Jan Josef Liefers und Anna Loos Jan Josef Liefers und Anna Loos: «Wir sind da entspannt»
Halle (Saale)/MZ. - Die Stimmung in der Agentur, die Anna Loos und Jan Josef Liefers betreut, ist entspannt. Die beiden Schauspieler und Musiker sind öfter hier, tief im alten Westen Berlins, um mit ihrer Managerin ihre Medienauftritte zu besprechen. Am großen Konferenztisch in dem hellen Altbau-Wohnzimmer wird Milchkaffee geschlürft und geplaudert, nebenbei signiert Loos einen Stapel CDs. Gerade ist die neue Platte ihrer Band Silly eingetroffen. Stolz spielt sie ein paar Titel an, bis auch ihr Ehemann zum Interview erscheint. Selten, aber durchaus bewusst treten sie von Zeit zu Zeit gemeinsam auf, sagt er. Auch im Film geben sie nun wieder ein Paar, in der ARD-Produktion "Nacht über Berlin", die in den Tagen des Reichstagsbrandes 1933 spielt. Trotz des Themas bleibt die Atmosphäre ungezwungen, die beiden nehmen sich Zeit, hören einander zu, verschwinden getrennt zu Raucherpausen. Einmal verlässt Loos das Zimmer, als ihr Telefon klingelt: "Sorry, das ist mein krankes Kind, da muss ich rangehen."
Mit Anna Loos und Jan Josef Liefers sprachen Joachim Frank und Steven Geyer.
Frau Loos, Herr Liefers, kann Popmusik die Welt verändern?
Liefers: Vielleicht nicht die Welt, aber den einzelnen Menschen. Ist ja auch schon was.
Sie sind beide in der DDR aufgewachsen - und haben beide gegen sie opponiert. Welche Rolle spielte dabei die Musik, die Sie in Ihrer Jugend gehört hatten?
Liefers: Schwer zu sagen. Bei mir war es wie bei vielen Jugendlichen in der DDR. Ich habe mich musikalisch vor allem am Westen orientiert, von den Beatles bis zu Pink Floyd. Erst als ich Jahre später wieder in meine alten Ostplatten von Bands wie Lift, Karat, Pankow oder Silly reingehört habe, wurde mir klar, dass sie mich mehr beeinflusst hatten, als ich lange dachte.
Loos: Ich glaube, es war ein Wechselspiel. Die DDR-Bands, die ich mochte, kamen aus demselben Umfeld, lebten so wie ich. So entstand eine stille Übereinkunft, dass in der Musik versteckt alles angesprochen wurde, was uns nervte, vom Liebeskummer bis zur Obrigkeit mit ihren Reise- und Meinungsverboten. Wir haben erwartet und erhofft, etwas zwischen den Zeilen zu finden. Ich weiß noch, wie ich bei jeder neuen Silly-Platte gesucht habe, welche Aufmüpfigkeiten sie an der Zensur vorbeibringen konnten.
Silly war eine der erfolgreichsten Bands der DDR. Nach dem Tod von Sängerin Tamara Danz wurden Sie 2006 die neue Frontfrau. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute auf der Bühne die alten DDR-Hits von Silly singen? Ist das reine Nostalgie?
Loos: Auf keinen Fall. Natürlich ist Musik immer auch ein Spiegel ihrer Zeit. Und gerade die lyrische Arbeit der Ostbands hat über die Jahre einen Dreh bekommen, den es im Westen nicht gab. Wenn Silly, 1985, ein Lied brachte wie ,Ich seh so gerne in die Ferne', wusste jeder, wie es gemeint war. Aber auf neue Weise funktioniert das auch heute, 2013, noch. Natürlich denkt dabei keiner, der im Westen aufgewachsen ist, daran, dass man vierzig Jahre lang sein Land nicht verlassen durfte. Aber vielleicht an einen Aufbruch in die Ferne, der am nötigen Mut oder auch am Geld scheitert.
Auch Sie, Herr Liefers, arbeiten zurzeit wieder an einem Rock-Programm, diesmal mit eigenen Songs. Zuletzt waren Sie mit Ihren Lieblingsliedern aus der DDR-Zeit auf Tour. Wieso kommen diese Lieder heute auch im Westen an?
Liefers: Nicht alle! Wenn Lieder, ob im Osten oder Westen, nur aufs Zeitgeschehen reagierten, sind sie in Vergessenheit geraten. Aber Kunst, die eine generelle Aussage transportiert, kann auch spätere Generationen berühren. Ein paar DDR-Hits funktionieren noch, sogar ohne eine Erklärung.
Zum Beispiel?
