Höxter Höxter: Eltern erhielten SMS von ihrer toten Tochter

Höxter - „Mama, mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen.“ Erst wenige Tage alt ist diese Handy-Botschaft, die Angelika B., die gemeinsam mit ihrem Ex-Ehemann Wilfried W. mindestens zwei Frauen misshandelt und getötet und mehrere gefangen gehalten haben soll, an die Mutter von Annika W., eines der beiden Opfer, verschickt hat. Als sie die SMS in Annikas Mobiltelefon tippte, um die ahnungslose Frau in Sicherheit zu wiegen, war deren Tochter schon mehr als 20 Monate nicht mehr am Leben. Über wie viel Boshaftigkeit, ja kriminelle Energie muss ein Mensch verfügen, um so zu handeln? Ralf Östermann ist ein erfahrener Ermittler und gewiss nicht zartbesaitet, aber als er am Dienstag dieses schreckliche Detail bei einer Pressekonferenz im Bielefelder Polizeipräsidium preisgibt, muss auch er kurz mit der Fassung ringen.
Nach den ersten schlimmen Berichten über das „Horror-Haus“ in Höxter-Bosseborn konnte kaum verwundern, dass das am Freitag festgenommene Paar zu einer Menge Brutalität und Abgebrühtheit in der Lage sein müsse. Doch die grauenvollen Schilderungen des Kriminalhauptkommissars übersteigen alle Befürchtungen. Nach Annikas Tod hatten Wilfried W. und Angelika B. die Leiche in ihrer Tiefkühltruhe eingefroren. Später zerteilten sie den Körper in kleine Stücke, die Leichenteile wurden im Kaminofen verbrannt, die Asche verstreute man in den Wäldern rings um Bosseborn.
Erst wollte das Paar ein Taxi rufen
Am Montag war aus Ermittlerkreisen durchgesickert, dass die beschuldigte Ex-Ehefrau nicht nur zugegeben habe, für den Tod von Susanne F. verantwortlich zu sein, sondern dass es ein weiteres weibliches Todesopfer gebe. Die 41 Jahre alte Susanne F. war vergangene Woche in einem Krankenhaus im niedersächsischen Northeim gestorben. Offenbar aus Panik hatte das Paar den Entschluss gefasst, die durch wochenlange Misshandlung extrem geschwächte Frau aus dem Haus zu schaffen und sie in ihren Heimatort Bad Gandersheim zu bringen. Auf halber Strecke zwang ein Motorschaden Wilfried W., die Fahrt abzubrechen.
Erst wollte man ein Taxi rufen, verwarf diese Idee angesichts des lebensbedrohlichen Zustands der Frau auf der Rückbank jedoch. Die beiden riefen „wohl im Zustand absoluter Überforderung“ einen Rettungswagen. Da muss dem Duo klar gewesen sein, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Polizei ihrem Treiben ein Ende setzen würde.
Wilfried W. schiebt alles auf seine Ex-Frau
Inzwischen hat Angelika B. „ein relativ umfassendes Geständnis“ abgelegt. Ihre Aussagen, gerade auch was den Fall der zuerst zu Tode gekommenen Frau betrifft, seien glaubhaft und deckten sich mit Angaben aus der Nachbarschaft. Dort war aufgefallen, dass Annika „irgendwann nicht mehr da war“. Angeblich weil sie nach Amsterdam umgezogen war. Das Einwohnermeldeamt fragte nicht weiter nach. Inzwischen weiß man, dass die 33-Jährige im August 2014 an den Folgen der ständigen Misshandlungen gestorben ist, die ihr nach derzeitigem Erkenntnisstand Wilfried W. zugefügt hat. Ob und in welchem Umfang seine geschiedene, aber weiter unter dem gleichen Dach lebende Ex-Frau an den Schlägen, Tritten und Fesselungen beteiligt war, wissen die Ermittler noch nicht. Bislang habe der Mann „die erhobenen Tatvorwürfe in Abrede gestellt und alles auf Angelika geschoben“. Ralf Östermann, nun Leiter der Mordkommission Bosseborn: „Er spricht mit uns, aber er sagt nichts Substanzielles, während sie zu ihren Tat steht.“
Auch sie ist von Wilfried W. offenbar misshandelt worden. Eine der vielen ungeklärten Fragen ist, warum sie es trotzdem so lange bei ihm ausgehalten hat und zu seiner Komplizin wurde. Sie sei ihm hörig gewesen, hat sie der Polizei erzählt. Vielleicht habe sie jetzt ihr Gewissen entlasten wollen, sagt der Paderborner Oberstaatsanwalt Ralf Meyer. Das seien im Moment aber bloß Mutmaßungen.
Was für ein Motiv hatte Wilfried W., assistiert von seiner Gehilfin? Die bisherigen Ermittlungen hätten keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch ergeben. „Sexualität hat eine Rolle gespielt, aber eine untergeordnete“, sagt der Staatsanwalt. W. sei es wohl in erster Linie um Machtausübung gegangen. „Sein Wort war Gesetz.“ Widerspruch duldete er nicht, und waren die Frauen „aufsässig“, dann wurden sie gedemütigt und hart bestraft.
