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«Magic Philipp» «Magic Philipp»: Der Zauberlehrling aus Grimma

Von STEFFEN REICHERT 19.09.2008, 18:47

Halle/MZ. - Das Gurren der Vögel, das Rauschen der Bäume: Hier muss es sein, das deutsche "Hogwarts". Man müsste also korrekterweise sagen: Der Weg nach Las Vegas führt direkt über "Hogwarts".

Das deutsche "Hogwarts" ist freilich sehr übersichtlich. Und auch der Mann, der auf dem Bauernhof rumläuft, hat nichts vom schrecklichen Lord Voldemort. Im Gegenteil. Er trägt bläulich glänzende Trainingshosen, er hat einen Kugelbauch, der sein Unterhemd sichtlich zum Spannen bringt, und eigentlich wirkt er sehr sympathisch. Wenn Adelbert Becker also - so heißt der 57 Jahre alte Sachse - in aller Seelenruhe über sein Grundstück schlurft, dann ahnt man, dass kein echter Fluch auf diesem liegen kann.

Mit dem Wohnwagen über Land

Zeit ist hier etwas Relatives. Becker schlendert zur Schnee-Eule Hedwig hinter ins Gehege, er schaut bei dem Puma vorbei, der mit 21 Jahren sein wohlverdientes Altenteil genießt, er begrüßt noch schnell seinen Kauz Rosalie. Und gibt damit bei seinem Rundgang den Blick auf einen Wohnwagen frei, der ganz sicher auch schon einmal bessere Zeiten gesehen hat: "Waschbärenfamily" steht zirkusbunt auf dem Wagen. Das war zu der Zeit, als Adelbert Becker noch selbst als Berufs-Zauberer durch die Lande reiste und die Manegen und Hallen noch knacke voll waren. Zu jener Zeit also, als er noch keine Festzeltvermietung betrieb. "Das ist schon ein sehr hartes Brot", wirbt er um Verständnis. Zaubern müsste man können!

Aber weil Zaubern nicht nur auf Zauberschulen gelehrt, sondern auch über Generationen vererbt werden kann, haben die Beckers richtig Glück. Ihr Glück heißt Philipp, ist vor drei Tagen gerade mal 17 Jahre alt geworden und hat derzeit ganz irdische Probleme. An diesem Freitagabend wartet er auf seinen Fahrlehrer. Der holt ihn nämlich zur Fahrstunde ab, denn schließlich ist der Junior der Familie gerade dabei, seinen "Führerschein mit 17" zu absolvieren.

In Harry Potters Rolle

Sechs Jahre war der Familienjüngste alt, als er zum ersten Mal in sich diese seltsame Begabung verspürte. Das, was der Vater seinerzeit im Licht der Scheinwerfer vorführte, hat beim Sohn die Faszination bis heute nicht verfehlt: ein Hauch des Übersinnlichen, eine Perfektion des Handwerks. Die Illusion des Augenblicks. Und ein Staunen als Belohnung. "Naja, ich fand das damals einfach cool", erzählt Philipp über seinen Vater und den Beginn seines Hobbys.

Und so begann der Junge Philipp in jeder freien Minute Tricks zu ersinnen: Spielkarten zu präparieren, Falltüren zu basteln und Vorhänge zu nähen. In der Schule rollten sie zwar mit den Augen über den seltsamen Kumpel vom Dorf, ihm aber war das egal. Und irgendwann dann spürte er auch diese neue Kraft in sich: Aus Philipp Becker wurde "Magic Philipp".

Nun gibt es im Leben eines Zauberers Zufälle, an denen man auch als Magier nicht vorbei kann. Ein solcher Zufall war, dass die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling 1997 begann, die Geschichte Harry Potters zu erzählen. In sieben langen Bänden, die die sieben Schuljahre des Zauberlehrlings Harry symbolisieren. Eines Tages dann liebte auch "Magic Philipp" die Geschichte, wie sie die Leser lieben: "Ich habe mir dann eine Brille gekauft, einen Umhang genäht, habe meine Show verändert und bin einfach in die Rolle von Harry Potter geschlüpft." Er ließ sich Visitenkarten drucken, auf denen "Magic Philipp" stand. Er erwarb bei einem Titelhändler einen Titel und ließ sich seinen "Lord of Brideswell" in den Personalausweis eintragen. Von Film Multi Warner Bros, sagt er, habe er dann auch noch das Okay erhalten, die Rolle des Harry Potter auszufüllen.

Als einer der jüngsten deutschen Nachwuchskünstler reist er seitdem umher und wird inzwischen auf der ganzen Welt gebucht. Stadtfeste und Einschulungen, Geburtstagspartys und Galadinner, Fernsehauftritte und Talkshows - wie kein anderer in seinem Alter beherrscht "Magic Philipp" die Kunst der Magie.

Als mehrfach ausgezeichneter deutscher Meister in der Sparte Junior-Großillusion begeistert er das Publikum. Und da er begann, mit seinem Vater auch noch die legendäre "Milo & Roger"-Show als die erfolgreichste Comedyzauberei des 20. Jahrundert wieder auferstehen zu lassen, eröffnete ihm das den Weg ins US-amerikanische Showparadies. Im vergangenen Jahr setzte sich Philipp Becker im Zaubermekka Las Vegas durch und beeindruckte die hochkarätig besetzte Jury wie auch das sachkundige Publikum ungeheuer.

Sein Lohn: Aus den Händen der beiden Magier Siegfried und Roy bekam er den Preis überreicht. Ein Moment in seinem Leben, den er nicht vergessen wird. "So toll, wie das war", sagt er über diesen Augenblick, "so sehr möchte man auch weinen": Magier Roy war 2003 von einem seiner weißen Tiger angegriffen und dauerhaft verletzt: Es war das Ende einer legendären Bühnenkarriere.

Wenn alles so klappt, wie sich "Magic Philipp" und sein Vater "Magic Adi" das vorstellen, dann wollen sie in drei Jahren Deutschland dauerhaft verlassen. "Muggel", die Zauberwelt, soll dann in Brasilien entstehen. Die Beckers werden ihren Hof in Grethen verpachten. Der Adler und der Puma sollen an Gunther von Hagens übergeben werden, damit der Künstler die Tiere plastinieren kann. Der Vater hat schon 6 500 Quadratmeter Land gekauft - ein paar Bungalows sollen gebaut, eine Eisbahn gespritzt und ein Festzeltverleih errichtet werden. Und "Magic Philipp" eröffnet - selbstverständlich - seine Zauberschule.

Aber vorher muss Philipp die Lehre zum Karosserieklempner beenden. Er wollte ja eigentlich nicht - doch der Vater hat ein Machtwort am Küchentisch gesprochen. Zauberei ist kein Beruf, hat er gesagt. Es ist Berufung, hat Philip schlagfertig geantwortet.