Kriminalität Kriminalität: Türke wird wegen Blutrache-Mord zu lebenlanger Haft verurteilt

Wiesbaden/dpa. - Der angeklagte Orhan Kaplan presst die Lippenaufeinander, schiebt den Unterkiefer leicht vor und kneift die Augenzusammen. Sonst zeigt der Türke keine Regung, als das WiesbadenerLandgericht am Freitag sein Urteil im Blutrache-Prozess fällt:Lebenslange Haft für Kaplan, weil er seinen 26 Jahre alten Landsmann Ali ermordet hat. Mit dieser Entscheidung folgt das Gericht derStaatsanwaltschaft. Die Verteidigung kündigt Revision an. Hintergrund der Tat ist eine Fehde zwischen zwei türkischen Banden, der seit Ende2001 mindestens fünf Menschen zum Opfer gefallen sind. Es geht umFamilienehre, Rache und Selbstjustiz.
Dem Richter zufolge hat Kaplan im April 2003 Ali vor einerWiesbadener Discothek erschossen. Bei der Schießerei zwischenmehreren Männern starb auch der Onkel des Angeklagten, andere wurdenverletzt. «Man muss sich das irgendwie fast wie in einem Cowboy-Filmvorstellen», sagt der Vorsitzende Richter Steffen Poulet über dieTatnacht. Anlass für die Todesserie waren seiner Einschätzung nachÜberfälle auf Postfilialen, an denen beide Banden beteiligt waren.Wegen der Aufteilung der Beute hatten sie sich überworfen.
Kaplan selbst hatte mit seinem Opfer nichts zu tun. DieFamilienbande trieben den Türken nach Ansicht des Gerichts zum Mord.Er habe allein auf Zuruf seines Onkels die Waffe gezogen undgefeuert. «Für ihn war Ali ein Fremder. Er wusste nur, dass seinOnkel ihm die Mitschuld am Tod seines Sohnes gab», sagte Poulet. DasMotiv der Blutrache sei verwerflich und rücksichtslos. «Nach unsererRechtsordnung liegt das Gewaltmonopol beim Staat. Faustrecht,Familienfehde und Blutrache haben da nichts zu suchen.»
Mit der Entscheidung geht ein langer und schwierigerIndizienprozess zu Ende, der wegen strenger Sicherheitsvorkehrungenzugleich der teuerste in der Geschichte des Landgerichts war. Kurzvor Beginn des Verfahrens im Mai 2004 war der Zeuge Polat ermordetworden; das Gericht verschob den Prozess. Kurz nach dem zweitenAnlauf im Herbst starb ein weiterer Zeuge bei einer Schießerei - obein Zusammenhang zu dem Verfahren besteht, ist bis heute unklar. Eindritter Zeuge entkam einem Anschlag unverletzt.
Mehr als 70 Menschen wurden seit September vor Gericht gehört.Doch viele konnten oder wollten nichts sagen, und die Aussagen derfünf Hauptzeugen widersprachen sich teilweise. Das Gericht habe esmit Menschen zu tun, die «mit unglaublicher Dreistigkeit deutlichmachen, dass sie sich nicht an die Rechtsordnung halten wollen»,hatte Staatsanwalt Klaus Heimann-Trosien in seinem Plädoyer betont.
Die Verteidigung ihrerseits hatte den Ermittlern immer wiederFehler vorgeworfen. So seien Zeugen vergessen worden und Akten nichtvollständig gewesen, kritisierte Anwalt Joachim Bremer. Zudem hättensich Zeugen abgesprochen. «Hier gab es Einflussnahmen auf Zeugen, wiesie nicht üblich sind.»
Nach dem Urteilsspruch gegen Kaplan wird die blutige Fehde dasLandgericht weiter beschäftigen: Weil sie die Ermordung des ZeugenPolat verabredet haben sollen, sind der Vater und der Bruder desOpfers Ali angeklagt. Sie sitzen in Untersuchungshaft. Ein Termin fürden Prozess steht noch nicht fest.