Um seine unumschränkte Verfügungsgewalt durchzusetzen, vielleicht auch zur Abschreckung, wurden die Opfer gefesselt, an Heizkörpern oder in der Badewanne angekettet und mussten fast entblößt auf dem kalten Fußboden schlafen. Selbst kleine „Verfehlungen“ wurden geahndet. Die Frauen seien wegen Nichtigkeiten misshandelt worden, hat Angelika B. zu Protokoll gegeben, „zum Beispiel, wenn beim Tischdecken das Messer nicht da lag, wo es hingehört“. Die Mischung aus Sadist und Ordnungsfanatiker ist in der Kriminalgeschichte keine Seltenheit. W. war 1995 wegen schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung verurteilt worden – das Opfer war seine damalige Lebensgefährtin.
Wer ist dieser Wilfried W. und wie ist es ihm gelungen, immer wieder Frauen gefügig zu machen? Warum hat keines der Opfer versucht, sich aus seiner Gewalt zu befreien? War es bloß die Aussichtslosigkeit einer Flucht oder war auch ein Funken Freiwilligkeit mit im Spiel? Ist es glaubhaft, dass die Nachbarn, wie sie Reportern aber auch der Polizei erzählen, von alldem nichts mitbekommen haben? Das Leben in dem heruntergekommenen Haus habe „größtenteils in der Dunkelheit stattgefunden“, berichtet Oberstaatsanwalt Meyer.
Vor Jahren habe ihr Wilfried W, der zuletzt von Hartz IV lebte, Frühstückseier verkaufen wollen, erzählt eine Anwohnerin. Eine innere Sperre habe sie damals jedoch zögern lassen, „ich weiß auch nicht warum“. Bosseborn ist ein dörflich geprägter Ortsteil von Höxter im östlichsten Zipfel Ostwestfalens. Ein großer Maibaum schmückt den Dorfanger, es riecht nach Land. „Das was man gemeinhin eine Idylle nennt“, sagt Ortsheimatpfleger Richard Niederprüm. „Ich kenne jeden unserer 529 Einwohner persönlich. Wilfried W. habe ich den ganzen fünf Jahren ein einziges Mal gesehen, am Steuer seines Wagens.“
Während der Chef in Bielefeld der Öffentlichkeit Auskunft über den Ermittlungsstand gibt, geht in dem verwahrlost wirkenden Haus im Saatweg die schwierige Kleinarbeit seiner Mitarbeiter weiter. Ein Sichtschutzzaun soll dafür sorgen, dass die Spurensicherung unbeobachtet „das ganze Objekt quadratzentimeterweise“ auf den Kopf stellen kann. Konkrete Hinweise auf weitere Leichenfunde im Haus gebe es derzeit aber nicht.
Nach außen hin traten Angelika B. und ihr Ex-Mann als Geschwisterpaar auf. Und auch wenn sich Frauen auf Annoncen meldeten, mit denen Wilfried W. sie anschließend ins Haus lockte, spielte sie die Schwester. Anfang April, als Susanne T. noch lebte, soll der Frauenfänger eine Anzeige geschaltet haben: „Netter ER, 45 J., 188 cm, 110 kg, NR, dunkelhaarig, romantisch mit Pkw, sucht liebe SIE für feste Beziehung.“ Bislang hat der Mann in den Verhören überwiegend geschwiegen. Eines aber hat er Ermittler Östermann gestanden, „und zwar mit Stolz in der Stimme“: Es gebe nur zwei Zeitungen in Deutschland, bei denen er keine Anzeigen-Schulden habe.
Gefangen und geschlagen: Schicksale gequälter Menschen
Ein geistig behinderter Mann wird zwischen 1988 und 1999 von einem Ehepaar in einem Bauernhaus in Lobach gefangen. Er muss in einem zweieinhalb mal vier Meter kleinen Badezimmer wohnen und verrichten. Oft wird der Gefangene von den Eheleuten körperlich misshandelt.
Natascha Kampusch wird 1998 im Alter von zehn Jahren von Wolfgang Priklopil entführt, weil er sich nach Vermutung der Polizei eine ideale Gefährtin erziehen will. Achteinhalb Jahre hält er das Mädchen in einem Kellerverlies in Niederösterreich gefangen und misshandelt es. Mitte August 2006 gelingt der jungen Frau die Flucht.
Drei Frauen werden 2006 mit Job- und Vermietungsanzeigen in ein Haus bei Bremen gelockt. Zwei Männer, die ein Bordell eröffnen wollen aber keine Prostituierten finden, quälen sie dort zum Teil wochenlang. Eine der Frauen muss in einem Hundekäfig schlafen und aus einem Napf essen. Einem der Opfer gelingt die Flucht.
Eine junge Frau zieht 2010 zur Familie eines Jugendlichen. Später wird sie vom Familienvater neun Monate gegen ihren Willen in dessen Haus in Baden-Württemberg festgehalten und misshandelt, bevor sie fliehen kann. (dpa)