Heimatstadt des Co-Piloten Heimatstadt des Co-Piloten: Montabaur ist geschockt über die Tat von Andreas L.

Montabaur - Stolz ist man in Montabaur, dem rund 12 500 Einwohner zählenden Örtchen im unteren Westerwald, auf vieles: auf den ICE-Bahnhof zum Beispiel, den man der Deutschen Bahn abgetrotzt hat. Auf den Frauen-Fußballverein, der in der Zweiten Bundesliga spielt. Auf das brandneue Fashion Outlet Center, das nach jahrelangen Rechtsstreitereien im Sommer 2015 endlich seine Tore öffnen soll.
An diesem Donnerstagmittag scheint der Stolz, den die „Wäller“ gerne vor sich hertragen, aus vielen Gesichtern verschwunden: In Gruppen stehen sie auf dem Wochenmarkt und dem Rathausvorplatz zusammen und diskutieren, was seit zwölf Uhr mittags über sämtliche Medienkanäle gesendet wird: Einer von ihnen, Andreas L., der Co-Pilot des Germanwings Fluges 4U9525, soll verantwortlich sein für den Absturz der Maschine an diesem Dienstag – damit für den Tod von 150 Menschen. Viele im Ort kennen den sportlichen 27-Jährigen, der gerne joggte und als leidenschaftlicher Flieger galt. „Was ist in diesem Menschen bloß vorgegangen?“ Das fragt sich nicht nur Rainer Mies, ein guter Bekannter von L.s Mutter. „Er muss schon unglaublich verzweifelt gewesen sein, wenn er wirklich so etwas Schreckliches getan hat.“
Bei der Stadt igelt man sich ein: Es werde heute keine Statements geben, sagt Pressesprecherin Karin Stupinsky. Weder von der Stadtbürgermeisterin Gabi Wieland noch von Verbandsgemeinde-Chef Edmund Schaaf.
In der Stadt wird das Geschehen unterschiedlich kommentiert. Was da passiert sei, „geht gar nicht“, sagt eine Frau, die in einer der Seitengasse mit anderen zusammensteht. Sie ist den Tränen nahe. Ihre Tochter habe dasselbe Alter wie L., man kenne sich hier in Montabaur. „Der Ort ist doch so klein“, sagt sie. Sie weiß, dass die Mutter des Co-Piloten gerade mit anderen Hinterbliebenen am Unglücksort weilt. Erst an diesem Morgen hat Familie L. das Haus verlassen, um nach Frankreich zu fliegen – nur wenige Stunden, bevor L. als derjenige ausgemacht wurde, der nach jetzigen Erkenntnissen den Tod von 149 Menschen und seinen eigenen zu verantworten hat.
Engagiert sei der 27-Jährige gewesen, hört man von allen, die ihn kannten. Von den Mitgliedern der Feuerwehr. Beim örtlichen Segelflugverein, dem LSC Westerwald. An einem Hügel kurz hinter der Stadtgrenze, dort, wo die Flugzeughallen des Vereins liegen, wartet Klaus Radke bereits auf die Medienvertreter. „Natürlich kannte ich den Andreas“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Er ist geflogen, seitdem er 14 Jahre alt war, und hat sein Hobby zum Beruf gemacht, was ja nicht so einfach ist.“ Bereits kurz nach dem Crash hatte der Verein eine Traueranzeige für Andreas L. auf seine Webseite gestellt. Sein Traum sei es gewesen zu fliegen, heißt es darin. Ein Traum, „den er jetzt so teuer mit dem Leben bezahlte“. Inzwischen ist die Seite nicht mehr erreichbar.
Ein letztes Mal gesehen habe er L. im vergangen Herbst, sagt Radke. Da habe er seine Scheinerhaltungsflüge für das Segelfliegen gemacht. Ansonsten war der 27-jährige nur noch selten auf seinem Heimatflughafen anzutreffen. „Wegen seiner Dienstpläne konnte er gewisse Arbeiten hier im Verein nicht mehr leisten.“
Zum vermuteten Selbstmord des 27-Jährigen will er keine Stellung beziehen. „Es wird immer schnell etwas in die Welt gesetzt, das dann schwer zurückgenommen werden kann. Denken Sie bitte auch an die Menschen, die übrigbleiben. Egal, ob es die Hinterbliebenen der Passagiere sind oder die Eltern von Andreas.“ Während er das sagt, gesellen sich immer mehr Mitglieder des Vereins zu Radke. Ein kurzes Gespräch? Sie winken ab.
Auf die Frage wie Andreas denn als Mensch gewesen sei, antwortet Radke, der selbst schon mit L. geflogen ist: „Er war ein ganz normaler Mensch – weder in die eine noch in die andere Richtung irgendwie auffällig. Ein netter aufgeschlossener junger Mann.“
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„Ein Mörder war das“, sagt hingegen Hans-Dieter K., der seinen vollen Namen nicht nennen will. Tränen rinnen über das Gesicht des Rentners. „Wer so etwas tut, ist für mich ein Mörder, auch wenn er vielleicht krank war. Genau wie dieser Typ damals in Norwegen, der die ganzen Schulkinder erschossen hat.“
Wir stehen vor dem Elternhaus von Andreas L., in dem auch er selber lebte. Ein zweiter Wohnsitz ist in Düsseldorf. Hans-Dieter K. ist extra aus einem Nachbarort nach Montabaur gekommen, um sich das „Mörderhaus“, wie er es nennt, anzusehen.
Das Haus liegt in einer stillen Seitenstraße. Polizisten stehen davor. Vor der Haustür liegen dicke rote Kieselsteine. An den Fenstern sind die Jalousien heruntergelassen. Neben dem Haus und am Eingang der verkehrsberuhigten Straße stehen mehrere Polizeiwagen. Am Himmel zieht ein Hubschrauber knatternd seine Kreise.
Das Medieninteresse ist unermesslich groß. Übertragungswagen aus mehreren Ländern blockieren die Seitenstreifen und die Garagen der Nachbarn. Erste Bilder von dem weiß getünchten Einfamilienhaus kursieren bereits seit den Mittagsstunden im Internet.
Neben K. steht inzwischen ein Bekannter von ihm aus Montabaur. Herbert M. ist mit dem Fahrrad gekommen. Auf seinem Kopf sitzt ein knallgelber Fahrradhelm, sein Gesicht ist verschwitzt. Er „hatte schon so eine Ahnung, dass da etwas nicht stimmt, als ich hörte, der Co-Pilot hat die Tür zum Cockpit von innen abgeschlossen“, sagt er. Auch Herbert M. kannte weder Andreas L. noch dessen Familie, doch das Geschehen mache ihn „tief betroffen“, sagt er. „Mich wundert, dass nicht mehr Menschen aus Montabaur herkommen. Das betrifft doch unseren ganzen Ort.“
Die Gegend, in der Andreas L. lebte, zeugt von gediegenem Wohlstand. In den Vorgärten der gepflegten Einfamilienhäuser blühen Schneeglöckchen, Krokusse und frühe Stiefmütterchen. Neben den Haustüren stehen Hasen aus Ton und Plastik und warten auf das Osterfest. Von den Nachbarn der Familie L. zeigt sich an diesem Nachmittag niemand auf der Straße. Nur ab und zu bewegt sich hinter einem Fenster verstohlen eine Gardine. Sie alle hier kannten Andreas L., der als netter und zuvorkommender junger Mann galt – und der aus Gründen, die vermutlich nur er selber kannte, 149 Menschen mit sich in den Tod nahm.