststellungen aus dem erstinstanzlichen Urteil in den „entscheidungserheblichen Punkten“ bestätigen würden.
Um diesen Beschluss geht es auch in Runde zwei. Noch bevor der Prozess vor der 40. Schwurgerichtskammer so richtig beginnt, stellt Rainer Elfferding, der Anwalt von Marvin N., einen Befangenheitsantrag. Fast jeder im Saal rechnete damit.
Sein Mandant habe die Sorge, dass die Richter nicht unvoreingenommen seien, das Urteil bereits feststehe bevor der Prozess überhaupt angefangen habe und Marvin N. erneut wegen gemeinschaftlichen Mordes verurteilt werde. Der Beschluss der Kammer, Marvin N. weiter in Untersuchungshaft zu lassen, begründe sich auf das Urteil der ersten Instanz – das doch aber vom BGH vollständig aufgehoben worden sei. Die Richter hätten sich über das BGH-Urteil eklatant hinweggesetzt. Elfferding spricht sogar von Tricks, mit denen die neuen Richter die vom BGH aufgebauten Hürden umschiffen wollten.
„Ein Angriff auf die Ehre der Richter der 35. Großen Strafkammer“
Der BGH hatte bei der Aufhebung des ersten Urteils zwar nicht ausgeschlossen, dass es sich im Fall der Kudamm-Raser um Mord handeln könnte. Doch reichten ihm die Gründe für eine Verurteilung zu lebenslanger Haft durch die 35. Große Strafkammer nicht aus. Nicht für die Mittäterschaft von Marvin N. Nicht für den Tötungsvorsatz beider Verurteilten.
Bei einem Vorsatz muss es dem Autofahrer egal sein, ob er mit seiner Fahrweise jemanden tötet, sogar sich selbst. Und es muss zum Zeitpunkt des gefassten Tötungsvorsatzes noch Zeit sein, um zu reagieren. Im Urteil der 35. Großen Strafkammer hieß es jedoch, die Angeklagten hätten erst in der Todeskreuzung den Vorsatz gefasst. Sie seien da allerdings „absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren“.
Viereinhalb Monate vor Runde zwei hätten die neuen Richter laut Elfferding getrickst. Sie hätten den Tötungsvorsatz nicht mehr in der Kollisionskreuzung gesehen, sondern um 250 Meter vorverlegt. Damit, so die Richter, hätten die Angeklagten Zeit gehabt, zu reagieren. Elfferding wirft den Richtern der neuen Schwurgerichtskammer vor, deren Kollegen von der 35. Großen Strafkammer rehabilitieren zu wollen. „Das BGH-Urteil war ein Angriff auf die Ehre der Richter der 35. Großen Strafkammer“, erklärt der Anwalt. Die Begründung des Mordurteils habe in den Augen der neuen Richter nur versehentlich Fehler aufgewiesen, die nun ausgebügelt würden. Die Richter hätten sich zu eindeutig geäußert, als dass Marvin N. noch auf eine Meinungsänderung hoffen könnte.
Richter: Auto als Mordwaffe genutzt
Trotz des Antrags lässt der Vorsitzende Richter Peter Schuster den Prozess weiterlaufen und Staatsanwalt Christian Fröhlich kann die Anklage verlesen. Er geht bei beiden Angeklagten erneut von Mord aus niedrigen Beweggründen aus, begangen mit einem gemeingefährlichen Mittel – das Auto als Mordwaffe.
Später gibt der Vorsitzende Richter Schuster noch eine Erklärung ab. Die Kammer werde bei einer erwiesenen Täterschaft der Angeklagten zu prüfen haben, ob es sich um eine vorsätzliche oder eine fahrlässige Tat gehandelt habe. Und er gibt einen rechtlichen Hinweis: Für Hamdi H. und Marvin S. komme auch eine Verurteilung wegen gemeinschaftlich begangenen Totschlags in Betracht. Ob Peter Schuster den Fall der Kudamm-Raser weiterverhandelt, muss indes eine andere Strafkammer entscheiden. Die Entscheidung soll wohl am Freitag verkündet werden.
„Die einzige Hoffnung ist, dass wir irgendwann die Gewissheit haben, was wirklich vorgefallen ist“, sagt Maximilian Warshitsky, der Sohn des getöteten Autofahrers. Der 37-Jährige will endlich ein Urteil, das Bestand hat. Warshitsky kündigt an, an jedem der bisher geplanten 19 Verhandlungstage im Gerichtssaal sitzen zu wollen.