Maria Höfl-Riesch Maria Höfl-Riesch: «Totaler Tunnel»

Halle (Saale)/MZ. - Sie müsse nur noch ihre Trainingseinheit beenden. - Training? In Berlin? Hier gibt es doch gar keine Berge! - Krafttraining, erklärt er. Die Unterhaltung wendet sich Maria Höfl-Riesch zu. Leicht hatte es die Sportlerin des Jahres 2010 zuletzt nicht. Sportlich lief es nicht optimal und auch die Rolle ihres Mannes und Managers Marcus Höfl wurde von Journalisten oft kritisiert. Zu viele Presse- und Sponsoren-Termine würde der für seine Frau vereinbaren, die deshalb ihr Training vernachlässige. Zumindest auf diesen Morgen treffen die Vorwürfe nicht zu. Maria Höfl-Riesch federt erst zwanzig Minuten später heran. Dann aber gibt es eine Entschuldigung in bayerischem Dialekt und mit einem Lächeln, so breit und fröhlich, dass man versteht, wieso sich die Sponsoren um diese Frau reißen.
Mit Maria Höfl-Riesch sprach Rudolf Novotny.
Frau Höfl-Riesch, ich muss Ihnen gleich zu Beginn etwas gestehen: Ich hasse Skifahren.
Höfl-Riesch: Wirklich? Wieso denn?
Es fängt schon bei der Kleidung an. Fünf Schichten übereinander! Man kann noch nicht einmal pinkeln gehen.
Höfl-Riesch: Dabei haben Sie es als Mann und normaler Skifahrer doch viel leichter! Da muss ja nur kurz mal die Hose runter. Ich trage immer diesen Anzug und muss erst mal obenrum alles ausziehen. Unangenehm, vor allem, wenn man irgendwo in der Pampa auf dem Berg steht, wo keine Toilette in der Nähe ist, wo es nicht einmal Bäume gibt. Vielleicht auch noch bei 15 Grad minus!
Was machen Sie da?
Höfl-Riesch: Entweder verkneifen oder die Zähne zusammenbeißen und hinter den nächsten Schneehügel gehen. (lacht)
Und sich dann aus den nassen, klammen Klamotten rausschälen … Das fand ich auch immer furchtbar.
Höfl-Riesch: Da kennen Sie die Skikleidung von heute schlecht. Wenn es nur ein bisschen schneit, ist das mit der Nässe kein Problem. Und wenn es heftig regnet oder schneit, gehen wir eh nicht raus oder fahren nur ganz kurz. Dass wir mal tropfnass durch die Gegend fahren, kommt sehr, sehr selten vor.
Freut mich für Sie. Was bei uns beiden ebenfalls ziemlich unterschiedlich verlief, ist die Skifahr-Karriere. Meine endete nach einem Knirps-Rennen, bei dem ich von der Spur abkam, in den Wald raste und in einer Schneewehe versank. Solche Niederlagen sind Ihnen wohl auch nicht bekannt?
Höfl-Riesch: Wenn man das Wort Niederlage im Sinne von: "Der zweite Platz ist der erste Verlierer" benutzt, dann kam das schon vor.
Ach! Zweiter Platz …
Höfl-Riesch: ... ist keine Niederlage, oder?
Nö.
Höfl-Riesch: Gut. Also: Ich war schon immer vorne mit dabei. Rennen sind meine große Leidenschaft, diese Herausforderung, die Schnellste zu sein. Obwohl ich auch das Skifahren an sich liebe. Sich in der Natur bewegen, die Berge, wenn alles frisch verschneit ist - faszinierend. Nur kann ich das in der Form leider nicht so oft genießen, weil das Fahren für mich als Profisportlerin meistens mit Druck und Stress verbunden ist.
Ich dachte, Rennen sind Ihre große Leidenschaft?
Höfl-Riesch: Vielleicht ist Druck auch das falsche Wort. Das hört sich so negativ an, nach Jammern und das mag ich gar nicht. Erwartungshaltung passt wahrscheinlich besser. Ich stehe da am Start, die anderen erwarten etwas von mir, und ich selbst ja auch.
In Ihrer Autobiographie "Geradeaus" schildern Sie, wie Sie bei der WM 2009 in Val-d'Isère am Start stehen. Es ist das letzte Rennen der WM. Sie haben entgegen aller Hoffnungen noch keine Medaille gewonnen…
Höfl-Riesch: Okay, das war Druck. Ich fahre in der Saison zwar jede Woche mindestens zwei Rennen, aber bei solchen Großereignissen, wo es nur diese eine Chance gibt, da kann man schon von Druck sprechen. Weil man weiß: Jetzt zählt es, jetzt geht es um alles.
Im Starthäuschen in Val-d'Isère denken Sie vor allem darüber nach, was die Journalisten schreiben, wenn Sie nicht gewinnen.
