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Nach dem Absturz von Germanwings-Flug 4U9525 Nach dem Absturz von Germanwings-Flug 4U9525: "Da sind Lebensentwürfe zerstört worden"

Von Fabian Klask 25.03.2015, 15:44
Am Gymnasium in Haltern trauern Jugendliche um ihre verunglückten Mitschüler.
Am Gymnasium in Haltern trauern Jugendliche um ihre verunglückten Mitschüler. Getty Images Lizenz

Haltern am See - Ulrich Wessel, der Schuldirektor des Halterner Joseph-König-Gymnasium spricht konzentriert, manchmal sucht er nach Worten: Doch bei jedem Satz, den der Schulleiter sagt, ist zu spüren, dass sich da jemand bemüht, anderen Halt zu geben und selbst Haltung zu bewahren: „Wir müssen jetzt versuchen, die Trauer anzunehmen.“ Und er hoffe, dass das auch gelingt, sagt der Direktor, er ist die knapp 200 Meter von seiner Schule zur Pressekonferenz ins Rathaus gekommen. Das Gymnasium wollen sie auch am Tag nach der Flugzeug-Katastrophe schützen, als Ort der Trauer „für unsere Schulgemeinde“, wie Wessel sagt. Dann erinnert sich der Direktor an ein Gespräch, das er am Dienstag wenige Stunden nach dem Unglück geführt hat.

Wie viele Schüler sein Gymnasium habe, sei er von Journalisten gefragt worden, erzählt der Direktor. 1283, sei seine Antwort gewesen und dann habe er sich plötzlich – ganz technisch - korrigiert: „minus 16“.  16 Schüler und zwei Lehrerinnen hat das Joseph-König-Gymnasium beim Germanwings-Absturz in den französischen Alpen verloren. Sie waren auf der Rückreise von einem Spanischaustausch. Dass sie nicht mehr da sind, sei inzwischen irgendwie in seinem Kopf angekommen, fassen könne er es nicht. „Die Schule wird nicht mehr das sein, was sie mal war“, sagt Wessel.

Wege für die Trauer finden

Wie es dem Direktor, einem großen, schlanken Mann im Inneren geht, ahnt man, wenn er nicht spricht: Er blickt dann starr geradeaus, durch die gut 100 Journalisten hindurch, die ihn zur Atmosphäre in seiner Schule, zu seinen Plänen befragen.

In der 37000-Einwohner-Stadt Haltern versuchen sie am Tag danach, Wege für die Trauer zu finden: Am Morgen sind die Fahrradständer am Joseph-König-Gymnasium so gut belegt, wie vermutlich an jedem anderen, an jedem normalem Schultag: Sie sind alle zusammengekommen am frühen Morgen, haben in ihren Klassen über die Ereignisse gesprochen, wie NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann erzählt. Die Grünen-Politikerin ist am Mittwochfrüh nach Haltern gefahren. Danach gab es dann eine erste gemeinsame „Trauerbegegnung“ in der Schulaula. Viele Schüler und Lehrer hätten sich in den Armen gelegen und geweint, sagt Löhrmann.

Auch der Ehemann einer der beiden verunglückten Lehrerinnen war aus Münster nach Haltern gekommen. Sie versuchen sich Halt zu geben, irgendwie.  „Wir können den Schmerz nur teilen, und aus dem gemeinsamen Teilen kann ein wenig Trost erwachsen“, sagt Sylvia Löhrmann.  50 Psychologen und Notfallseelsorger versuchen am Joseph-König-Gymnasium zu helfen.

Sogar die Fahnen der „Weißen Flotte“ am Düsseldorfer Rheinufer hängen auf Halbmast. Wo sonst Touristen für eine Rundfahrt einschiffen, verlieren sich nur wenige Besucher. Am Tag nach der Flugzeugkatastrophe herrscht in der Landeshauptstadt eine gedrückte Stimmung.

Die meisten politischen Termine sind abgesagt. Die Ausschüsse im Landtag haben ihre Arbeit ausgesetzt. Ministerpräsidentin Kraft wird deshalb am Donnerstag auch nicht zur Konferenz mit ihren Länderkollegen nach Berlin reisen, heißt es es aus der Staatskanzlei.