Liefers: In meiner Jugend hatte ein Song von Lift große Bedeutung für mich: ,Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr. Irgendetwas ist zerbrochen, wiegt so schwer.' Das hab ich rauf und runter gehört, als klar war, dass ich kein Abi-tur machen darf, wenn ich mich nicht für drei Jahre bei der NVA verpflichte. In meiner Schulzeit passte ,Als ich wie ein Vogel war' von Renft auf das, was ich fühlte. Die DDR wollte, dass jeder Einzelne im Kollektiv aufgeht. Mir war aber wichtig, eine eigenständige Person zu sein. Davon sangen Renft: ,Als ich wie ein Vogel war, der am Abend sang, riefen alle Leute nur: Sonnenuntergang.' Du lässt dir was einfallen, machst auf dich aufmerksam - und alle gucken weg.
Loos: Das deutet jeder auf seine Weise. Heute gibt es die Mentalität, zu jedem Lied zu sagen, warum man es geschrieben hat und was es sagen soll. Ich mag das nicht. Ich will, dass der Zuhörer zum Teil des kreativen Prozesses wird, durch seine Interpretation. Dann ist egal, ob der Text in der DDR oder im Westen geschrieben wurde. Ein Song, der ohne Erläuterung nicht wirkt, ist tot. Dann funktioniert die Kunst nicht mehr.
Liefers: Dass die Musiker gezwungen waren, ihre Aussagen zu verkleiden in eine manchmal anstrengende Lyrik, um die Zensur zu überstehen, macht die Songs heute etwas sperrig. Aber so entstand Poesie. Ein Hit von Lift hieß ,Nach Süden, nach Süden (wollen wir fliegen)' - einfach, weil sie nicht singen durften: Nach Westen, nach Westen. Aber dann wäre der Song auch nicht so schön gewesen.
Die Vieldeutigkeit entstand aus Angst vor der Zensur. Wenn man heute singen kann, was man will - verlieren politische Texte dann ihren Reiz?
Loos: Sicher, heute werden Texte mehr 1:1 gehört. Aber es ist doch auch toll, so offen sein zu können wie wir auf der neuen CD, etwa im Song ,Vaterland': ,Wir bringen für Geld den Tod in die Welt. Wie lieb ich so ein Land, mit Herz oder Verstand?' Das hätte man früher nicht schreiben und aufführen können.
Sie beide verarbeiten Politik aber nicht nur in der Musik oder durch Auftritte in zeitgeschichtlichen Filmen. Sie treten auch für politische Anliegen ein, etwa für intelligente Entwicklungshilfe in Afrika. Was ist wirkungsvoller?
Loos: Mit Filmen oder Musik erreicht man mehr Leute, weil viele Menschen sich gegen solche Statements von Promis sperren und generell politikverdrossen sind. Für meine politische Meinung interessieren sich viel weniger Leute - aber über Filme oder Texte komme ich mit Fans oder Bekannten oft in Gespräche, die ich direkt so gar nicht ansteuern könnte.
Liefers: Es gibt viele Themen, die ich für wichtig halte - von der Frage, wie groß der Einfluss der Wirtschaft auf politische Entscheidungen ist, bis zur Frage, welche Vision wir für Europa in 20 Jahren haben. Ich finde, diese Debatten sollten auch Personen anstoßen, die kein Polit-Sprech reden. Als wir uns zum Beispiel über die Entwicklungsfortschritte und die ungelösten Probleme in Ghana informiert haben, haben wir sowohl in klassischen Medien, als auch in sozialen Netzen im Internet davon berichtet - und das Interesse war erstaunlich groß. Viele Leute interessieren sich durch eine Geschichte von jemandem, den sie gut finden, doch eher für ein neues Thema. Man muss sich im Klaren sein: Sich als öffentliche Person nicht politisch zu äußern, ist auch eine politische Entscheidung.
Sie gehen gemeinsam über rote Teppiche, sitzen nebeneinander bei "Wetten, dass…?", singen Duette. Andere Schauspieler-Paare treten nicht so offensiv auf.
Loos: Die arbeiten halt nicht so häufig - und vielleicht auch nicht so gern - zusammen wie wir. Immerhin haben wir schon sieben Filme miteinander gemacht.
Ist es nicht anstrengend, wenn Privates und Berufliches nahtlos ineinander übergeht?
Loos: Partner-Dreh ist nicht jedermanns Sache, ich weiß. Weil jeder für sich wahrgenommen werden will. Als ich Jan kennenlernte und wir zusammen auftraten, habe ich auch schon geschauspielert. Aber in den Zeitungen war ich immer nur - Vorname: Freundin, Nachname: von Jan Josef Liefers. Ich habe es registriert, ohne dass es mich sonderlich gestört hätte. Und es hat sich ja geändert. Wenn ein Partner im Dauerneid lebt, weil der andere prominenter ist, darf man nicht gemeinsam arbeiten. Aber wir sind da entspannt. Wenn wir in Talkshows gehen, dann immer mit dem Wissen: Das ist Arbeit. Zu "Wetten, dass…?" gehen, heißt, einen Film verkaufen, für ein Buch werben. Deshalb sitzen 99 Prozent der Gäste da.
Keine Angst vor dem Fahrstuhl-Effekt: Wen der Boulevard nach oben befördert, den begleitet er auch auf dem Weg nach unten?
