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«Kannibale von Rotenburg» «Kannibale von Rotenburg»: Lebenslange Haft statt Therapie

08.05.2006, 07:21
Der als «Kannibale von Rotenburg» bekannt gewordenen Armin Meiwes im Sitzungssaal des Landgerichts in Frankfurt am Main. (Foto: dpa)
Der als «Kannibale von Rotenburg» bekannt gewordenen Armin Meiwes im Sitzungssaal des Landgerichts in Frankfurt am Main. (Foto: dpa) dpa

Frankfurt/Main/dpa. - «Wo leben wir denn?», rief der große Mann mitseiner dunklen Stimme in den Gerichtssaal, quasi alsNachlassverwalter des von ihm getöteten und verspeisten BerlinerIngenieurs Bernd B. und als Vertreter von mehr als 10 000 Menschen,die nach seiner Schätzung in Deutschland kannibalistischen Fantasiennachhängen.

Armin Meiwes, das steht nicht erst seit dem Schlusswort in seinembereits zweiten Prozess fest, ist psychisch schwer krank und lebt ineiner Welt, in der das Verspeisen von Menschen normal erscheint. Eine«schwere seelische Abartigkeit» haben ihm die psychiatrischenSachverständigen Klaus Beier und Georg Stolpmann in den Prozessen vonKassel und Frankfurt attestiert: Meiwes zentrales Sexual-Fetisch istdie Vorstellung, Muskelfleisch von schönen, jungen Männern zubearbeiten und zu essen, um diese in sich aufzunehmen. DieWiederholungsgefahr sei hoch, wenn er erneut einen Freiwilligenfinde.

Weil der einsame Computertechniker aus dem osthessischen Rotenburgan der Fulda seine Vorstellung bereits einmal an dem 43 Jahre altenIngenieur verwirklicht hat, droht ihm nun die lebenslange Haftstrafe.Möglicherweise ohne Aussicht, bereits nach 15 Jahren auf Bewährungfreizukommen, wenn der Antrag der Staatsanwaltschaft auf dieFeststellung einer besonders schweren Schuld durchkommt. DieSchwurgerichtskammer will ihr Urteil an diesem Dienstag (9. Mai)verkünden. Im ersten, vom Bundesgerichtshof aufgehobenen Urteil desLandgerichts Kassel war Meiwes noch wegen Totschlags für achteinhalbJahre in Haft geschickt worden.

Von einer Therapie für den wahrscheinlich ohnehin unheilbarenMeiwes redet im Prozess niemand mehr - schon weil es nach demRechtssystem ausgeschlossen ist, dass das Gericht einen vollsteuerungs- und einsichtsfähigen und damit schuldfähigen Täter in diePsychiatrie schickt. Meiwes wusste den Gutachtern zufolge sehr genau,was er in der blutigen Horrornacht vom 9. auf den 10. März 2001 tat.Zwischendrin hatte er den blutigen Plan sogar abgebrochen, weil B.nicht mehr mitmachen wollte.

Meiwes drei Verteidiger haben an ihrer schon in Kassel rechterfolgreichen Strategie festgehalten, das Opfer als eigentlichenAnstifter des grausigen Geschehens im Hofgut Wüstefeld hinzustellen.Der homosexuelle Extrem-Masochist hoffte auf einen ultimativenOrgasmus, wenn ihm ein anderer den Penis abbeiße. Aus E-Mailszwischen den beiden Beteiligten haben die Verteidiger zudem denangeblichen Wunsch destilliert, danach umgebracht und aufgegessen zuwerden. In einer bereits 1999 eingestellten Internet-Anzeige hattesich der Ingenieur als Schlachtopfer angeboten, war aber vor Meiwesnur an «Cyber-Kannibalen» geraten, die es lieber beim Prahlenbeließen.

«Das war kein Mord», sagt Meiwes Verteidiger Joachim Bremer undplädiert auf eine angemessene Strafe für eine Tötung auf Verlangen.Selbst bei der für dieses Delikt möglichen Höchststrafe von fünfJahren müsste Meiwes sehr bald auf freien Fuß gesetzt werden, denndreieinhalb Jahre hat er bereits in der Untersuchungshaft abgesessen.Angesichts der Forderung nach lebenslanger Haft mit besondersschwerer Schuld reklamiert Bremer eine Perspektive für seinenMandanten. «Es geht nicht, ihn einzusperren und dann den Schlüsselfür immer wegzuschmeißen.»

Die Staatsanwälte sehen in Meiwes hingegen den selbstsüchtigenMörder, der seine sexuell motivierten Ziele im Kontakt mit seinemOpfer rücksichtslos durchgesetzt hat. Es sei ihm zwar nicht auf dieTötung als solche angekommen, meint Annette von Schmiedeberg. «Erwollte einen Menschen schlachten und ging dabei sprichwörtlich überLeichen, um sich einen kurzen Kick zu verschaffen.» DieFreiwilligkeit des psychisch schwer kranken Opfers halten dieAnkläger zwar für möglich, sein Todeswunsch sei aber ähnlich wie beieinem dementen Krankenhauspatienten strafrechtlich nicht relevant.