1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Gourmet: Gourmet: Das Geschäft mit der Schnecke boomt

EIL

Gourmet Gourmet: Das Geschäft mit der Schnecke boomt

Von Birgit Reichert 26.05.2006, 09:19
Der 8-jährige Christoph beobachtet in Meisburg in der Eifel (Kreis Daun) kleine und große Weinbergschnecken. (Foto: dpa)
Der 8-jährige Christoph beobachtet in Meisburg in der Eifel (Kreis Daun) kleine und große Weinbergschnecken. (Foto: dpa) dpa

Meisburg/dpa. - Bei Dirk Flucke steht Nachwuchs ins Haus. Undzwar gleich tausendfach. In den nächsten Tagen erwartet er auf seinemHof im Eifelort Meisburg in Rheinland-Pfalz eine große Ladung mitschleimiger Fracht aus Italien: 15 000 Weinbergschnecken, für dieschon mehrere 100 knackige Salatköpfe zum Verzehr bereit stehen. DerSchneckenzüchter, der erste in Rheinland-Pfalz, will vor allemGourmetrestaurants beliefern, denn die «Helix Pomatia» erfreut sichunter Feinschmeckern einer wachsenden Beliebtheit. «Wir wollen nichtnur auf den französischen und italienischen Markt, sondern auchregional verkaufen», sagt der 35-jährige gebürtige Thüringer.

Läuft alles dem biologischen Plan gemäß ab, dann werden imnächsten Jahr schon zwischen 300 000 und 450 000 Schnecken bei Fluckeüber die Salatköpfe kriechen. Denn die Weinbergschnecken, zum Startder Zucht allesamt Mutterschnecken, legen jeweils 60 Eier pro Jahr,aus denen bei guten Bedingungen 20 bis 30 Nachkommen entstehen.«Unser Ziel ist es, zwei Tonnen Schnecken im Jahr zu verkaufen», sagtder selbstständige Schreinermeister. Der Preis pro Kilo schwanke jenach Saison zwischen vier bis acht Euro. Im Winter seien die Tieredeutlich teurer: «Sie sind in freier Natur nicht zu bekommen, da dieWeinbergschnecke sich zur Winterruhe im Boden eingräbt.»

Große Schneckenzuchtanlagen gibt es nach Angaben des DeutschenSchneckeninstituts im bayerischen Nersingen bundesweit nur eine Handvoll. Mitsamt den kleineren Züchtern seien es wohl um die 50, schätztMonika Merkle, die sich 2003 als erste Züchterin in Deutschland andie Schnecken gewagt hatte. Auf ihrer Anlage in Nersingen leben rundeine Million Weinbergschnecken, die an Feinschmeckerrestaurants querdurch die Republik geliefert werden.

Flucke ist mehr aus Zufall auf die Schnecke gekommen. Ein Freundhabe ihm von einem Züchter erzählt, da sei ihm die Idee gekommen, esauch zu probieren. «Ich habe mit über fünf Hektar genug Platz dafür»,sagt er. Vor drei Jahren habe er mit zwei, drei Schnecken eine kleineProbezucht in seinem Gewächshaus gestartet, in dem heute um die 2000Weichtiere leben. Nebenbei informierte er sich beim InternationalenInstitut für Schneckenzucht in Italien und nahm an einem Seminarteil, um sich in das Schnecken-ABC einweisen zu lassen.

Seit Herbst nun bereitet er die Ankunft seiner neuenSchneckenfamilie vor. Er legte seine momentan noch einen halbenHektar große Anlage an, die er mit einem eingegrabenen Außenzaun undverzinkten Blechen abgeriegelt hat. «Fressfeinde der Weinbergschneckesind die rote Nacktschnecke, Igel, Mäuse und Wildschweine», sagtFlucke. Unzählige Salatköpfe pflanzte er für die fressgierigen Tierean, die auf ihren Raspelzungen bis zu 40 000 Zähnchen zum Zermalmendes Grüns haben. Nebenbei gründet er derzeit mit einigen Kollegen denersten bundesweiten Züchterverband.

Weinbergschnecken haben als Delikatesse eine lange Geschichte.Katholiken verzehrten sie zur Fastenzeit als Fleischersatz. Auch inder Eifel war es in der Nachkriegszeit üblich, Weinbergschnecken zusammeln und zu essen, sagt Katharina Flucke, die Frau des Züchters.Die Schnecken wurden damals schon zu «einem einfachen und gesundenEssen» verarbeitet. Seit Anfang der siebziger Jahre darf dasgefährdete Weichtier in Westeuropa nur mit behördlicher Genehmigunggesammelt werden. Deshalb werden die Schnecken auch in Frankreich undItalien schon länger gezüchtet.

«Der Bedarf an Weinbergschnecken ist in Frankreich und Italien sogroß, dass neue Züchter gesucht werden», sagt Flucke, der bereits mitgroßen Firmen in beiden Ländern in Kontakt steht. In Frankreichwerden angeblich 40 000 Tonnen Schnecken pro Jahr konsumiert. FluckesPlan ist es aber auch, die Bevölkerung vor Ort für «das Bioprodukt»zu gewinnen. Es müsse ja nicht immer gleich ein extravagantes Gerichtsein, auch in Weißwein gekochte Schnecken nur mit Baguette serviertseien köstlich. Sogar Sohn Christoph (8) esse die Tiere schon mitBegeisterung.