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Jugendliche beim KZ-Besuch Jugendliche beim KZ-Besuch: Selfie in Auschwitz

Von Eva Krafczyk 29.08.2014, 04:51
Post von „Princess Breanna“ via Twitter.
Post von „Princess Breanna“ via Twitter. Screenshot Lizenz

Auschwitz/Weimar - Auf Twitter nennt sie sich „Princess Breanna“ - und seit ihrem Besuch im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz hat der Teenager aus dem US-Bundesstaat Alabama den zweifelhaften Ruhm, das „schlimmste Selfie aller Zeiten“ über soziale Netzwerke verbreitet zu haben. So jedenfalls lauteten einige der Kommentare, nachdem die selbst ernannte Prinzessin im Sommer ihr Selbstporträt mit einem breiten Lächeln inmitten der Häftlingsbaracken verbreitete.

Doch Breanna ist kein Einzelfall. Der Drang vieler vor allem junger Menschen zur möglichst ungewöhnlichen Selbstdarstellung verdrängt schon mal guten Geschmack. Das Selfie der jungen Amerikanerin ist nicht das einzige dieser Art. Die Zeitschrift „New Yorker“ berichtete vor wenigen Wochen, dass die sozialen Netzwerke voll sind mit Selfies junger Israelis in Auschwitz, Majdanek und anderen ehemaligen Todeslagern, in denen sie eigentlich im Rahmen organisierter Studienreisen der sechs Millionen Opfer des Holocausts gedenken sollen.

Zu „angemessenen Verhalten“ aufgerufen

„Wir sehen recht häufig, dass Selfies gemacht werden“, sagt Bartosz Bartyzel, Sprecher der Gedenkstätte Auschwitz. „Manchmal direkt an der Todeswand, an der die Erschießungen stattfanden.“ Wenn die Führer organisierter Besuchergruppen so etwas bemerkten, schritten sie in der Regel ein - am Eingang der Gedenkstätte wird zu einem „angemessenen Verhalten“ aufgerufen. Ein Kussmund vor den Ruinen der Gaskammern, das geht aus vielen Internet-Kommentaren hervor, ist nicht angemessen an einem Ort, an dem mehr als eine Million Menschen ermordet wurden.

In Auschwitz soll es keine Fotografierverbote geben, betont Bartyzel. Wichtig sei, dass Fotos hinterher zum Nachdenken anregten. Wer unter dem Lagertor mit der zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“ gedankenlos für ein Selfie posiere, sei noch ganz am Anfang der Besichtigung. Die Konfrontation mit den Bergen von Kleidern, Schuhen oder Haaren der Ermordeten kommt erst später.

„Es gibt in der Tat Aufnahmen, die Beweise sind für Gedankenlosigkeit und Geschichtsvergessenheit“, sagt auch der stellvertretende Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald, Rikola-Gunnar Lüttgenau. „Gerade wenn dann noch Hashtags in belustigender Art und Weise drangesetzt werden.“ In Schulklassen komme aber oft automatisch eine Diskussion auf, weil nicht alle solche Bilder in Ordnung fänden. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war das Lager bei Weimar das größte KZ auf deutschem Boden.

Wie Neonazis mit Selfies überführt werden, lesen Sie auf Seite 2.

„Die Jugendlichen heute sind wohl nicht die ersten, die sich in Gedenkstätten daneben benehmen“, sagt Lüttgenau. Es gebe aber auch positive Beispiele. An der Buchenwaldbahn könnten junge Menschen selbst einen Gedenkstein für ermordete Kinder gestalten. Manche stellten ein Foto von sich und ein Statement auf die offizielle Internetseite. „Das heißt, man tritt für etwas ein. Diese Funktion kann ein Selfie ja auch haben“, sagt er.

Und: Neonazis könnten mit Selfies überführt werden. Wer dort zum Beispiel einen Hitlergruß zeige und sich dabei fotografiere, produziere damit gleich einen Beweis für den Straftatbestand. „Wenn wir das beobachten, werden sie dann am Parkplatz von der Polizei empfangen“, sagte Lüttgenau.

Makabre Touristenattraktion

Zurück nach Auschwitz-Birkenau: Mehr als eine Million Menschen besuchen das Vernichtungslager jedes Jahr. Längst ist das Todeslager für viele zu einer Art makabrer Touristenattraktion geworden.

„Es ist unsensibel, an einem Ort wie Auschwitz Selfies zu machen“, meint der New Yorker Eric Katzman, der selbst mit dem „Marsch der Lebenden“, dem alljährlichen Gedenkmarsch junger Juden am Holocaust-Gedenktag, Auschwitz besuchte. „Aber ich glaube, die meisten Leute, die Selfies in Auschwitz machen, haben keine bösen Absichten. Die Kids heute leben in einer Welt, in der gilt: Schau mich an, schau mich an.“

„Kann man gerade in Auschwitz nicht einfach erst mal schweigen und das Handy bleibt in der Tasche?“, fragt Christoph Heubner, Vize-Exekutivpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitee, einer Organisation von Holocaust-Überlebenden. Heubner ist gerade mit einer Gruppe VW-Auszubildender in Auschwitz und sagt, dass es in den Diskussionen mit den Jugendlichen auch oft um die Frage geht, welches Verhalten an einem Ort wie Auschwitz „richtig“ ist.

„Auschwitz ist doch kein Urlaub“, sagt etwa der 22-jährige angehende Kfz-Mechatroniker Vincenzo Lanzilotti. „Man muss doch wissen, wo man ist - und dass dies ein sehr trauriger Ort ist, der Respekt verdient.“ (dpa)

Eine Schülergruppe geht durch das Haupttor mit der Aufschrift «Arbeit macht frei» des ehemaligen Konzentrationslagers und heutigen Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg.
Eine Schülergruppe geht durch das Haupttor mit der Aufschrift «Arbeit macht frei» des ehemaligen Konzentrationslagers und heutigen Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg.
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Außenansicht des Eingangsbereichs zum ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau mit der Inschrift "Arbeit macht frei" über dem Tor.
Außenansicht des Eingangsbereichs zum ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau mit der Inschrift "Arbeit macht frei" über dem Tor.
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