Hungertod einer Fünfjährigen Hungertod einer Fünfjährigen: Belogen Eltern von Lea-Sophie das Jugendamt?

Schwerin/ddp. - Zwei Tage nach dem qualvollen Tode der verhungerten fünfjährigen Lea-Sophie weisen die Stadt Schwerin und das Jugendamt weiter die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück. Oberbürgermeister Norbert Claussen (CDU) sagte am Freitag, dass nach derzeitigen Erkenntnissen das bestehende Regelwerk zum Umgang mitHinweisen zu Kindeswohlgefährdungen eingehalten worden sei.Unterdessen betonte das Jugendamt, das Mädchen offenbar nie gesehen zu haben und von den Eltern noch eine Woche vor dem Tod des Kindes über dessen Zustand belogen worden zu sein. Claussen räumte ein, dass die bestehenden Mechanismen offensichtlich nicht ausgereicht hätten.
Inzwischen wurde ein zweiter Fall von mutmaßlicherKindesmisshandlung bekannt. Nach Angaben der SchwerinerStaatsanwaltschaft soll ein 30-Jähriger seine zehnjährigeStieftochter zwei Jahre lang gequält und geschlagen haben. Das Kind sei am ganzen Körper mit Blutergüssen überzogen gewesen, sagte ein Sprecher. Die Misshandlungen wurden den Angaben zufolge durch eine Lehrerin des Kindes bekannt. Gegen den Mann wurde Haftbefehl wegen schwerer Misshandlung und gefährlicher Körperverletzung erlassen. Gegen die 29-jährige Mutter wird wegen unterlassener Hilfeleistung und Verletzung der Fürsorgepflicht ermittelt.
Im Fall der verhungerten fünfjährigen Lea-Sophie berichtetenOberbürgermeister Claussen und das Jugendamt, dass noch am 13.November Kontakt zu den Eltern bestanden habe. Allerdings hätten sich die Hinweise zu einer möglichen Kindeswohlgefährdung in der Familie auf den kleinen Bruder von Lea-Sophie, nicht aber auf das Mädchen bezogen. Diese habe ein «seit Jahrzehnten erfahrener Mitarbeiter» zusammen mit einem Kollegen überprüft. Dabei seien nebenher auch Fragen zu Lea-Sophie gestellt worden, die die Eltern dem Anschein nach glaubwürdig beantwortet hätten.
Zugleich erklärte die Abteilungsleiterin des Jugendamtes, KarenMüller, dass dies der erste persönliche Kontakt der Mitarbeiter mitden Eltern gewesen sei. Dagegen hätten die Mitarbeiter das Mädchenbis zuletzt nie zu Gesicht bekommen. Im Nachhinein müsse manfeststellen, so Müller, von den Eltern über den Zustand vonLea-Sophie belogen worden zu sein.
Claussen nahm den zuständigen Mitarbeiter jedoch in Schutz. Ermache sich «ernsthafte Sorgen» um den Mitarbeiter, der sich selbsterhebliche Vorwürfe mache. Seit Bekanntwerden des Falls würden dieMitarbeiter des Jugendamtes zudem in Telefonaten und Briefen massivbeschimpft, sagte er.
Nach derzeitigen Erkenntnissen haben sich in den vergangenen zwölfMonaten offenbar mindestens vier Mitarbeiter mit der Familiebeschäftigt. Im vergangenen Jahr hatte sich ein Familienangehörigernach einem Kita-Platz für das Mädchen erkundigt. Ein Kontakt zu denEltern sei dabei aber nicht entstanden.
Lea-Sophie war laut Obduktion nach monatelangen Qualen verhungertund verdurstet. Sie wog bei ihrem Tod noch 7,4 Kilogramm. Normal sindfür Kinder dieses Alters 15 bis 20 Kilogramm. Das SchwerinerAmtsgericht hatte am Donnerstag Haftbefehle gegen den 26 Jahre altenVater und die 23 Jahre alte Mutter wegen gemeinschaftlichenTotschlags erlassen.
Der familienpolitische Fraktionssprecher der CDU-Landtagsfraktion,Harry Glawe, forderte Kriseninterventionsteams nach dem Vorbild beiZwangseinweisungen in die Psychiatrie. Landesjugendamt undSozialministerium seien jetzt dazu gefordert.
Claussen sagte, angesichts der bundesweit »steigenden Zahl vonKindeswohlgefährdungen und einer gleichzeitigen Intensivierung derVorfälle« müssten Eltern zukünftig zu Untersuchungen verpflichtenwerden. Eine »100prozentige Sicherheit», dass sich derartige Fällenicht wiederholten, gebe es jedoch nicht.
