Migration Landesamts-Chef: Überlastung ist schon heute unser Alltag
Der Chef des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten sieht auf seine Behörde schwierige Zeiten zukommen. Er warnt vor Illusionen und fordert dringend weiteres Personal.
Berlin - Der Präsident des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten, Mark Seibert, sieht seine Behörde an der Belastungsgrenze und fürchtet, es könnte noch schlimmer werden. „Überlastung ist schon heute unser Alltag. Unser Leistungsbereich hat im vergangenen Jahr 101.000 persönliche Vorsprachen gehabt, ein Plus von 40 Prozent im Vergleich zum Jahr davor, das Personal ist gleich geblieben“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Viele Mitarbeiter schrubben hier Überstunden, schlagen sich Abende und gelegentlich die Wochenenden um die Ohren. Dem Abteilungsleiter Unterkünfte haben wir zum Einstand ein Feldbett in sein Büro gestellt.“
LAF-Chef fürchtet noch zusätzliche Probleme
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) ist für die Registrierung, Versorgung, Unterbringung und soziale Betreuung von Geflüchteten in Berlin zuständig. „Wir werden hier aus dem System rausquetschen, was geht, aber wir kommen an die Grenze dessen, was wir leisten können“, sagte Seibert. „Ich sehe das am Krankenstand und an der recht hohen Fluktuation in der Belegschaft.“
Seibert sieht noch zusätzliche Probleme auf das LAF zukommen. Schuld sei die Bundespolitik. Der Bundestag hat im Januar das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen. „Dazu gehört, dass Asylsuchende bis zu 36 statt bisher 18 Monate Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen“, sagte Seibert. „Für uns heißt das, die Menschen müssen bis zu 18 Monate länger von uns untergebracht werden. Die Unterkünfte fehlen uns dann.“ Das werde den Druck weiter erhöhen.
„Die Kollegen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bewilligen, bearbeiten im Moment im Schnitt je 320 Fälle. Und das ist schon jetzt eine prekäre Situation“, kritisierte der LAF-Chef. „Durch die geplante Gesetzänderung wird die Zahl aber auf bis zu 500 Fälle pro Sachbearbeiter ansteigen.“
Das LAF rechnet bis Jahresende mit 50.000 Plätzen in seinen Unterkünften
Gleichzeitig hat sich die Zahl der Unterkunftsplätze in der Verantwortung des LAF Seibert zufolge seit Anfang 2022 von etwa 22.000 auf jetzt 44.000 verdoppelt. „Wir landen am Jahresende irgendwo bei 50.000 Plätzen. Mehr Personal haben wir aber nicht zur Verfügung.“ Das LAF hat 550 Mitarbeiter. „Für uns wird das eine erdrückende zusätzliche Herausforderung sein.“
Schon ohne das Rückführungsverbesserungsgesetz bräuchte das LAF 230 zusätzliche Vollzeitstellen, argumentierte Seibert. „Wenn sich nichts ändert, werden die Bearbeitungszeiten sich stark verlängern - das geht dann zulasten aller: der Geflüchteten und der Beschäftigten.“
Seibert hält es für eine Illusion, dass die Zahl der Geflüchteten schon bald erheblich zurückgehen könnte. „Wir sehen überhaupt keine Erleichterung der Lage. Die Kurve im ersten Quartal 2024 sah genauso aus wie 2023“, sagte er. „Das heißt, zu Jahresbeginn ist der Zugang moderat, aber voraussichtlich werden wir im Herbst vor der gleichen Situation stehen wie im vergangenen Jahr mit stark ansteigenden Zahlen bei den Asylsuchenden.“ Die Geflüchteten aus der Ukraine kämen dann noch dazu.
Zusammenbruch der Front in der Ukraine hätte Folgen für Berlin
Und dort ist die Kriegsentwicklung schwer einzuschätzen. „Kommt es zu einem großen Anstieg der Geflüchtetenzahl nach einem möglichen Zusammenbruch der Front in der Ukraine, wird es sicher noch einmal eine ernste Situation, auf die wir uns auch vorbereiten“, so der LAF-Präsident. „Wir planen auf Verdacht mögliche Notunterkünfte auf allen möglichen öffentlichen Grundstücken. Wir können dann sehr schnell sein und dort Leichtbauhallen errichten.“
Ohnehin muss das LAF weiterhin nach Unterkünften suchen, wo immer sie zu finden sind. „Wir sprechen auch schon mit Hotelbetreibern, welche Kapazitäten wir für welche Szenarien gegebenenfalls nutzen können“, sagte Seibert. „Wir haben jetzt etwa 2500 Menschen in Hotels untergebracht, und wir verlängern all diese Verträge bis Ende des Jahres. Wir brauchen die Hotels auch weiterhin.“