Millionenbetrug bei Islamverband Millionenbetrug bei Islamverband: Frühere Milli-Görüs-Funktionäre stehen vor Gericht

Köln - Sie gehörten einst zur Führungsriege des Islamverbands Milli Görüs (IGMG) und sollen jahrelang den deutschen Fiskus und Zehntausende fromme Muslime um Millionen betrogen haben. Fünf Angeklagte nahmen am Montag auf der Anklagebank im Kölner Landgericht Platz - zu Beginn eines Mammutverfahrens um Steuerhinterziehung und Spendenbetrug.
Es geht um mutmaßlich verschwiegene Einkünfte etwa aus der Organisation von Pilgerreisen oder aus dem Verkauf von Gebetskalendern 2004 bis 2008. Aber auch um den politisch brisanten Vorwurf, 2005 bis 2009 Spendenmittel für Ankara abgezweigt zu haben.
Vier Angeklagte hätten Millionensummen von gläubigen Mitgliedern an den „Gründer und geistigen Vater“ der Milli-Görüs-Bewegung, Necmettin Erbakan, abgeführt, trug Staatsanwalt Renke Hoogendoorn in einer mehrstündigen Anklageverlesung vor. Erbakan war bis 1997 türkischer Ministerpräsident.
Elf Millionen Euro unbefugt fremdverwendet
Die vier damals in Spitzenpositionen der Internationalen Gemeinschaft Milli Görus tätigen Angeklagten hätten zehntausende Spender betrogen, die „eine wichtige religiöse Pflicht erfüllen“ wollten: Sie zahlten 100 Euro für Opfertiere zugunsten bedürftiger Muslime. Rund 30 Prozent - zusammen gut elf Millionen Euro - seien davon aber unbefugt fremdverwendet worden und größtenteils an Erbakan geflossen.
Das Gericht ging angesichts der vielen mutmaßlich Geschädigten und Zeugen von einem XXL-Verfahren aus und setzte zunächst 50 Termine bis März 2018 fest. Am Montag verfolgten zahlreiche türkische Beobachter den Strafprozess. Vier der Angeklagten haben die türkische Staatsangehörigkeit, zwei von ihnen zusätzlich die deutsche, einer hat nur einen deutschen Pass.
Einer der Anwälte, Mustafa Kaplan, sagte gegenüber Journalisten, für seinen Mandant sei das ein „politisch motivierter Prozess“. Er rechne in dessen Fall mit „einem lupenreinen Freispruch“. Man wolle das Gericht von der Unschuld aller fünf Angeklagten überzeugen. Zu den angeblich abgezweigten Geldern für den inzwischen gestorbenen früheren Regierungschef Erbakan äußerte er sich nicht.
Vier Angeklagte müssen sich auch wegen Steuerhinterziehung verantworten
Drei der angeklagten früheren Spitzenvertreter müssen sich zugleich wegen Spendenbetrugs und auch wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung verantworten. Je ein weiterer Angeklagter hat sich in „nur“ einem Komplex zu verantworten.
Gemeinschaftlich sollen ab 2004 vier Beschuldigte mehr als fünf Millionen Euro hinterzogen haben, schilderte Staatsanwältin Sylvia Penkaller. Die IGMG verstehe sich als Europa-Dachverband von Milli Görüs und als islamische Religionsgemeinschaft, sei aber nicht als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt und steuerpflichtig.
Der aktuelle IGMG-Geschäftsführer Bekir Altas verfolgte den Strafprozess, wollte aber auf Anfrage dazu nicht Stellung nehmen. Die 1985 in Köln gegründete IGMG gilt als einer der größten Islam-Organisationen in Deutschland und wird seit Jahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beobachtet.
Nach Durchsuchungen erneute Verbotsdebatte vor neun Jahren
Im Bericht von 2016 bescheinigt das BfV der IGMG aber einen Reformprozess. Deutschlandweit und dabei „regional in unterschiedlicher Intensität“ sei ein „schwächer werdender Extremismusbezug“ festzustellen. Nur wenige Bundesländer haben die IGMG noch im Auge.
Vor einigen Jahren hatte es hingegen noch eine Verbotsdebatte gegeben. Auslöser waren auch bundesweite Durchsuchungsaktionen gegen einzelne Vertreter der Bewegung Milli Görüs („Nationale Sicht“) 2008 und 2009 gewesen.
Ein IGMG-Spitzenvertreter hatte die Betrugsvorwürfe damals öffentlich scharf zurückgewiesen und moniert, damit werde „einer Stigmatisierung der Muslime im Allgemeinen und der IGMG im Besonderen weiterer Vorschub geleistet“. Am Montag lauschte auch er aufmerksam dem Kölner Strafprozess - als einer der fünf Angeklagten. (dpa)