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Justiz Haft statt Geldstrafe: Mehr Menschen im Gefängnis

Verurteilt worden sind sie zu einer Geldstrafe - gleichwohl landen viele Straftäter im Gefängnis. In der Regel, weil sie die Zahlung nicht leisten können. Oft trifft es Menschen, die Bus oder Bahn ohne Ticket genutzt haben.

Von dpa 18.01.2024, 05:18
Die Fenster der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee in Berlin sind vergittert.
Die Fenster der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee in Berlin sind vergittert. Paul Zinken/dpa/Archivbild

Berlin - In Berlin haben 2023 deutlich mehr Menschen eine Gefängnisstrafe als Ersatz für nicht gezahlte Geldstrafen verbüßt, als im Jahr zuvor. Nach Angaben der „Deutschen Richterzeitung“, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, kamen deswegen 2894 Betroffene in Haft. Dies sei eine Steigerung um 21 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022 (2390 Fälle), berichtete das vom Deutschen Richterbund herausgegebene Blatt unter Berufung auf Angaben der Senatsverwaltung für Justiz. Verglichen mit 2021 sind die Zahlen sogar um 75 Prozent gestiegen (1645 Fälle).

Häufig sind Menschen betroffen, die Bus oder Bahn ohne Ticket genutzt haben. Im vergangenen Jahr war das nach den Justizangaben in 541 Fällen so. Das sei eine Steigerung um 31 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (414 Fälle) und 77 Prozent mehr als 2021 (305 Fälle).

Als einen Grund für die Entwicklung in der Hauptstadt nennt die Senatsjustizverwaltung die Corona-Pandemie. In dieser Zeit war die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen für längere Zeiträume bis zum 31. Mai 2022 ausgesetzt, erläutert die Verwaltung.

Arne Semsrott, der mit dem Projekt „Freiheitsfonds“ betroffene Menschen freikauft, sieht auch andere Gründe. „Die grundsätzliche Verschlechterung der sozialen Situation spiegelt sich leider in der Justiz wider“, sagte er. Die Initiative bekomme zunehmend mehr Anträge von Betroffenen als sie bezahlen könne.

Das Unterstützung ist bislang ausschließlich auf Menschen beschränkt, die hinter Gittern landen, nachdem sie ohne zu bezahlen Bus oder Bahn genutzt haben. 2023 hat die Initiative in Berlin laut Semsrott 122 Menschen freigekauft, bundesweit seien es 278 gewesen. Insgesamt hat das Projekt nach eigenen Angaben bislang 911 Menschen seit Dezember 2021 für rund 793 881 Euro freigekauft.

Seit Jahren wird über den Umgang mit dem Delikt Fahren ohne Fahrschein gestritten, im Strafgesetzbuch unter Paragraf 265a als „Erschleichen von Leistungen“ geregelt. Semsrott fordert eine Abschaffung der Regelung. Sie diskriminiere arme Menschen.

Auch Linke-Politikerin Lena Kreck hatte sich in ihrer Zeit als Berliner Justizsenatorin für eine komplette Abschaffung des Straftatbestands ausgesprochen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will die Straftat entkriminalisieren, sie aber mit einem Bußgeld sanktionieren.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes (DRB) ist das nicht sinnvoll. „Damit würden künftig die Ordnungsbehörden als steuerfinanzierte Hilfstruppe für die Verkehrsunternehmen eingespannt“, sagte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Die Justiz würde ebenfalls nicht entlastet, weil viele Einsprüche gegen Bußgeldbescheide zu erwarten seien - und die dann doch vor Gericht landen. Rebehn plädierte dafür, nur solche Fälle unter Strafe zu stellen, in denen Täter „Zugangskontrollen umgehen oder Zutrittsbarrieren überwinden“.

Auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) erwartet keine automatische Entlastung für die Justiz bei einer Entkriminalisierung des Straftatbestands, wie sie bei früheren Gesprächen sagte. Zu Buschmanns Vorschlag werde sich Berlin „im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens“ äußern, hieß es aktuell.