Krieg in Gaza Historikerin zu Protesten an Unis: Streit aushalten
Wie umgehen mit Besetzungen an Hochschulen? Aus Sicht der Historikerin Miriam Rürup sollten wir vor allem mehr über die Hintergründe sprechen.
Potsdam/Berlin - Aus Sicht der Leiterin des Moses Mendelssohn Zentrums an der Universität Potsdam sollte mehr über die Inhalte der Proteste an Hochschulen gesprochen werden. Es werde so viel über die Protestformen und die Legitimität des Protests gesprochen, vor allem über die Grenzüberschreitungen, sagte Miriam Rürup der dpa. „Wir sprechen kaum mehr davon, worum es den Protestierenden inhaltlich eigentlich geht - nämlich um die Kriegsführung zwischen Israel und der Hamas.“
Hintergrund der Proteste sei, dass aus Sicht der Protestierenden zu wenig über die Solidarität mit den Palästinensern in dem sehr zerstörerischen Krieg gesprochen werde. Hochschulen seien gute Orte, um zu streiten, zu lehren und widersprüchliche Meinungen anzuhören und zu diskutieren. „Wir müssen den Streit als Gesellschaft aushalten.“
Zuletzt war an der Alice Salomon Hochschule Berlin ein Hörsaal besetzt worden. Nach Angaben der Hochschule hatten Aktivisten mehr Raum für Dialog gefordert. Sie verließen das Gebäude nach einem Gespräch mit der Hochschulleitung nach mehreren Stunden friedlich. Die Präsidentin der Hochschule, Bettina Völter, war dafür kritisiert worden, die Polizei zu bitten, sich vom Eingang der Hochschule zu entfernen. Rürup dagegen sagte, ihr Eindruck sei, dass Völter deeskalierend vorgegangen sei und die Situation unter Kontrolle gebracht habe.
Workshops, Seminare und Dialogformate
Auch an anderen Hochschulen hatte es im vergangenen Jahr Proteste, versuchte Besetzungen und Camps gegeben. Viele führten Workshops, Seminare und Dialogformate zu Nahost-Themen aus unterschiedlichen Perspektiven an. Eine Umfrage unter Berliner Hochschulen ergab, dass diese Angebote überwiegend gut genutzt werden und weiterlaufen sollen. Auch wurden an den meisten Hochschulen Antisemitismusbeauftragte eingesetzt oder sind geplant.
Rürup sieht die Zunahme an Seminaren und Vorträgen als positives Zeichen. Diese Maßnahmen seien der richtige Weg, denn sie fördern die Auseinandersetzung und gehen damit auf eine der Forderungen der Protestierenden ein. Die Maßnahmen seien „nicht repressiv, sie gehen vom Kern dessen aus, wofür Hochschulen stehen, und wenden sich dem Thema proaktiv zu“.
Repressionen würden das Gegenteil bewirken, wie Rürup ausführte: Sie schafften ein Klima des Generalverdachts und verhärteten die Fronten. Damit schadeten sie am Ende den jüdischen Studierenden, zu deren vermeintlichen Schutz sie häufig eingefordert würden. Nur klarer Schutz von Grundrechten schütze vulnerable Gruppen – und zu diesen gehörten jüdische ebenso wie palästinensische Studierende.
„Mehr Bereitschaft für schwierige Aushandlungsprozesse“
Hochschulen könnten gute Partner dafür sein, was gesamtgesellschaftlich zu wenig passiere, sagte Rürup: der Vielstimmigkeit wirklich Raum zu geben. „Und zu der Vielschichtigkeit würde auch gehören, palästinensischen Stimmen gemeinsam mit den jüdischen und israelischen Raum zu geben. Und: bereit sein, sich der Perspektive des jeweils anderen zu öffnen.“ Sie erlebe Teile der jüdisch-palästinensisch-israelischen Community als eine, in der viel mehr Bereitschaft bestehe, sich in diese schwierigen Aushandlungsprozesse zu begeben, als es in der allgemeinen deutschen Gesellschaft der Fall ist.
Ebenso wenig wie es „die Juden“ oder „die Israelis“ gebe, gebe es „die Palästinenser“ als homogene Gruppe. Darunter gebe es leider auch Hamas-Unterstützer, und dort höre das Gespräch auf. Propalästinensisch heiße aber nicht automatisch islamistisch oder antisemitisch. „Alles, was sich Palästina-solidarisch nennt, ist ja fast schon mit dem Etikett versehen, antiisraelisch und antisemitisch zu sein. Und das finde ich hochproblematisch und es ist faktisch falsch.“
So ließe sich die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ auch als Solidaritätsausdruck für diejenigen sehen, die dafür kämpfen, dass die israelische Besatzung in palästinensischen Gebieten endet und in Israel Palästinenserinnen und Palästinenser volle Gleichberechtigung erfahren. Die Parole bezieht sich auf das Gebiet zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer. Die islamistische Hamas versteht darunter, dass der Staat Israel verschwinden soll. Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums ist die Parole in Deutschland verboten, wenn sie als Kennzeichen der Hamas verwendet wird.