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Gina-Lisa Lohfink vor Gericht Gina-Lisa Lohfink vor Gericht: "Dann sehen alle mal wie es mir erging"

Von Melanie Reinsch 27.06.2016, 14:05
Gina-Lisa Lohfink behauptet, vom Opfer zur Täterin gemacht worden zu sein.
Gina-Lisa Lohfink behauptet, vom Opfer zur Täterin gemacht worden zu sein. Getty Images Europe

Berlin - Immer wieder beginnt Gina-Lisa Lohfink zu weinen, wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, schüttelt den Kopf und tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Dann streicht sie sich nervös über die tätowierten Arme, greift zu ihrer Wasserflasche oder nach ihren Taschentüchern, um kurze Zeit später ihre Finger wieder zu verknoten.  Ihr Blick geht oft ins Leere, manchmal zum Publikum oder zu ihren Verteidigern. Dann kommen wieder die Tränen. Das 29-jährige Model ist unruhig an diesem Montag im Gerichtssaal.

„Ich will etwas bewegen. So etwas kann jeder normalen Frau passieren. Das kann man doch nicht spielen. Ich bin froh, dass sich die Politik eingeschaltet hat“, hat sie vor der Eingangstür zum Saal 572 im Amtsgericht Tiergarten gesagt, das klang noch gefasst.  Dann brach  ihre Stimme: „Ich habe Angst, ihn wiederzusehen.“ 

Vor wem hat Gina-Lisa Lohfink Angst? Es ist  Pardis F.. Der 28-Jährige ist an diesem Morgen im Amtsgericht Tiergarten als Zeuge geladen. In einem Prozess, der seit Wochen nicht nur in Berlin, sondern bundesweit  für Aufmerksamkeit sorgt. Es geht um Sex, um eine angebliche Vergewaltigung, um Videos im Internet und auf Telefonen, um vermeintliche Falschaussagen  und K.O.-Tropfen. Der erste Prozesstag am 1. Juni musste abgebrochen werden – Lohfink war auf der Damentoilette zusammengebrochen, nachdem man sie auf dem Flur als „Hure“ beschimpft hatte.

Was  ist passiert? Worum geht es in diesem Prozess? Gina-Lisa Lohfink lernt 2012  im Berliner Club „Maxxim“ Pardis  F. und Sebastian C. kennen. Sie feiern. Sie gehen in die Schöneberger Wohnung von C., haben Geschlechtsverkehr. Die Männer filmen, später wird  das Video diversen Medien zum Kauf angeboten. Wer das getan hat, ist bis heute unklar. Das Video taucht im Netz auf, wo es bis vor wenigen Wochen noch auf der Pornoseite „Pornhub“ abrufbar war. In dem Video ruft Lohfink  mehrmals „Nein, Nein, Nein“ und „Hör auf!“. Das sind die Fakten. Die  Aussagen darüber, was danach passiert ist, widersprechen sich.

Anzeige wegen Vergewaltigung

Gina-Lisa Lohfink zeigt die Männer nach diesem ersten Juniwochenende  2012 wegen Verbreitung des Videos an, ein paar Tage später wegen Vergewaltigung. Sie vermutet,  man habe sie mit K.O.-Tropfen betäubt, spricht von einem Filmriss.  Die Männer bestreiten das.

Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt? Staatsanwältin Corinna Gögge gilt als Hardlinerin im Sexualstrafrecht. Trotzdem glauben das Gericht und die Staatsanwaltschaft Lohfink nicht. Die Männer werden  vom Vorwurf der Vergewaltigung  freigesprochen, wegen Verbreitung des Videos jedoch zu einer Geldstrafe verurteilt.  Gericht und Staatsanwaltschaft  sind der Meinung, Lohfinks „Nein“ in dem Video beziehe sich nicht auf den Sexualverkehr, sondern auf das Filmen.  Lohfink wird im Dezember 2015 wegen Falschaussagen zu 24 000 Euro verurteilt. Der Verkehr habe „einverständlich“ stattgefunden, Lohfink habe „bewusst wahrheitswidrig“ angegeben, „gegen ihren Willen gewaltsam mehrfach zum Geschlechtsverkehr“ gezwungen worden zu sein, heißt es im Strafbefehl. Sie legt Einspruch ein.

„Ich hatte Gefühle für sie“

Von „einvernehmlichem Sex“ spricht an diesem Montagmorgen  auch Pardis F. „Ich hatte Gefühle für sie. Ich hätte nichts gemacht, was sie nicht wollte“, sagt der Iraner.  Auch er ist nervös, wippt mit seinem Fuß. Man habe Spaß gehabt, gefeiert, Alkohol getrunken.  Für ihn sei das alles hier noch viel schlimmer als für Lohfink. Er sei Fußballer und sorge sich um sein Image.

