Anschlag auf Weihnachtsmarkt Magdeburg-Täter vor Todesfahrt Teil von sieben Verfahren
Die Aufarbeitung des Anschlags von Magdeburg läuft. Zum Täter Taleb A. werden weitere Details bekannt. Immer wieder geriet er in Konflikte und bedrohte Menschen. Was dazu bisher bekannt ist.
Magdeburg - Gut zwei Wochen nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt verdichten sich die Informationen, dass sich der Täter Taleb A. mehrere Feindbilder aufgebaut hat. Der 50-Jährige stand vor der Tat bei Ermittlungsverfahren immer wieder in Kontakt mit den Behörden. Zwischen April 2023 und Oktober 2024 trat er in sieben Ermittlungsverfahren in Erscheinung. In fünf Fällen war er Anzeigenerstatter, in zwei Fällen Beschuldigter, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr.
Die Feindbilder des Täters
Der Attentäter fiel bei den Behörden offenbar durchs Raster, weil er in kein gängiges Schema passte. In den sozialen Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Kritiker des Islams und Saudi-Arabiens, doch auch die Säkulare Flüchtlingshilfe in Köln und der deutsche Staat gehörten zu seinen Feindbildern. Taleb A. erhob teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden und hielt ihnen vor, nicht genug gegen Islamismus zu unternehmen. Seine Feindbilder spielten auch in den Ermittlungsverfahren eine Rolle.
Kurz vor Weihnachten war der Täter mit einem Auto über den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast. Dabei wurden fünf Menschen getötet und knapp 300 Personen verletzt. Der Mann aus Saudi-Arabien sitzt in Untersuchungshaft.
Taleb A. als Beschuldigter
Nach einem Post von Taleb A. auf der Plattform X am 1. Dezember 2023 nahm die Polizei Ermittlungen auf. Er kritisierte den Umgang Deutschlands mit saudischen Asylbewerbern und drohte mit Rache. Die Beamten haben fünfmal versucht, eine Gefährderansprache durchzuführen – trafen ihn aber weder an der Wohnung noch auf der Arbeit an. Der Versuch, eine Durchsuchung zu erwirken, wurde laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von einem Richter zurückgewiesen. Das Verfahren wurde später eingestellt.
In einem weiteren Fall hatte Taleb A. einen Rechtsanwalt, der ihn einst in einem Verfahren vertreten hatte, sowie dessen Familie und Kanzleimitarbeiter bedroht. Deshalb suchte die Polizei Taleb A. am 4. Oktober 2024 erneut auf. Mit einer solchen Gefährderansprache will die Polizei signalisieren, dass sie einen potenziellen Straftäter im Blick hat und fordert ihn auf, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen.
Taleb A. als Anzeigenerstatter
Zwischen April 2023 und Oktober 2024 erstatte Taleb A. fünfmal Anzeige. Zunächst beklagte er, dass ihm ein USB-Stick aus dem Briefkasten gestohlen worden sei, der Beweise für Straftaten des saudi-arabischen Staates enthalte. Zudem legte er sich mit der Säkularen Flüchtlingshilfe an, einem Verein, der sich um die Interessen atheistischer Flüchtlinge kümmert. Er warf Mitarbeitern zweimal sexuelles Fehlverhalten vor. Dazu kommen zwei weitere Fälle, wegen angeblicher Bedrohung durch die saudi-arabische Regierung und wegen Verleumdung.
Nachdem er mit der Behandlung eines Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Köln nicht zufrieden war und dieser gedroht hatte, war am 28. September 2023 schon einmal eine Gefährderansprache auf dem Polizeirevier Salzlandkreis erfolgt.
Kein Austausch zwischen Polizei und Arbeitgeber
Taleb. A war seit 2020 im Maßregelvollzug in Bernburg (Salzlandkreis) als Stationsarzt tätig. Er arbeitete mit suchtkranken Straftätern. Trotz der Tatsache, dass der Mann für die psychiatrische Betreuung von Patienten zuständig war und die Gefährderansprache auf der Arbeit erfolgte, gab es zwischen seinem Arbeitgeber, dem Gesundheitsunternehmen Salus, und der Polizei keinen Austausch. „Den Grund für das Aufsuchen des Mitarbeiters Taleb A. hat die Polizei nicht mitgeteilt“, sagte eine Salus-Sprecherin.
Die Polizei kann personenbezogene Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten an öffentliche und nicht öffentliche Stellen übermitteln. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt (LKA) teilte dazu auf Anfrage mit, es habe unmittelbar nach der Gefährderansprache keine Anhaltspunkte dafür gegeben, „dass durch eine Datenübermittlung Gefahren im Umfeld des Arbeitgebers abgewehrt werden könnten“. Damit seien die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung nach derzeitigem Prüfungsstand nicht erfüllt gewesen.
Für die Behörden ergab sich insgesamt offenbar keine Dringlichkeit. In Sicherheitskreisen heißt es, die Drohung gegenüber seinem Rechtsanwalt etwa sei per E-Mail eingegangen. „Er stand dort nicht vor der Haustür“, sagte eine mit den Vorgängen betraute Person. Zudem sei er in Sachsen-Anhalt vorher nicht strafrechtlich verurteilt worden.
Die fachliche Qualifikation des Arztes stellte sein Arbeitgeber jedenfalls nicht infrage. „Taleb A. hat seinen Dienstvorgesetzten keinen Anlass geboten, an seiner ärztlichen Qualifikation zu zweifeln“, sagte die Sprecherin. Urlaubs- und krankheitsbedingt war er seit Ende Oktober 2024 nicht mehr im Dienst.
Warnung aus Saudi-Arabien
Saudi-Arabien hatte Deutschland saudischen Sicherheitskreisen zufolge vor dem Mann gewarnt. Taleb A. lebt seit 2006 in Deutschland, 2016 erhielt er Asyl als politisch Verfolgter. „Derzeit wird der Vorgang in Sachsen-Anhalt, aber auch bei den Bundessicherheitsbehörden komplett aufgearbeitet“, teilte das LKA mit. Aktuell könnten dazu noch keine näheren Angaben gemacht werden.
So geht es weiter
Die Frage der Schuldfähigkeit des 50-Jährigen rückt ins Zentrum der Ermittlungen. Laut der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wird ein Gutachten in Auftrag gegeben, ob und wie er psychisch erkrankt ist.
Zudem geht es um das Einsatzkonzept der Polizei und das Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarkts. Der Mann war zwischen einer Fußgängerampel und einer Betonblocksperre hindurchgefahren. Laut dem Innenministerium in Magdeburg betrug der Abstand zwischen der Ampel und der Sperre zu beiden Seiten der Ampel jeweils rund sechs Meter. Der Standplan des Veranstalters sah eine Durchfahrtbreite von insgesamt vier Metern vor.
Weiterhin soll aufgearbeitet werden, wieso Flucht- und Rettungswege nicht mit Stahlketten gesichert waren. Auch warum ein Polizeifahrzeug ein paar Meter entfernt von einem vorgesehenen Standort stand, wird untersucht.
Weil der Täter mehrfach im Visier der Sicherheitsbehörden war und der Anschlag dennoch nicht verhindert werden konnte, drängen mehrere Politiker auf einen besseren Datenaustausch zwischen Bund und Ländern. „Der Flaschenhals war die fehlende Vernetzung der Behörden“, sagte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
„Deshalb braucht es eine gesetzliche Grundlage für den Datenaustausch zwischen Bund und Ländern in gemeinsamen Zentren wie dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“, sagte Buschmann. Insgesamt habe es rund 80 Hinweise auf die Gefährlichkeit des Täters gegeben.