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Momentaufnahme in München Momentaufnahme in München: Aggressionen und düstere Gedanken machen sich breit

Von Thomas Magenheim 24.07.2016, 08:47
Blumen und Kerzen am Tatort des Amoklaufs in München.
Blumen und Kerzen am Tatort des Amoklaufs in München. dpa

München - Es ist ein drückend schwüler Abend in München an diesem Freitag. Im Freien tobt das Leben auf dem Kulturfestival Tollwood und auch bei einem Bierfest am Münchner Odeonsplatz mitten im Stadtzentrum. Wer dort zu Besuch ist, blickt zwischen 18 und 19 Uhr immer wieder einmal nach oben zum dunkler werdenden Himmel. Ungemach droht. Aber nicht wirklich von dort.

Erste Gerüchte machen die Runde, Handys werden gezückt. „Schießerei im Olympia-Einkaufszentrum, drei Terroristen mit Maschinengewehren, 14 Tote“, sagt jemand. Es soll nicht die letzte Nachricht mit Halbwahrheiten sein an diesem Abend. Die Stimmung im unmittelbaren Umfeld gefriert. Erste Polizei-Hubschrauber knattern über dem Platz, wo es jetzt auch leicht zu nieseln beginnt.

Sirenen heulen von überall

„Scheiße“, sagt jemand. Betretene Blicke überall. Was tun? Bleiben, gehen, wohin? Die U-Bahnen fahren mittlerweile nicht mehr. Bald danach ist auch der S-Bahnverkehr eingestellt. Busse und Trambahnen ohne Fahrgäste. Taxifahrer dürfen niemanden mehr  mitnehmen. Schnell ist klar, dass man in der eigenen Heimatstadt gestrandet ist. Per Lautsprecher werden am Odeonsplatz Sicherheit versprechende Schutzorte mitgeteilt, wo man sich sammeln kann. Das Bierfest schließt. Sirenen heulen nun von überall – Polizeiautos und Krankenwagen. Der Ernst der Lage wird spürbar. Er kriecht in die Knochen.

Neue Mitteilungen über soziale Medien. Schießerei auch am Stachus, keinen Kilometer Luftlinie entfernt. Eine Falschmeldung. Aber das weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Angeblich drei Täter mit Langwaffen auf der Flucht. Hauptbahnhof evakuiert. Menschen setzen sich in Bewegung. Unkoordiniert wenn auch ohne Panik, die es anderorts in München sehr wohl gibt. Niemand weiß, wo es wirklich sicher ist. Kaum macht man einen Schritt, kommt eine neue Hiobsbotschaft in Richtung des geplanten Wegs.

„Ich geh jetzt heim und hol meine Pistole“

Östlich zur Isar hin scheint die Luft rein zu sein. Dort gibt es auch Fußwege den Fluss entlang bis zu eigenen Wohnung. Das sollte doch machbar sein. Unterwegs eine Gruppe Jugendlicher. „Ich geh jetzt heim und hol meine Pistole und dann erschieß ich jeden, der blöd kommt“, sagt ein zu seiner Freundin. Er sieht nicht so aus, als ob er einen Waffenschein hätte oder überhaupt schon volljährig ist. Wer alles Waffen hat, in dieser Stadt, kommt einen als Frage in den Sinn und natürlich, ob er das ernst meint oder nur aus Unsicherheit heraus prahlt.

An der Isar ist alles ruhig und dunkel. Es ist jetzt fast 22 Uhr und es fahren ungefähr so viele Autos wie wochentags um drei Uhr früh, also sehr wenige. Dabei tobt hier eigentlich an einem Freitag abend das Leben. Immer wieder heulen Sirenen in der Ferne. Eine Straßenkreuzung ist von vermummten Polizisten gesperrt. Blaulicht flackert. Passanten werden immer weniger. Gute Idee mit der Isar. Außer natürlich die Attentäter sind auf die gleiche Idee gekommen, um zu fliehen. Zu diesem Zeitpunkt ist noch von drei Schützen die Rede. Der Heimweg verläuft zunehmend in mulmiger Stimmung wenn auch ohne richtige Angst.

Alle Schwarzen an die Wand stellen

Ein Radfahrer nähert sich und spricht vor sich hin oder in die Freisprecheinrichtung seines Smartphones. In der Dunkelheit ist das nicht zu erkennen. „An die Wand stellen. Alle Schwarzen an die Wand stellen.“ Dann ist er außer Hörweite. Nur so dahingesagt vielleicht, in der ersten Betroffenheit. Oder auch nicht. Das Blutbad, für das kein Schwarzer verantwortlich war, auch kein Islamist oder Terrorist, hat mehr verändert in dieser Stadt, als auf einen Blick sichtbar wird. 

Man muss den Menschen zuhören, um zu begreifen, was sich geändert hat – kurzfristig oder für immer, bei vielen oder wenigen? Und nun kriecht doch so etwas wie Angst in einem hoch. Die eigenen vier Wände sind nach zwei Stunden Fußmarsch durch die Dunkelheit auch der eigenen Gedanken ein Stück Zuflucht geworden. Das war vorher nicht so.