ICE-Unglück in Eschede ICE-Unglück in Eschede: Auch Reisende im Gegenzug waren in Gefahr

Celle/dpa. - An der Brücke war der ICE «Wilhelm Conrad Röntgen» nach einemRadreifenbruch zerschellt. In dem Prozess müssen sich drei Ingenieureverantworten. Sie sollen das Radsystem bei seiner Einführung nichthinreichend geprüft haben.
Bei der Verhandlung vor der 1. Strafkammer des LandgerichtsLüneburg in Celle sagte auch der ehemalige Ombudsmann der DeutschenBahn AG, Otto Ernst Krasney, aus. Er verteidigte die Höhe derSchmerzensgelder an Hinterbliebene. Die Nebenkläger übten derweilmassive Kritik am Verhalten der Bahn.
Krasney, der kurz nach Unglück als Ombudsmann für die Opfereingesetzt worden war, sagte, ein Kompromiss zwischen dem Angebot derBahn und den Forderungen von Opferanwalt Reiner Geulen über 500 000Mark pro Todesopfer sei «außerhalb jeder Reichweite gewesen». Er habesich gescheut, solche Summen bei den Verhandlungen ins Auge zufassen: «Der Schmerz ist weder mit 30 000 Mark noch mit einer Milliongelindert.» Das parallele Zivilverfahren sei die einzige Lösunggewesen. Pro Todesopfer hatte die Bahn rund 15 000 Euro anHinterbliebene gezahlt. Bis heute wurden insgesamt rund 23 MillionenEuro für Schmerzensgeld, Therapiekosten und Folgeschäden überwiesen.Die Schmerzensgelder machten davon 3,5 Millionen Euro aus. DieBeerdigungen der 101 Toten kosteten etwa 1,2 Millionen Euro.
Krasney räumte ein, dass die Sachbearbeiter der Bahn in derAnfangszeit der sensiblen Materie «nicht gewachsen gewesen» waren. Soseien 15 Briefe an Hinterbliebene mit einem Portostempel der Bahnversehen worden, dessen Logo einen ICE-Triebkopf und das Motto «DieBahn kommt» zeigte. In einem anderen Fall sei ein Mann versehentlichmit der Anrede «Familie» angeschrieben worden. Er hatte Frau und Kindbeim Unglück verloren. In einem Fragebogen der Bahn musstenHinterbliebene in einer Skala von 1 bis 10 den Grad ihrerBetroffenheit ankreuzen. In einem anderen Formular wurde gefragt: «Inwelchem Zug sind Sie gefahren?» In der Gesamtbetrachtung sei die Bahnbei den Leistungen aber weit über geltende Pflichten hinausgegangen.
Heinrich Löwen, Sprecher der Hinterbliebenen, sagte dagegen: «Beiuns ist der fatale Eindruck entstanden, dass es hier umSchadensbegrenzung und Imagepflege ging.» Die Bahn sei derSelbsthilfeorganisation der Eschede-Opfer keine Hilfe gewesen.Krasney habe sich gewiss bemüht, sagte Löwen: «Aber er hat den Jobunterschätzt.» Bei einer Umfrage unter 61 Eschede-Betroffenen hätten26 gesagt, Krasney habe sich eindeutig als Mann der Bahn erwiesen. 36sagten, der Ombudsmann werde von der Bahn bezahlt und berücksichtigevorrangig deren Interessen. 4 sprachen von einem neutralen Experten.Keiner stimmte bei der Umfrage mit mehreren möglichen Antworten derAussage zu: «Er setzt sich gegenüber der Bahn energisch für dieBelange der Betroffenen ein.»
Der Prozess wird am nächsten Dienstag fortgesetzt.