Loos: Sicher, wer seine Hochzeit der ,Bild' verkauft, muss sich nicht wundern, wenn die ,Bild' sich die Scheidung umsonst nimmt. Aber wir haben unsere Hochzeit ja nicht verkauft. Also gibt's auch nichts gratis zu holen.
Liefers: Der Umgang mit dem Boulevard ist ein Teil unserer Presse-Arbeit. Zu Recht. Weil ein großer Teil des Publikums sich seine Informationen vom Boulevard holt. Das Verhältnis kann immer mal kippen. Aber auch ,seriöse' Zeitungen haben mir schon dermaßen eine reingeleiert, dass ich fast sagen müsste, ich rede nie wieder mit einem von diesem Blatt. Du denkst, ,Hey, ich bin doch euer Freund, ich lese euch doch!' Aber das hilft dann auch nichts.
Loos: Vor ein paar Wochen war ich mit den Kindern im Supermarkt. Die Große ist jetzt zehn. Im Zeitschriftenständer entdeckte sie plötzlich auf einer bunten Titelseite ein Bild von Jan und mir mit der Zeile: ,Verlässt er seine Familie?' Sie hat sofort angefangen, wie wild zu weinen. In irgendeinem Interview hatte Jan auf die Frage, wie man eine Liebe ewig jung hält, gesagt, das gehe nicht. Das sei wie mit Salat, den man auch immer wieder frisch anmachen muss.
Liefers: Daraus haben die sich eine Ehekrise zusammenfantasiert.
Loos: Ich war supersauer auf den Journalisten. Das war das erste Mal, dass ich dachte, wenn du den vor dir hättest, würdest du ihn verprügeln. Ich habe ernsthaft überlegt, da anzurufen. Aber die Spucke kannst du dir sparen.
Ihr neuer Film "Nacht über Berlin" erzählt von der Zeit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten - im Rahmen einer Liebesgeschichte. Braucht man eine Lovestory, um Themen wie den Reichstagsbrand heute publikumswirksam umzusetzen?
Liefers: Ein guter Geschichtsfilm muss einfach einen Einblick in die Gefühlslage der Menschen in ihrer jeweiligen Zeit geben. Das ist ja das Einzige, was der Wissenschaftler außen vor lässt: Gefühle. Gerade im deutschen Film kommt es sehr auf historische Genauigkeit an. Einfach mal zu behaupten, ,so könnte es gewesen sein', wie das in Amerika üblich ist - das geht bei uns so gut wie gar nicht. Wobei das mit der Genauigkeit beim Reichstagsbrand nicht so einfach ist. Zu DDR-Zeiten habe ich in der Schule gelernt: Ganz klar, das Feuer haben die Nazis gelegt und dem Kommunisten Marinus van der Lubbe angehängt, um gegen die Kommunisten losschlagen zu können. Vor dem Dreh lernte ich nun: Heute geht man davon aus, dass van der Lubbe wohl doch Einzeltäter war.
Loos: Der Reichstagsbrand ist ein ungeklärter Kriminalfall, der wohl nicht mehr gelöst werden kann. Für eine der Theorien, wie es gewesen sein könnte, muss sich ein Drehbuchautor am Ende entscheiden.
Sagen Historienfilme mehr über die Zeit aus, in der sie entstehen, als über die Zeit, die sie behandeln?
Liefers: Filme können nie losgelöst von ihrer Entstehungszeit betrachtet werden, Stoffe schon. Um ein Beispiel zu nennen…
Loos: In der Rückschau auf eine abgeschlossene Vergangenheit funktioniert das. Aber während Geschichte passiert, kennt man ja den Ausgang nicht. Was wir heute über unsere Gegenwart sagen, wie wir sie beschreiben, das werden uns unsere Kinder wohl in 30 Jahren um die Ohren hauen: "Habt ihr denn nicht gesehen, dass…?"
Liefers: Dafür wollte ich gerade ein Beispiel bringen, als du mich unterbrochen hast, Anna.
Loos: Ohhh, Schatz, entschuldige! Mein Lieblingshobby, dich unterbrechen …
Liefers: Die Aussage eines Textes kann sich Jahre später ins Gegenteil verkehren, ohne dass der Text sich ändert. Heiner Müller hat in den 50er Jahren ein Stück geschrieben, "Lohndrücker". Es ging um einen Helden der Arbeit, der am Hochofen freiwillig Sonderschichten macht für den aufstrebenden Arbeiter- und Bauernstaat. Alles positiv gemeint. Kurz vor der Wende wurde das Stück noch mal aufgeführt, von Müller selbst inszeniert. Und nur durch die Entwicklungen in der DDR Ende der 80er hatte es plötzlich nichts mehr von sozialistischem Heldentum, sondern wurde ein melancholischer Abgesang auf all die Ideale und Parolen der Entstehungszeit des Stücks. Es war eben immer noch ein guter Text. Nur seine Aussage hatte sich total geändert.
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