Höfl-Riesch: Ich war ziemlich angespannt durch die Dinge, die vorher passiert sind. Im Training war ich gestürzt, die Rennen liefen nicht gut, ich ärgerte mich über meinen damaligen Cheftrainer, der mich ganz schön zusammengestaucht hatte, und ständig fragten Leute: "Na, was ist? Heute, letzte Chance, da solltest Du doch noch was reißen, oder?" In so einer Situation denkst Du schon: Puh, wenn das nichts wird, was kann ich morgen wieder lesen?
Aber Sie fahren doch nicht für die anderen!
Höfl-Riesch: Es macht trotzdem keinen Spaß, in der Zeitung zu lesen: "Die Versagerin der Woche: Maria Riesch." Oder: "Fünfte Chance und wieder nichts!"
Wer hilft Ihnen in diesem Augenblick?
Höfl-Riesch: Wenn ich am Start stehe? Niemand. Ich muss das hinkriegen, ich alleine. Man hat Unterstützer, man hat Trainer, man hat das Team. Aber im entscheidenden Moment kommt es nur auf einen selbst an. Da kann einem keiner helfen.
Sie scheinen mit dem Druck umgehen zu können. In Val-d'Isère wurden Sie Weltmeisterin. Zwei Jahre später gewannen Sie den Ski-Weltcup und zweimal Gold bei Olympia in Vancouver. Seither werden Sie überschüttet mit Werbeverträgen und öffentlicher Sympathie. Zuletzt allerdings kritisierten einige Medien, dass Sie sich kaum mehr um Ihren Sport kümmern würden, sondern lieber Sponsorentermine wahrnähmen.
Höfl-Riesch: Der größte Unterschied sind die Erfolge und was sich daraus ergibt. Dadurch hat sich meine Organisationsstruktur, mein Management geändert. Das ist alles ein Vielfaches größer und professioneller als früher. Damit kamen einige Journalisten anscheinend nicht klar. Dabei ist das normal. Aber das heißt nicht, dass ich meinen Sport vernachlässige. Ich trainiere sechs Tage die Woche, habe an über 300 Tagen im Jahr Training oder Rennen.
Ist Fleiß für den Erfolg wichtiger als Talent?
Höfl-Riesch: Beides ist wichtig. Nur Talent reicht nicht - und nur mit Fleiß und Disziplin würde man es auch nicht schaffen.
In vielen Disziplinen gibt es neben Talent und Fleiß noch einen dritten Faktor: den Körperbau. Beim Radfahren geht es um Hebelkräfte, beim Boxen um die Reichweite.
Höfl-Riesch: Ich denke nicht, dass der Körperbau in unserem Sport eine große Rolle spielt. Bei den Mädels, die vorn mitfahren, gibt es jedenfalls alle möglichen Staturen und Figuren.
Es ist also nicht so, dass die kleine Dicke im Slalom besser ist und die lange Große...
Höfl-Riesch: …Nein. Die einzige Disziplin, wo auffällig viele Kleinere vorn dabei sind, ist Riesenslalom. Da muss man extrem wendig sein, um an den Toren vorbei zu kommen, und da sind natürlich die mit dem niedrigen Schwerpunkt und den kürzeren Hebeln im Vorteil.
Sie sind 1,80 Meter.
Höfl-Riesch: 1,82 Meter - Riesenslalom ist auch die einzige Disziplin, in der ich noch nie gewonnen habe. Aber das kommt vielleicht noch.
Ganz sicher. Schließlich trainieren Sie 300 Tage im Jahr dafür. Wie läuft das denn ab?
Höfl-Riesch: Kommt auf die Jahreszeit an. Von Mai bis Juli machen wir nur Konditionstraining. Da stehe ich um sieben auf, frühstücke und fahre zum Training. Von neun bis circa zwölf wird trainiert. Eine Einheit dauert zweieinhalb bis drei Stunden. Dann fahre ich wieder heim. Bisschen essen, bisschen Mittagspause - und am Nachmittag die nächste Einheit. Ausdauer, Kraft, Koordination - je nachdem.
Wie trainiert man Koordination?
Höfl-Riesch: Zum Beispiel mit einer Art Strickleiter, die auf dem Boden liegt. Die Felder zwischen den Sprossen bewältigt man in verschiedenen Schrittfolgen.
Machen Sie das jeden Tag?
Höfl-Riesch: Nein. Für jede Woche gibt es einen speziellen Trainingsplan. Die Trainer schauen darauf, dass der abwechslungsreich ist. Wenn also in der Früh zwei oder drei Stunden Ausdauertraining dran waren, folgen am Nachmittag Übungen für die Kraft. So, dass man nicht die ganze Zeit läuft oder auf dem Fahrrad sitzt.
