Kriminalität Kriminalität: Die Rocker geben sich locker

HANNOVER/MZ. - Die Adenauerallee 10 im Osten von Hannover ist eine erlesene Adresse. Gleich gegenüber vom Erlebniszoo hat dort Götz-Werner von Fromberg seine Kanzlei, er teilt sie sich unter anderem mit Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Von Fromberg ist spezialisiert auf die Beratung von Unternehmern, die bei Investitionen im In- und Ausland Stolpersteine aus dem Weg räumen wollen. Der pfundige Anwalt mit dem Silberhaar tut das für gewöhnlich ausgesprochen diskret. Aber es gibt Ausnahmen. Gestern hielt von Fromberg die Zeit für gekommen, mit seinen Mandanten das Licht der Öffentlichkeit zu suchen. Also betraten am Nachmittag vier schwergewichtige Männer die Kanzleiräume, um sich vor klickenden Kameras die Hand zu reichen. Es handelte sich um je zwei Hells Angels (HA) und zwei Bandidos, die dort zelebrierten, was sie selbst nie Waffenstillstand nennen würden. Was de facto aber einer ist.
Der Zeitpunkt hätte besser nicht gewählt sein können. Rein zufällig beraten die Innenminister der Länder von heute an über ein Verbot der Rockerclubs. Es gibt dafür handfeste Gründe. Die seit gut zehn Jahren schwelende Fehde zwischen Hells Angels und den in Deutschland zahlenmäßig überlegenen Bandidos war zuletzt mehr als einmal blutig eskaliert. So lieferten sich im Juni 2009 die schlagkräftige HA-Brigade 81 und die Bandido-Supporters Chicanos im brandenburgischen Finowfurt eine wilde Verfolgungsjagd. An deren Ende steckte dem "Präsidenten" der 81er eine Messerspitze im Rücken, seinem Kumpan war das Bein mit einem Axthieb beinahe abgetrennt worden. Der Polizei berichteten die Verletzten von einem "Verkehrsunfall". Denn bei allem, was Angels und Bandidos trennt, in einem sind sie sich einig: Mit den "Bullen" spricht man nicht.
Ende 2009 erschoss ein Hells Angel in Duisburg den Bandido Eschli E. Im März 2010 war es erneut ein Angel, der in Rheinland-Pfalz einen Polizisten mit einem Schuss tötete. Im Mai verurteilte das Landgericht Kaiserslautern zwei Angels, die ein Mitglied der verfeindeten Outlaws umgebracht hatten. Vor dem Landgericht Erfurt müssen sich wohl noch in diesem Jahr Rocker des Motorradclubs Bandidos Jena wegen versuchten Mordes verantworten. "Das Gefährdungspotenzial ist enorm hoch", heißt es beim Landeskriminalamt Berlin, das neben Hannover, Hamburg und Schleswig-Holstein die Drehscheibe der Szene bildet. Diese wächst stetig: Zählte die Polizei im Jahr 2000 noch unter 100 Rocker in Berlin, sind es aktuell etwa 800. Allein in den vergangenen fünf Jahren leitete das Kommissariat für "deliktübergreifende Organisierte Kriminalität" 798 Strafverfahren ein, in derselben Zeit verhängten Gerichte insgesamt 325 Jahre Knast gegen Rocker.
Dabei geht es in der Szene mit ihrem archaischen Männerbild nur vordergründig um Gebietsansprüche. Entscheidend ist, was sich hinter den Club,- Disco- und Bordelltüren, um die sie erbittert kämpfen, tatsächlich tut. Dort, heißt es bei der Polizei, werde munter mit Drogen, Waffen, Anabolika gedealt. Ein einträgliches Geschäft, bei dem auch ostdeutsche Städte wie Cottbus, Eberswalde und Rostock eine immer größere Rolle spielen. Zudem tummeln sich etliche Ableger der Rockerclubs im Sicherheitsgewerbe und zeigen, so ein Ermittler, "keine Berührungsängste". Gegen Geld werden schon mal Neonazi-Konzerte oder die Verteilung von Rechtsrock-CDs von den schweren Jungs abgesichert. Die wissen, was sie tun: Nach einer Studie von Europol von 2005 wurde allein unter den Hells Angels bereits jeder zweite schon einmal verurteilt.
"Django" hält das alles für Panikmache. Er sagt: "Wir sind ein Motorradclub, wir haben nichts mit illegalen Geschäften zu tun." Django heißt eigentlich Rudolf Triller, saß auch schon mal im Gefängnis und ist so etwas wie der Sprecher der Hells Angels. Für den Fall eines Verbots droht er mit dem Europäischen Gerichtshof. "Keiner soll glauben, dass wir dann reumütig in den Schoß der Bürgerschaft zurückkehren." Django ist sich sicher: Drogenhandel? "Ist bei uns strikt verboten." Anabolika? "Quatsch!" Waffen? "Wo sind die Beweise?" Mag ja sein, sagt "Django", dass Einzelne mal über die Strenge schlagen - "aber damit hat der Club nichts zu tun".
"Micha", der denselben Job wie Django für die Bandidos erledigt, räumt bei Straf- und Gewalttaten allenfalls Einzelfälle ein, "die ich persönlich nicht gut finde und die auch clubpolitisch unerwünscht sind". Warum dann ein Waffenstillstand? "Das ist nicht unser Begriff", sagt Micha, der lieber von einer "Neutralitätsvereinbarung" spricht. "Die schlimmen Zeiten", beteuert er, "sind jetzt vorbei." Sind sie das? Erfahrene Ermittler sind trotz des Händedrucks von Hannover skeptisch. Zu wichtig seien die Geschäfte, um die sich Hells Angels und Bandidos balgen. Außerdem ist es ja nicht der erste Waffenstillstand der Rocker. Der letzte wurde Anfang des Jahres in Berlin geschlossen - und hielt nicht mal eine Woche.