Pardis F. sagt, er wisse nicht, wie das Video ins Netz gekommen sei. Er habe es von Sebastian C. zugeschickt bekommen und lediglich an ein paar gute Freunde weitergeleitet. Er habe es auch niemandem zum Kauf angeboten. „Ich habe die Geldstrafe doch nur geschluckt, damit mein Name nicht noch weiter in die Öffentlichkeit gelangt.“

Gina-Lisa Lohfink  fühlt sich als Opfer, nicht als Täterin.  Ende des vergangenen Jahres hat sie den Strafbefehl erhalten. Kurz danach, in der Silvesternacht, kam es zu den  sexuellen Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof.  Woraufhin viele  eine Verschärfung des veralteten Sexualstrafrechts forderten. So ist der Lohfink-Fall zum Politikum geworden.

Monatelang  hatte der Entwurf  zu einer Novelle des sogenannten Vergewaltigungsparagrafen im vergangenen Jahr im Kanzleramt gelegen. Im Dezember wurde er freigegeben. Doch dieser erste Entwurf aus dem Haus des Justizministers Heiko Maas (SPD) ging vielen nicht weit genug. Experten, Politiker, Verbände, Frauenrechtlerinnen forderten ein Gesetz, in dem festgeschrieben steht, dass das Nein einer Frau reichen müsse, um einen Vergewaltiger zu bestrafen. Erst Mitte Juni einigten sich die Koalitionsfraktionen nun auf eine Reform, die auf dem Grundsatz „Ein Nein ist ein Nein“ beruhen soll.   Die Änderungen sollen jetzt eingearbeitet und  vor der Sommerpause verabschiedet werden.  Ziel ist das Schließen von Schutzlücken, so sagen es die Juristen.  Auch wegen dieser Zahlen: Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 7 345 Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen erfasst, es gab jedoch nur  13 Prozent Verurteilungen.

Lohfink als Galeonsfigur

Lohfink ist  zur Galionsfigur dieser schwelenden Debatte geworden. Seit Wochen solidarisieren sich bei Twitter unter dem Hashtag #TeamGinaLisa Feministinnen,  Aktivistinnen und Frauenrechtlerinnen mit Lohfink. Es kann sein, dass Gina-Lisa Lohfink nicht die ideale Galionsfigur für ihr Anliegen ist. Es kann aber auch sein, dass es keine bessere geben könnte.

Viele  Unterstützerinnen haben sich vor dem Amtsgericht Tiergarten versammelt, vor dem Saal warten Fans und Freunde auf Lohfink. Die Demonstrantinnen rufen: „Du bist nicht allein.“ Lohfinks  Fall soll exemplarisch für die Defizite des bisherigen Sexualstrafrechts stehen. Schließlich habe das Model  „Nein“ gesagt, – und trotzdem würden die Männer nicht verurteilt.

Gina-Lisa Lohfink wächst mit ihrer Mutter und ihren  Halbschwestern in Seligenstadt auf, einer Kleinstadt in Hessen. Nach ihrer Schulzeit absolviert Lohfink eine Ausbildung zur Arzthelferin, um etwas „Handfestes im Steckbrief vorweisen zu können“.  Bekannt wird sie 2008 als „hessische Kodderschnauze“ bei der dritten Staffel der Casting-Show „Germany’s Next Topmodel“.  

„Zack die Bohne“ wird in der Klum-Show zu Lohfinks Leitspruch. Das ruft sie immer dann, wenn sie etwas geschafft hat, wenn sie sich freut. So jemand gewinnt nicht bei Heidi Klum. Aber Gina-Lisa Lohfink fällt auf, durch Lebhaftigkeit, Selbstbewusstsein,  Extrovertiertheit, derben Humor – und ihre heisere Stimme.

Noch während der Show  taucht ein Amateurporno von ihr und ihrem damaligen Freund Yüksel D. im Internet auf. Lohfink sagt, sie habe nichts von der Verbreitung gewusst. Im Video wird deutlich, dass sie davon ausgeht, dass die Aufnahmen privat bleiben. Yüksel D. ist an diesem Montagmorgen im Amtsgericht – als Zuschauer. Er lässt sich filmen und posiert.

