Gotthard Heinrici Gotthard Heinrici : Kein Nazi, aber Kriegstreiber - Hitlers Abwehr-General
Dass Gotthard Heinrici kein Nazi war, darüber sind sich Historiker einig. Der 1886 im heute russischen Gumbinnen geborene Pfarrerssohn ist mit Anfang 50 zwar ein begeisterter Bewunderer Hitlers. Das kommt aber vor allem davon, weil Heinrici, der im Ersten Weltkrieg in den Schlachten von Tannenberg und Verdun gekämpft hatte, der verlorenen Größe Deutschlands hinterhertrauerte.
Hitler, so glaubte der Berufssoldat, der als Fahnenjunker im 6. Thüringischen Infanterie-Regiment Nr. 95 begonnen hatte, könnte der Mann sein, der diese Größe wiederherstellt. Auch um den Preis eines Krieges.
Daraus macht Heinrici in Briefen und Tagebüchern, die der Hamburger Historiker Johannes Hürter editiert und als „Notizen aus dem Vernichtungskrieg“ herausgegeben hat, keinen Hehl.
Es sind dennoch erstaunliche Notate, die der 1971 in Karlsruhe verstorbene einstige Generaloberst und Chef der 4. Armee hinterlassen hat. Heinrici, der zum Teil für sich selbst schrieb - schon in der Gewissheit, Historisches zu erleben -, zum Teil aber auch aus Briefen nach Hause zitiert wird, erlebt den Überfall auf die Sowjetunion in jenem Sommer vor 75 Jahren nicht nur selbst mit. Sondern er ist Teil der mehr als drei Millionen Soldaten umfassenden Truppe, die im Morgengrauen des 22. Juni die Grenze zur eigentlich verbündeten UdSSR überschreitet.
Die Ziele sind klar: Hitlers Soldaten sollen die Sowjetunion niederwerfen, den Bolschewismus ausrotten, die Juden vernichten und Deutschland neuen Raum im Osten erobern.
Glühender Anhänger des Überfalls
Gotthard Heinrici, von Erziehung und Fühlen mehr Preuße als Nationalsozialist, fiebert dem Überfall entgegen, den er mit seinem XXXXIII. Armeekorps im Bereich der Heeresgruppe Mitte anführen wird. „Man hofft auf eine schnelle Entscheidung“, schreibt er seiner Frau Gertrude nach Hause, „es wäre erwünscht, wenn das einträte.“
Ein Mann ohne Zweifel. Ein Mann, der ganz gewiss ist, das Richtige zu tun. „Heute 3.15 Uhr Kriegseröffnung gegen Russland“, lässt er seine Familie per Brief wissen als es so weit ist, „die russische Armee ist buchstäblich aus ihren Betten herausgeschossen worden.“
Heinrici und seine Soldaten sind im Kriegerglück. Vor ihnen habe „nur ein schwacher und nicht gefechtsbereiter Feind“ gelegen, berichtet der Infanteriegeneral. Nun säßen überall in den Wäldern „verlorene Soldaten“, von denen nur einige wenige „hintertückisch Krieg“ führten.
Für Heinrici ist der Krieg nach ein paar Wochen entschieden. Die leisen Überlegungen darüber, ob es klug vom Führer sei, eine zweite Front im Osten zu eröffnen, wo doch England noch nicht geschlagen sei, werden übertönt vom Lärm siegreicher Schlachten. Gotthard Heinrici notiert täglich, was an der Front geschieht.
Er beobachtet das Wetter, porträtiert Land und Leute und bestaunt die gigantischen Ausmaße des Landes, das er und seine Männer erobern wollen.
Und selbst da, wo der erfahrene Kommandeur nach einigen Wochen zum ersten Mal zugeben muss, dass sich „alle Leute in dem Russen verschätzt haben“, weil der gar nicht „miserabel geführt“ sei, bleibt der Grundton siegesgewiss.
Es ist auch für Heinrici nur noch eine Frage von Wochen, bis Stalins Regime zusammenbrechen wird. Der General zählt die Überläufer, die Hunderttausenden von Gefangenen. Diesen Aderlass könne kein Land überleben, ist er sicher.
Es wird ein langer und blutiger Weg zur Erkenntnis, den Gotthard Heinrici in den folgenden dreieinhalb Jahren geht. Glaubt er erst noch an einen Sieg noch vor Ende '41, vertagt sich die Hoffnung dann auf die Offensive '42.
Dazwischen liegt ein Winter, in dem er seine Armee nicht kleiden, manchmal nicht ernähren und mit Munition versorgen kann. Heinrici ist ein kluger Kopf, er hat Strategie gelernt.
Von Überdehnung schreibt er nun, von langen Versorgungswegen und davon, dass Russland über mehr Reserven verfüge als wohl irgendwer vorher gedacht habe. Heinricis Schlüsse sind klar: Es braucht noch mehr Einsatz, mehr Willen. Denn nur wer den größeren Willen habe, werde triumphieren.
Preußischer Starrsinn bis in den Tod
Bessere Generale als die vom Schlage des gläubigen Christen und Vaters zweier Kinder konnte sich Adolf Hitler nicht wünschen. Gotthard Heinrici ist ein Überzeugungstäter, wenn schon nicht im Sinne der nationalsozialistischen Idee, so doch im Geiste unbedingter Pflichterfüllung auch in Fällen privat abweichender Meinung.
Die von oben befohlene Behandlung der russischen Zivilbevölkerung findet er etwa falsch, weil er in Stalins Opfern tendenzielle Verbündete sieht.
Doch Säuberungs- und spätere Vernichtungsaktionen kritisiert er nur halbherzig und ausschließlich auf den Seiten seines Tagebuches. In der Realität befiehlt er allenfalls, die Erde nicht so gründlich zu verbrennen wie vom „Führer“ gefordert.
Des Teufels General wird so immer wichtiger, als die Wehrmacht in die Defensive gerät und Heinrici ein besonderes Talent zur Führung von Verteidigungsschlachten erkennen lässt.
Er selbst glaubt nun längst nicht mehr an einen Sieg. Zusammengeschmolzen sind seine Divisionen, die Männer müde, krank und wie er selbst nach Jahren in vorderster Front kaum noch kampffähig.
Im Gegensatz zu anderen Generalen, die taktisch selbstmörderischen Befehlen Hitlers widersprechen und daraufhin ihre Posten verlieren, bringt die nahende Niederlage für Heinrici Beförderungen und größere Kommandos.
„Die traurigen Ereignisse im Osten lassen uns weiter nach Westen wandern“, schreibt er nach Hause, inzwischen Kommandeur der 1. Panzerarmee. Es ist sein vorletztes Kommando. Im April befehligt er die Reste der Wehrmacht an den Seelower Höhen und erleidet dabei „innere Erschütterungen und seelische Qualen“.
Dann, so Heinrici, habe ihn die „höchste Gewissensnot gepeinigt“, denn es sei von ihm verlangt worden, „deutsche Menschen ohne Sinn zu opfern“. Spätes Erwachen: Heinrici, 59 Jahre alt, stellt acht Tage vor der Niederlage sein Amt zur Verfügung.