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Antisemitismusdebatte Kulturszene: „Zusammenarbeit muss machbar sein“

Die hiesige Debatte um den in Folge des Nahostkonflikts noch verschärften Antisemitismus belastet die Kulturszene zunehmend. Wichtige Einrichtungen sehen internationale Kontakte gefährdet.

Von dpa Aktualisiert: 03.01.2024, 10:37
Katrin Budde (SPD), Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende im Ausschuss für Kultur und Medien.
Katrin Budde (SPD), Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende im Ausschuss für Kultur und Medien. Soeren Stache/dpa

Berlin - Die jüngste Entwicklung im Nahostkonflikt hat den Antisemitismus in Deutschland noch deutlicher werden lassen. In der Debatte um die Bekämpfung von Hass und Übergriffen führt Differenzierung schnell zu Missverständnissen und eiliger Frontenbildung. In der Kulturszene wird bereits auf internationale Folgen einer zu eng geführten Antisemitismusdebatte verwiesen.

„Ich bekomme berechtigte Anmerkungen von Kulturinstitutionen, die sich an mich gewendet haben, weil sie sich fragen, wie sie international weiterarbeiten sollen“, sagte Katrin Budde, Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Alle müssten sich darauf einlassen, miteinander zu denken.

Budde: Zusammenarbeit muss machbar sein

„Wir als Kulturpolitikerinnen werden uns auf die Probleme einlassen müssen, damit am Ende nicht ein Abbruch von internationalen Kulturbeziehungen droht für Goethe-Institut, Humboldt Forum, Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder Kulturstiftung des Bundes. Das sind klassische Institutionen, die man wirklich keines Antisemitismus verdächtigen darf, die aber sagen: Zusammenarbeit muss machbar sein.“

Die SPD-Politikerin sieht eine Argumentations- und Beurteilungsfalle. „Jeder, der was sagt, wird beurteilt - und das im Schwarzweiß-Licht. Das ist für Kultur immer schlecht, weil Kultur immer bunt ist und nicht schwarzweiß.“

Budde will Kulturinstitutionen wirken lassen, „ohne sie unter Generalverdacht zu stellen, wenn sie international auch mit Ländern zusammenarbeiten, wo wir sagen würden: die benehmen sich antisemitisch.“ Es gehe auch darum, durch Zusammenarbeit Verständnis für jüdische Kultur zu vermitteln und zu erreichen. „Kultur baut immer an Stellen Brücken, wo alles andere abgebrochen ist“, sagte sie. „Man muss auch damit umgehen können, wenn ein Fehler passiert und der korrigiert wird. Gerade im Kulturbereich, der extrem breit ist.“

Roth: Diskurs könnte verengt werden

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth beobachtet die Debatten. „Es ist gefährlich, wenn der Diskurs in der Kultur immer enger wird“, sagte die Grünen-Politikerin der dpa. „Das Grundgesetz sichert die Freiheit der Kunst. Eine klare Grenze ist, wenn die Menschenwürde verletzt wird. Dazu gehört Antisemitismus, dazu gehört Moslemfeindlichkeit, dazu gehört Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit.“ Es sei alarmierend, welcher Ausbruch von Antisemitismus zu beobachten sei. Deswegen überlegten viele Kultureinrichtungen eine Unterstützung von jüdischem Leben.

Roth berichtete von ihren Beobachtungen aus der Kulturszene. „Es gibt eine Verunsicherung: Was ist denn noch möglich? Es gibt Sorgen, dass der Diskurs verengt werden könnte. Dabei kann doch gerade Kultur Räume für den Diskurs eröffnen und möglich machen.“ Sie verwies auf den Soziologen und Professor Aladin El-Mafaalani, der gesagt habe, Streitkultur sei die Leitkultur. „Das brauchen wir. Es gibt keine einfachen Antworten auf diese schwierigen Situationen.“

Dafür seien Räume notwendig. „Wir müssen aufpassen, was das bedeutet für uns als internationaler, attraktiver Kulturstandort. Wenn es in der Zwischenzeit auch Absagen gibt von internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die sagen, in Deutschland wird der Diskurs immer enger“, sagte Roth. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde es jetzt Gesinnungsschnüffelei, Gesinnungsprüfung geben oder einen Bekenntniszwang.“

Chialo: Diskussionen teilweise irrational

Berlins Kultursenator Joe Chialo plädierte für Gespräche miteinander. „Wie kriegen wir es hin, dass es nicht nur darum geht, jemanden seine Meinung entgegenzuschreien und das Gespräch zu beenden?“, sagte der CDU-Politiker der dpa. „Viele Diskussionen werden bisher teilweise irrational geführt, Dinge werden verabsolutiert.“

Chialo will Raum schaffen für Diskussionen, „damit Menschen eine Hilfestellung bekommen bei der Meinungsbildung, damit bei einem Gespräch vielleicht neue Erkenntnisse und Verständnis für andere Sichtweisen und Perspektiven entstehen“. Aus seiner Sicht mangelt es daran, „jemand mit einer gegenteiligen Meinung auch als einen wertvollen Gesprächspartner zu sehen. Das müssen wir wieder lernen.“

Im international arbeitenden Humboldt Forum wird die Debatte nach den Worten von Generalintendant Hartmut Dorgerloh aufmerksam verfolgt. „Im Humboldt Forum gibt es keinen Platz für jegliche Form von Antisemitismus, religiösem Fundamentalismus, Diskriminierung und Rassismus. Das Existenzrecht des Staates Israel darf nicht infrage gestellt werden“, sagte Dorgerloh der dpa. „Aber für ein Haus der internationalen Vielstimmigkeit müssen Wissenschafts-, Kunst und Meinungsfreiheit gelten - auf Grundlage des Grundgesetzes.“

Dorgerloh: Räume engen sich ein

Aufgabe des Humboldt Forums sei es, „die dringend notwendigen Debatten gegen Antisemitismus und Rassismus zu führen. Denn wenn es dafür keine öffentlichen Räume mehr gibt, dann verlagert sich das irgendwo auf die Straße, ins Netz oder in sonstige Zonen.“ Der öffentliche Diskurs sei aber extrem wichtig, „auch der über unterschiedliche Antisemitismus-Definitionen, in denen sich die Vielfalt jüdischer Stimmen widerspiegelt“.

Dorgerloh verwies darauf, Deutschland sei international wegen der grundgesetzlich gesicherten Meinungs- und Kunstfreiheit hoch geachtet. „Momentan beobachtet man mit einer gewissen Verwunderung und auch Irritation, wie sich hierzulande diese Räume gerade einengen“, sagte er. „Es ist die Aufgabe von Kulturinstitutionen auch im politischen Raum sehr klar darauf hinzuweisen, welche Gefährdung droht. Wir haben eine hohe internationale Reputation, nicht zuletzt auch durch die Aufarbeitung unserer Kolonialgeschichte, die in großen Teilen der Welt als vorbildlich wahrgenommen wird.“

Parzinger: Kultureinrichtungen sollen aufklärerisch wirken

Nach den Worten von Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sollten Kultureinrichtungen keine Bühne für Antisemitismus bieten. „Es geht vor allem auch darum, wie deutsche Kultureinrichtungen ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen können. Wie können wir in unsere Gesellschaft wirken? Wir müssen deutlich machen, dass Antisemitismus in unserem Land aufgrund seiner Geschichte nicht zugelassen werden darf. Da haben Kultureinrichtungen auch die Aufgabe, aufklärend und aufklärerisch zu wirken“, sagte er der dpa.