Gina-Lisa Lohfink  wird 2008 nur Zwölfte im Model-Wettkampf. In die Welt der B-Prominenz  hat sie es dennoch geschafft. Sie  tingelt fortan als Moderatorin und  Schauspielerin durchs Fernsehen, hat Auftritte in Reality-TV-Shows, wird auf VIP-Partys eingeladen, erscheint auf den Covern  von Männermagazinen. In Klatschzeitschriften heißt es, Fréderic Prinz von Anhalt wolle sie adoptieren. Mit dem Adelstitel wolle Lohfink ihre Karriere in den USA antreiben. Daraus wird nichts. Stattdessen wird das Model  2012 das Gesicht der Berliner Erotikmesse „Venus“, auf der sie zuvor schon als Botschafterin für Safer-Sex tätig war.

Natürlichkeit ist nicht gefragt in der Welt des grellen Glitzerns. Gina-Lisa Lohfinks Lippen und Brüste werden voller, die Fingernägel länger, die Taille schmaler. Immer mehr Tattoos zieren ihren Körper. Vielleicht ist es eine Art Schutzpanzer, den sie sich mit dieser künstlichen Fassade zulegt – oder zulegen will.  Noch scheint sie die Kontrolle über das zu haben, was sie tut. „Zack die Bohne!“ Bis zu dieser Nacht im Juni 2012.

Viele Umgereimtheiten

„Der Fall Gina-Lisa Lohfink führt auf erschreckende Weise vor Augen, wie wenig unser Rechtssystem Frauen schützt, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind“, sagte Friederike Schwebler, frauen- und geschlechterpolitische Sprecherin im Landesvorstand der Berliner Grünen, die auch an der Kundgebung vor dem Amtsgericht teilnimmt.

Doch so eindeutig scheint der Fall nicht zu sein, dass er als klassisches Beispiel für die Schutzlücken im Sexualstrafrecht und als Blaupause für andere Betroffene verwendet werden kann.  Trotz Videos. Trotz Dringlichkeit einer Sexualstrafrechtsreform. Vieles bleibt ungereimt, widersprüchlich.

Elf Videos

Elf Videos existieren aus der Nacht, bestätigt Christian Gerlach, der Verteidiger von Sebastian C., der am Montag nicht im Amtsgericht aussagt.  Insgesamt 15 Minuten Filmmaterial gebe es. Man spiele, man küsse sich, man kokettiere, sagt Gerlach. Lohfinks „Nein“ beziehe sich auf das Filmen. Sie  habe getanzt, gesungen, gelacht. Nichts sei mit Gewalt geschehen.

Lohfinks damalige Managerin Alexandra Sinner, sagt, sie habe Lohfink nach der Nacht der mutmaßlichen Vergewaltigung im Hotel in Köpenick in Empfang genommen. „Sie stieg aus dem Taxi, ich habe sie noch nie so torkeln gesehen.  Ich musste sie stützen, sonst wäre sie umgekippt“, erklärt sie der Richterin Antje Ebner. Apathisch habe sie gewirkt. Das sei ein völlig untypisches Verhalten gewesen. Sinner sei sofort klar gewesen, dass da etwas nicht stimme. Und: „Gina-Lisa hat mich noch nie angelogen. Ich vertraue ihr hundertprozentig.“

Prozess bis Juli vertagt

Als Ebner das besagte Video ohne Ausschluss der Öffentlichkeit ansehen will, springt Lohfinks Rechtsanwalt Christian Simonis erzürnt auf, zieht seine Robe aus und haut mit der Faust auf den Tisch. Lohfink bricht daraufhin in Tränen aus und ruft:  „Die dürfen das alle sehen, dann sehen alle mal, wie  es mir erging.“ Simonis rennt aus dem Saal. Die Verhandlung wird daraufhin unterbrochen und kurze Zeit später ganz beendet. Mitte Juli soll der Prozess weitergehen. Bis dahin muss auch der Befangenheitsantrag geprüft werden, den die  beiden Lohfink-Verteidiger gegen die Richterin gestellt hatten.  „Kein Geld der Welt kann meine Wunden und Narben heilen. Es war schrecklich, wie Pardis mich so rotzfrech angegrinst hat“, sagt Lohfink noch und verlässt mit schwarzer Sonnenbrille das Gericht.

Wird Gina-Lisa Lohfink freigesprochen, kann sie aus dieser Situation nur gestärkt herausgehen. Der Fall würde auch anderen Frauen Mut machen, ihre Peiniger anzuzeigen. Kommt es nicht zum Freispruch, könnte es  für Lohfink schwer werden. Sie stünde als vermeintliche Lügnerin da.  Was  wiederum andere Opfer sexueller Gewalt davon abhalten würde, ihre Vergewaltiger anzuzeigen.