Und im Winter fahren Sie dann einfach mit ihrem Trainer den Berg runter?
Höfl-Riesch: Entweder sind wir eine kleine Gruppe, da fährt der Trainer mit und die Fahrt wird hinterher im Lift analysiert, oder wir sind eine größere Gruppe, dann verteilen sich die Fahrerinnen über den Hang. Da ist die erste von uns fast schon wieder oben, wenn die Letzte fährt. In diesem Fall gibt der Trainer Korrekturen über Funk durch.
Fährt man für unterschiedliche Disziplinen unterschiedlich den Berg runter?
Höfl-Riesch: Auf jeden Fall. Die Kurssetzung ist ganz anders. Im Slalom oder im Riesenslalom, da fährt man schon mal irgendwo am Pistenrand und die Trainer achten drauf, dass niemand auf die Strecke kommt. Für die Abfahrt dagegen braucht es eine ganz große, abgesperrte breite Piste. Da haben wir teilweise über hundert Stundenkilometer drauf, da darf uns kein Tourist irgendwie reinfahren.
Aber auch ohne Touristen auf der Piste passieren doch genug Unfälle beim Skifahren.
Höfl-Riesch: Na ja. Bei mir waren es vor allem zwei Kreuzbandrisse, 2005 passierte das, die haben mich damals zurückgeworfen. Sonst hatte ich meist nur Kleinigkeiten.
Vor Ihnen auf der Piste ist auch schon eine Fahrerin tödlich verunglückt. Spielt das eine Rolle, wenn man die Piste runterrast?
Höfl-Riesch: Da denke ich an den nächsten Schwung, an das, was vor mir ist. Totaler Tunnel. Nein, beim Fahren spielt das keine Rolle.
...Aber?
Höfl-Riesch: … Wenn man am Start steht und das Rennen unterbrochen wird, weil einer anderen Fahrerin etwas passiert ist, und man muss warten und hört vielleicht noch den Hubschrauber. Das beeinträchtigt einen schon.
Wie geht man damit um?
Höfl-Riesch: Tja… Entweder hat man einen superguten Tag, ist voller Selbstvertrauen, kann es irgendwie ausblenden und gibt trotzdem Vollgas. Oder man ist etwas gehemmt und fährt auf Sicherheit. Das mit dem Gas geben ist für mich schon schwieriger als für jemanden, der noch nie eine große Verletzung hatte.
Die Gefahr, immer wieder Verletzungen, dauernd Training - warum machen Sie das?
Höfl-Riesch: Weil es meine Leidenschaft ist. Von klein auf. Ich stand mit zwei Jahren zum ersten Mal auf Skiern.
Hatten Ihre Eltern nie Angst um Sie?
Höfl-Riesch: Die haben immer Angst um mich, auch heute noch. Angstschweiß und Sorgen.
Hätten Ihre Eltern Sie gebeten, keine Skirennen zu fahren - hätten Sie es gemacht?
Höfl-Riesch: Haben sie ja manchmal. Mein Papa hat immer gesagt: Hoffentlich fährst Du nie Abfahrtslauf. Doch es war eben schon immer meine liebste Freizeitbeschäftigung. Und ich bin dankbar, dass ich mein liebstes Hobby zum Beruf machen konnte und damit Geld verdiene. Für mich ist es das schönste, coolste Leben, das ich mir vorstellen kann. Natürlich gibt es auch schwierige Zeiten, die gibt es in jedem Job.
Gibt es trotzdem etwas, das Sie den Menschen mit dem Normalleben neiden?
Höfl-Riesch: Für mich ist mein Leben auch normal. Aber im Winter mal ausschlafen, das wäre schon was. Ich muss meistens früh raus, und überhaupt ist der ganze Tag meistens durchgetaktet.
Dieses Strukturierte zieht sich durch ihr ganzes Leben. In Ihrem Buch erzählen Sie, dass Sie sogar ihre Kleidung nach Farben sortieren. Ist das der Leistungssport?
Höfl-Riesch: Sicher. Es sind allerdings nicht alle Leistungssportler so. Wir haben auch ein paar kleine Chaoten in der Mannschaft. Wenn ich zu denen ins Zimmer komme, haut es mich fast rückwärts wieder raus. Ich selbst bin immer sehr gut organisiert. Mein Mann auch. Wir planen teilweise Wochen im Voraus.
Aber die tollsten Sachen sind doch die Unvorhergesehenen. Kommen Sie sich mit Ihrer Planerei nicht langweilig vor?
Höfl-Riesch: Überhaupt nicht. In meinem Leben passieren genug Überraschungen. Außerdem kann man nicht aus seiner Haut. Vielleicht wäre es besser, sich nicht so einen Stress damit zu machen, aber ich bin nun mal ein Mensch, der Wert legt auf Ordnung, Pünktlichkeit und Absprachen.