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Jubiläum der Modezeitschrift Jubiläum der Modezeitschrift: Wie die "Sibylle" in der DDR groß wurde

Von Margit Boeckh 09.04.2016, 14:48
Mode selber machen: Die Sibylle zeichnete sich durch Anleitungen aus, um zum Beispiel seinen eigenen Kleidern einen besonderen Schnitt zu verpassen.
Mode selber machen: Die Sibylle zeichnete sich durch Anleitungen aus, um zum Beispiel seinen eigenen Kleidern einen besonderen Schnitt zu verpassen. MZ

"Verlag für die Frau“ - ein Name als Programm. Das sich leicht auch als griffig-feministisch auslegen ließe. Doch an „Emma“ & Co. war damals noch nicht zu denken.  Vielmehr ging es erst mal ums Naheliegende, als der Verlag vor  genau 70 Jahren in Leipzig gegründet wurde. Um „praktischen Rat für die Familie“ zu geben, wagten sich die Gründer 1946 aufs verlegerische Feld. Mit Rezeptbüchern und Ratgeberliteratur trafen sie genau die Bedürfnisse und Erwartungen der Nachkriegs- und Aufbauzeit.

Schnell behauptete man sich als führender Ratgeber- und bald auch Modeverlag der DDR. Letzteres mit Titeln wie „Pramo“ (Praktische Mode), dem Strickheft „Modische Maschen“ und nicht zuletzt der „Sibylle“, die ab August 1956 vergleichsweise glamourös die biedere HO- und Konsum-Bekleidungswelt konterkarierte. Sie lieferte den Stoff, vielmehr die Bilder, aus denen die Träume sind. Was  Begehrlichkeiten weckte.

Trotz einer vergleichsweise hohen Auflage von 220.000 gab es die „Sibylle“ eher unter als auf dem Ladentisch. Und wer so ein Exemplar ergattert hatte, reichte es ganz selbstverständlich im Freundes- und Kolleginnenkreis weiter. Zumal, wenn eines dieser Schnittmusterbögen zum Blatt gehörte, nach dem man sich was Schickes selber schneidern konnte.

Mehr als eine gewöhnliche Mode-Zeitschrift

Was genau den besonderen Reiz der verlegerischen Jubiläums-Edition „Schick mit Sibylle“  ausmacht: Ein schmales Heftchen, das mit einem kurzweiligen Modespaziergang durch die Vergangenheit unterhält und als originelles Extra gleich noch einen Sibylle-Schnitt für ein Kleid in fünf Varianten sowie die Anleitung für einen lässigen Kapuzenmantel enthält. Ganz so wie damals.

Allerdings: Wenn die „Sibylle“ gerne mal als „Ost-Vogue“bezeichnet wurde, sahen das die  Macher nicht unbedingt als Kompliment an.  Denn ihre „Sibylle“ bot mehr als die westliche Luxus-Postille. Im Untertitel als „Zeitschrift für Mode und Kultur“ ausgewiesen, enthielt jedes Heft Feuilletons, Porträts und  Essays, war auf unterhaltsame Weise bildend. Keine Seite, nirgends, für Beautytricks und Superdiät oder Endlosstrecken für Hochpreis-Reklame.

Allenfalls längst verblichene West-Mode-Editionen wie „Constanze“ und „Film und Frau“ hatten ansatzweise solch journalistisches Niveau wie die Ost-„Sibylle“. Zumal die auch in der Fotografie Maßstäbe setzte mit Künstlern wie Roger Melis, Arno Fischer, Sibylle Bergemann und Ute Mahler. Die trauten sich ohne Scheu vor banalen Klamottenbildern an Neues, setzten Mode in alltäglicher Umgebung wie Fabrikhallen oder Tagebauen in Szene und schufen so eine für die Modewelt überraschende, auch mal schockierende  atmosphärische Anmutung.

Oft ausgebremst

Wobei die Macher der „Sibylle“ mit ihrem ursprünglichen Anspruch, eine „Modezeitschrift von Welt“ sein zu wollen, von den realen Möglichkeiten der sozialistischen Planwirtschaft allzu oft ausgebremst wurden. Die schicken Sachen auf den schönen Bildern gab es nirgendwo zu kaufen. Was die Leserschaft frustierte. Zudem bekam die Redaktion nicht selten ein ideologisches Korsett verpasst. Eine Ausgabe wurde ganz und gar eingestampft, weil darin Blue Jeans „zu kapitalistisch“ behandelt worden seien, wie eine ehemalige Archivarin des Verlages berichtet.

Auch wegen allzu kurzer Mini-Röcke gab es „von oben“ (der Frauenkommission beim Zentralkomitee der SED) massive Schelte, weil „es unwürdig wäre für Frauen in der DDR, die Beine zu zeigen, sich wie Sexobjekte zu geben“.

Viele Jahrzehnte, ein Heft

Geschichten wie diese findet man zwar im Jubiläums-Heft nicht. Dafür eben den amüsanten Kurzdurchlauf der Modejahrzehnte ab den Fünfzigern, als Dior mit Wespentaille und Bleistift-Röcken neue Weiblichkeit provozierte. Für Pariser Cocktailkleider gab es naturgemäß jenseits des Eisernen Vorhangs keinen Bedarf. Aber so ein bisschen Weibchen-Koketterie mit Schößchenkleidern, Petticoat und Pumps verbreitete auch die „Sibylle“. „Hüte sind ein Muss“, hieß es, genauso wie „der rote Kussmund“. O heilige Emanzipation der werktätigen Sozialismus-Erbauerin!

In den 60ern und 70ern wurden Kleider-Hosen-Ensembles, einst Notbehelf der Trümmerfrauen, propagiert.  Später in den 70ern gingen Pop- und Op-Art mit kräftigen Farben und geometrischen Mustern wie auch der Twiggy-Stil (flachbusig, langbeinig, androgyn) an den Modestrecken der „Sibylle“ nicht vorüber. Karottenjeans, Schulterpolster und lässig aufgekrempelte Jackenärmel brachten die 80er. In den 90ern war Retro angesagt,  die Trends folgten immer schneller.

Grenzen frech überschritten

Die „Sibylle“, das beweist die Publikation, hat auch unter erschwerten Bedingungen immer getreulich mitgemacht. Dem Rahmen der nun mal vorgegebenen Möglichkeiten entsprechend und ihn auch mal frech überschreitend. Wenn etwa die Models, die damals noch Mannequins hießen, die Klamotten zum Fotografieren mit eigenen Sachen (aus dem West-Paket) aufgepeppt haben. Make-up-Artisten oder Top-Coiffeure waren an den „Sibylle“-Sets keine Option. Es gab sie schlicht gar nicht. Das machten „die Mädchen“, wie der legendäre Fotokünstler Günter Rössler die jungen Laienmodels nannte, alles ganz selbstverständlich selbst.  
Bis zu Beginn des Jahres 1995 erschien die „Sibylle“. Trotz aller Bemühungen und Eigeninitiative von Redakteurinnen führten finanzielle Gründe  zum endgültigen Aus.

Buchtipp: Ute Scheffler: "Schick mit Sibylle - Zeitlos modern", BuchVerlag für die Frau, 9,95 Euro