Landwirtschaft Landwirtschaft: Wein wandert immer weiter Richtung Norden

Hamburg/dpa. - Nahe derHamburger Landungsbrücken gedeihen bereits seit zwölf Jahren dieTrauben Phoenix und Regent. Mit dem Klimawandel verschiebt sich auchdie Weinanbaugrenze jedes Jahr ein Stückchen weiter Richtung Norden.Zuletzt erlaubte das Klima im 12. Jahrhundert an der Ostsee, inEngland und Dänemark Weinanbau im großen Stil. Damals gab es eineähnlich warme Klimaperiode wie heute. Erst eine Kälteperiode im 15.Jahrhundert machte dem großflächigen Winzertum im Norden ein Ende.
Winzerin Christel Currle betreut mit ihrem Vater Fritz den kleinenHamburger Weinbau mit 75 Rebstöcken. «Jedes Jahr wird es einStückchen besser», sagt die 37-jährige Stuttgarterin. Das Mostgewichtsteige. «Wir haben mittlerweile ein Produkt, das ähnlich wie einQualitätswein ist.» Durch fehlende Hänge und Berge im Norden bleibeaber das Problem einer anderen Sonneneinstrahlung. Winzer berichtenvon Anlaufschwierigkeiten: «Am Anfang war das nur Sauerampfer».
Doch die Zeiten ändern sich: Weinexperte Mario Scheuermann,Betreiber des Informations-Portals «best-of-wine.com» berichtet voneiner Zunahme guter Tropfen aus dem Norden. «Werderaner Wachtelbergoder Kirmans Traminer, Rieslinge und Pinot Noirs aus Westerhausennördlich des Harz sind qualitativ bereits echte Konkurrenz.» DieRebflächen ziehen sich mittlerweile «wie ein Flickenteppich überNorddeutschland - von den Ausläufern des Hessischen Berglandes überden Harz bis an den Ostseestrand», sagt Scheuermann.
Als «Polargrenze» des Weines galt bisher der 52. Breitengrad, derungefähr auf der Höhe von Bielefeld verläuft. Manfred Stock vomPotsdam-Institut für Klimafolgenforschung hält diese Grenze nichtmehr für haltbar: «Wein kann immer weiter nordwärts angepflanztwerden.» Selbst auf der schwedischen Insel Gotland wird bereits Weinkultiviert. Auch auf vielen dänischen Inseln wird Weinbau betrieben.Dänemark ist von der Europäischen Union (EU) als Qualitätsweinbaulandanerkannt worden - und Polen hat bei der EU jüngst das Pflanzrechtfür 100 000 Hektar Rebflächen beantragt.
In Deutschland liegen die nördlichsten Anbaugebiete derzeit inMecklenburg-Vorpommern. Einer der nördlichsten Rotweine gedeiht aufder Insel Usedom. Schleswig-Holstein hinkt nach Angaben des KielerLandwirtschaftministeriums noch etwas hinterher, «hier gibt es nurein paar private Hobby-Winzer.»
Die Nordwanderung zeige sich besonders deutlich in England, sagtStock. Hier sei die Weinanbaufläche in den vergangenen 20 Jahren um300 Prozent gewachsen. «Die haben ein paar ganz gute Tropfen», sagtder 58-Jährige. Die Klimabedingungen haben Rückwirkungen auf denAnbau in den traditionellen Weingebieten. Reben in Spanien undFrankreich nähern sich in Zukunft den Bedingungen des heutigenGriechenlands an, während sich Badische und Rheingauer Winzer auffranzösisches Klima einstellen können, erklärt Stock.
Auch der englische Weinkritiker Stuart Pigott hält die Zeit reiffür einen Nordwein - auch wenn der Boden vielerorts zu sandig und dasKlima zu kalt sei. Er rät zu nordischer Bescheidenheit: «Es muss jakein anspruchsvoller Wein werden, deswegen würde ich lieber einleichtes, fruchtbetontes Getränk anstreben - einen angenehmenZechwein also.»
Weil sich die Nordlichter auch beim Konsum zu Weinliebhabernmausern, fangen sie den Einbruch von bis zu 30 Prozent in Weinländernwie Frankreich, Italien und Spanien auf. In Schweden tranken dieBürger im vergangenen Jahr 29 Liter pro Kopf, in Dänemark sogar 35Liter. Auch in Deutschland, mit rund 40 Litern Weinkonsum pro Kopfweiter in der europäischen Spitzenklasse dabei, zeigt sich einEinbruch der Norddeutschen in die süddeutsche Weinphalanx.
Die Hamburger kauften 2006 pro Haushalt 57 Liter Wein - mehr alsdie Menschen im Rheinland oder in München. In den Hansestädten erlebedie jahrhundertealte Weintradition eine Renaissance, sagt ErnstBüscher vom Deutschen Weininstitut. Besonders beliebt ist deutscherWeißwein. «Der passt in Skandinavien und in Norddeutschland gut zurKüche, weil hier viel Fisch gegessen wird.»