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Gesundheitssektor Jeder dritten Klinik droht Schieflage

Ein Krankenhaus in Holzminden ist insolvent - und viele weitere könnten folgen. Gemeinsam fordern die Krankenhausgesellschaft NKG und Niedersachsens Gesundheitsminister daher mehr Geld vom Bund. In einem Punkt sind Betreiber und Minister aber uneins.

Von dpa Aktualisiert: 21.08.2023, 17:49
Umkippende Domino-Steine stehen bei einer Aktion der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft vor dem Neuen Rathaus in Hannover.
Umkippende Domino-Steine stehen bei einer Aktion der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft vor dem Neuen Rathaus in Hannover. Julian Stratenschulte/dpa

Hannover - Jedes dritte Krankenhaus im Land steht nach Angaben der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) vor einer wirtschaftlichen Schieflage, sollte der Bund nicht schnell mehr Geld zur Verfügung stellen. Insgesamt erwarten die 164 Kliniken in Niedersachsen in diesem Jahr ein Defizit von rund 532 Millionen Euro, wie die NKG am Montag in Hannover mitteilte.

Nachdem bereits im Vorjahr ein Defizit von 217 Millionen Euro zu Buche stand, rechnet die NKG für 2024 zudem mit erheblich steigenden Lohnkosten. Ohne kurzfristige Entlastung werde den Kliniken daher bis Ende 2024 knapp eine Milliarde Euro fehlen.

„Die Situation unserer Krankenhäuser ist so angespannt wie nie zuvor“, sagte der NKG-Vorsitzende Hans-Heinrich Aldag. „Die Lage ist ernst. Die Zeit drängt.“

Nur Stunden später wurde bekannt, dass das evangelische Agaplesion-Krankenhaus in Holzminden einen Insolvenzantrag gestellt hat. „Leider können wir unter den aktuellen gesundheitspolitischen Voraussetzungen, die keinerlei Perspektiven bieten, den Krankenhausbetrieb in Holzminden nicht länger aufrechterhalten“, sagte Markus Horneber, Vorstandschef des Mehrheitsgesellschafters Agaplesion gAG. Die wirtschaftliche Situation habe sich in den vergangenen Monaten wegen der Inflation enorm zugespitzt.

Horneber kritisierte: „Die Gesundheitspolitik hat den Zeitpunkt, an der sich die Welle an Krankenhauspleiten hätte aufhalten lassen, verstreichen lassen.“ Nach Angaben des Unternehmens sind mehr als 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen. Die NKG sieht in dem Fall einen Vorboten für das, was in den nächsten Jahren noch häufiger bevorstehen könnte.

Unterstützung erhielt der Zusammenschluss der Kliniken in seinem Appell an den Bund von Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi. Während das Land und die Kommunen bereits mehr Geld für die Investitionen der Krankenhäuser in Aussicht gestellt hätten, sei der Bund für deren Betriebskosten zuständig, sagte der SPD-Politiker. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dürfe die Kliniken nicht in einer Schieflage verharren lassen.

Die Landesregierung hatte bereits angekündigt, den Krankenhäusern für Umbauten rund drei Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen - gestreckt über zehn Jahre und gemeinsam mit den Kommunen. Darüber hinaus seien aber Akuthilfen vom Bund nötig, sagte Philippi.

Die NKG richtete ihren Appell dagegen in erster Linie an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). In Niedersachsen sei der politische Wille, den Krankenhäusern zur Seite zu springen, bei der Landesregierung und den Kommunen erkennbar. „Derjenige, der das nicht erkannt hat nach unserer Auffassung, ist der Bundesgesundheitsminister“, sagte NKG-Verbandsdirektor Helge Engelke.

Die vom Land angestrebte Krankenhausreform, mit der Niedersachsen in acht Versorgungsregionen aufgeteilt und die Kliniken in drei Stufen als Grund-, Schwerpunkt- und Maximalversorger eingruppiert werden sollen, tragen die Krankenhäuser dagegen mit. „Die Krankenhäuser sind bereit für den Strukturwandel“, betonte Engelke.

Ihren Appell an den Bund unterstrich die NKG vor dem Neuen Rathaus in Hannover mit riesigen Dominosteinen, die die Herausforderungen symbolisieren sollten, vor denen die Krankenhäuser stehen: Als Pfleger verkleidete Schaufensterpuppen stemmten sich dabei gegen einen mit „Insolvenz“ beschrifteten Stein, der von Investitionsstau, Personalmangel, Bürokratie und Inflation ins Wanken gebracht wurde.

Oppositionsführer Sebastian Lechner kritisierte, die Kliniken würden mit ihren stark gestiegenen Betriebskosten im Stich gelassen. Die flächendeckende Versorgung in Niedersachsen sei dadurch bedroht, teilte der CDU-Fraktionschef im Landtag mit.

Bereits im Juni hatte ein Bündnis aus Trägern, Gewerkschaften, Berufsverbänden und kommunalen Spitzenverbänden gewarnt, die wirtschaftliche Lage vieler Kliniken sei so dramatisch, dass ihre Existenz in Gefahr sei.