Wettstreit der Dichter Mit 80 auf der Poetry-Slam-Bühne
Klaus Urban aus Hannover ist Professor, Musiker, Schriftsteller und Künstler. Im Alter entdeckte er seine Leidenschaft für Poetry-Slam und wurde sogar Landesmeister. Was gibt ihm das Publikum zurück?
Hannover - Sobald Klaus Urban das Mikrofon in der Hand hat, gehört die Bühne ihm. Er setzt sich seine Brille auf, die zuvor über sein Hemd baumelte und liest seinen Text „MANNOMANN“ vor - Zeilen, die er Männern sowie auch Frauen widmet. Es ist einer seiner vielen Texte, die tiefgründiger sind, eine Botschaft vermitteln und das Publikum auch zum Lachen bringen. Seine Ideen für die Texte, die er bei Poetry-Slams vorträgt, entstehen an unterschiedlichen Orten, erzählt der Künstler, zum Beispiel, wenn er in der Sauna sitzt. Auf der Bühne in dem Kulturhaus Hölderlin Eins in Hannover trägt der Dichter heute Lederjacke, ein blaues Halstuch und einen großen schwarzen Hut.
Urban ist 80 Jahre alt und emeritierter Professor für Sonderpädagogische Psychologie. Doch zur Ruhe kommen will er nicht. Das war noch nie seins. „Ich muss eigentlich immer aktiv sein“, sagt er in seiner Wohnung in Hannover. Um ihn herum sind sorgfältig sortierte Bücherregale und Auszeichnungen aus seiner langen wissenschaftlichen Karriere. Der Bruder des langjährigen deutschen ESC-Kommentators Peter Urban veröffentlicht Gedichte, Songtexte und satirische Texte, hat zahlreiche Lieder geschrieben und komponiert sowie zum Thema Hochbegabung geforscht und publiziert.
Das „gesprochene Wort“, um das es auch beim Poetry-Slam geht, sei dabei „wie ein roter Faden“ in seinem Leben. Vor sechzehn Jahren - kurz vor seinem Ruhestand - habe er das Genre für sich entdeckt. Damals sah der Professor einen Aushang in einer Buchhandlung und entschloss sich kurzerhand, zu der Veranstaltung zu gehen. Erste Gedichte habe der in Bramsche und Quakenbrück aufgewachsene Mann aber schon mit 16 geschrieben, sagt er.
„Wer von Ihnen ist zum ersten Mal heute Abend bei einem Poetry-Slam?“, fragt Urban. An diesem Freitagabend moderiert er die Veranstaltung und hat die „Champions“ der Szene geladen. Einige Hände im Saal erheben sich. „Willkommen im 21. Jahrhundert“, sagt er mit einem Grinsen. „Das ist so eine moderne Form des alten bekannten Dichterwettstreits, den gab es ja schon im Mittelalter. Nur haben sie sich damals in das Herz des Burgfräuleins gesungen.“ Heutzutage kämpfen die Dichter um den Applaus. Denn am Ende entscheidet das Publikum, wer mit seinen Zeilen und seiner Darstellung gewinnt - und wer nicht.
Literatur könne man eigentlich nicht bewerten, meint Urban. „Aber es macht unheimlich Spaß, wenn das im Publikum passiert“, sagt er. Die ausgewählten Juroren aus den Zuschauerreihen könnten die Poetinnen und Poeten mit einer Punktzahl von eins bis zehn bewerten - Ausreißer fallen bei der Wertung raus. Die Regeln bei Poetry-Slams seien einfach: selbstgeschriebene Texte, ein Zeitlimit von fünf bis sieben Minuten und keine Hilfsmittel wie Kostüme, Requisiten oder Musikinstrumente. Ansonsten sei fast alles möglich.
„Poetry-Slam“ entstand Urban zufolge ursprünglich 1986 in der US-amerikanischen Stadt Chicago und verbreitete sich in den 1990er Jahren weltweit. Die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene sei die größte im internationalen Vergleich. 2016 wurde sie sogar in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.
„Wenn ich präsentieren will, dann muss das schon eine gewisse Form haben, die auch über diesen Moment hinaus hält und wichtig ist“, sagt Urban. Wieso er sich auch 15 Jahre nach seiner Pensionierung dafür begeistern kann? „Das ist toll, wenn Leute zu einem kommen und sagen: Das habe ich genauso erlebt und genauso gefühlt. Danke, dass Sie das angesprochen haben.“
2019 wurde Urban mit dem Text „Liebe ist eine Tätigkeit“ in Osnabrück Niedersächsisch-bremischer Landesmeister. Das Publikum habe er damals durch „Sprachkunst, Niveau und Inhalt“ absolut überzeugt, erinnert sich die deutschsprachige Poetry-Slam-Meisterin 2023, Theresa Sperling. Seit knapp zehn Jahren kennt sie Urban und saß damals oben in den hinteren Rängen des Osnabrücker Theaters. Er sei eine „wahre literarische Größe“ in der Poetry-Slam-Szene.
Ob man beim Publikum punktet, sei immer abhängig von vielen Faktoren, erzählt Sperling. Manchmal müsse man Glück bei der Reihenfolge haben, manchmal komme es auf die Stimmung der Zuschauer an. „Aber trotzdem ist es eben nicht nur Zufall“, sagt sie.
Poetry-Slam sei viel zugänglicher als andere literarische Ausdrucksformen, findet Sperling. „Das ist das Schöne.“ Gerade das begeistere sie daran. „Es kommen andere Leute, ganz andere Leute, als zu Lesungen.“ Jüngere Menschen und ein breiteres Publikum könnten erreicht werden. Sie habe den Anspruch, Inhalte durch Unterhaltung zu transportieren.
In Niedersachsen gibt es nach Aussage von Jörg Smotlacha etwa 40 bis 50 Poetry-Slams. Er ist Mitorganisator der niedersächsisch-bremischen Landesmeisterschaften. Wie viele dieser Wortwettbewerbe es deutschlandweit gibt, lasse sich schwer beziffern. Dem Veranstalter zufolge sind die niedersächsisch-bremischen Landesmeisterschaften mit 60 Auftretenden und Veranstaltungsteams und 1.500 bis 2.000 Besuchern das größte Szene-Treffen der beiden Bundesländer. Austragungsort wird dieses Jahr vom 27. bis zum 29. September Hannover sein.