Für die Opfer liegt seit dem Vormittag in der Bürgerhalle des Landtags ein Kondolenzbuch aus. Landtagspräsidentin Gödecke trägt sich als Erste ein: „Der Schmerz können wir den Familien, Angehörigen und Freunden nicht nehmen. Aber wir können diesen Schmerz teilen.“

Der Warnstreik im öffentlichen Dienst findet am Donnerstag wie geplant statt. Der Beamtenbund münzt seinen Protestzug allerdings in einen Schweigemarsch um. (hir)

Als er  gebeten wird die beiden Kolleginnen zu beschreiben, ringt der Schulleiter mit den Worten. „Sie waren sehr junge Kolleginnen“. Eine der Frauen habe vor einem halben Jahr geheiratet, die andere habe ihre Hochzeit schon geplant. „Da sind Lebensentwürfe von einem auf den anderen Tag zerstört worden“, sagt Wessel. Ein trauriges Detail, macht den Tag über in Haltern die Runde: Nur 16 Plätze hatte es gegeben für den beliebten Spanisch-Austausch. Die Namen derer, die jetzt in der Maschine saßen, waren per Los gezogen worden. „Das Interesse war viel größer“, sagt Löhrmanns Sprecherin.

„Kennst du jemanden?“

Die ganze Stadt stehe unter Schock, ist an diesem Mittwoch oft zu hören in Haltern, auf dem schönen Marktplatz, vor dem historischen Rathaus. Es könnte ein leerer Satz, eine Formulierung der Verlegenheit, doch er trifft die Stimmung, die auf den Straßen zu spüren ist: Da sind die vielen Menschen, die in die große St.-Sixtus-Kirche kommen, eine Kerze anzünden, sich ins Kondolenzbuch eintragen und manchmal noch ein stilles Gebet sprechen. Haltern ist leise an diesem Tag. „Kennst du jemanden?“, diese Frage ist immer wieder zu hören, bei denen, die in den Altstadtgassen stehen bleiben.

Die Stadt zwischen Ruhrgebiet und Münsterland, mit ihren großen Wäldern und ihren Seen, ist ein beliebtes Zuzugsgebiet von Gutverdienern aus den großen Städten. „Aber man kennt sich halt“, sagt einer, der gerade aus der Kirche kommt. Aus dem Sportverein, von den Schützen. Und so weiß auch fast jeder Halterner, welche Schüler in Germanwings-Flug 4U9525 saßen.  „Es gibt keinen Ortsteil der nicht betroffen ist“, erzählt der CDU-Landtagsabgeordnete Josef Hovenjürgen mit Tränen in den Augen. Zwei Familien hätten mit dem Absturz ihr einziges Kind verloren, sagt Hovenjürgen.

Wie es in den nächsten Tagen weiter gehen soll, das weiß auch er noch nicht. Eine offizielle Trauerfeier, ja, die müsse es irgendwann geben, aber noch nicht jetzt. „Wir planen gerade nur von Stunde zu Stunde“, sagt Bürgermeister Bodo Klimpel. Die vielen Kondolenz-E-Mails, die ihn seit Dienstag erreicht haben, die hat er erstmal nur am Rande wahrgenommen. Der Bürgermeister appelliert am Mittwoch auch an die Medien, die mit dutzenden Übertragungswagen aus ganz Europa die Kleinstadt belagern: Die Schule müsse für die Öffentlichkeit absolutes Tabu bleiben. Einigen Schülern, erzählen sie, sei schon Geld geboten worden, wenn sie Bilder aus dem Gymnasium machen würden. „Es gab Grenzüberschreitungen“, sagt Klimpel.

Das Joseph-König-Gymnasium, es soll in den nächsten Tagen, weiterhin der Ort bleiben, an dem man gemeinsam Trauern kann. „Die Klassen sollen auf jeden Fall zusammenbleiben“, sagt Schulministerin Löhrmann. Auch für die Osterferien, die am Freitag beginnen, will man eine Betreuung organisieren.

Am Nachmittag stehen noch immer viele Jugendliche in Gruppen auf dem kleinen Schulhof des Gymnasiums, haben Kerzen oder Blumen in der Hand. Irgendwer hat ein großes Schild gemalt und an eine Tischtennisplatte gelehnt: „Gestern waren wir viele, heute sind wir allein“, steht da.

Schulleiter Ulrich Wessel bei der Pressekonferenz im Rathaus.
Schulleiter Ulrich Wessel bei der Pressekonferenz im Rathaus.
Getty Images Lizenz
Die Schule wird geschützt und von den Medien abgeschirmt.
Die Schule wird geschützt und von den Medien abgeschirmt.
AFP Lizenz
Bürgermeister Bodo Klimpel
Bürgermeister Bodo Klimpel
AP Lizenz
Ein Schild, das die Mitschüler des Joseph-König-Gymnasiums gemalt haben
Ein Schild, das die Mitschüler des Joseph-König-Gymnasiums gemalt haben
AFP Lizenz