Gesellschaft Gesellschaft: Längst erwachsen und immer noch keinen Sex gehabt
Berlin/dpa. - Denn der 36-Jährige hatte noch nie eineFreundin, geschweige denn Geschlechtsverkehr. Damit ist er allerdingsnicht allein. Denn während die Medien regelmäßig über das «erste Mal»junger Teenager berichten, leben fernab der Öffentlichkeit zahlreicheerwachsene Männer und Frauen, die auch weit nach dem 18. Geburtstagnoch Jungfrauen sind. Bundesweit haben sich daher mittlerweilemehrere Gruppen zusammengeschlossen, die sich «Absolute Beginners»nennen - «Blutige Anfänger».
Genaue Zahlen gibt es nicht, dafür schämen sich die Betroffenenentweder zu sehr oder werden in wissenschaftlichen Studienschlichtweg nicht danach gefragt. Die Bundeszentrale fürgesundheitliche Aufklärung in Köln weiß jedoch, dass mit 18 Jahrennoch rund ein Drittel aller Mädchen und Jungen «Jungfrau» ist. Wannsie dann ihre erste sexuelle Erfahrung machen, ist allerdings unklar.Der Leipziger Sexualforscher Kurt Starke vermutet nach eigenenForschungen hingegen, dass bis zu zehn Prozent der männlichenHochschulabsolventen noch «unberührt» sind.
«Das ist kein Problem einzelner Schichten, das betrifft Lehrer,Piloten und Anwälte genauso wie Arbeitslose», berichtet der AutorArne Hoffmann, der zu diesem Thema bereits ein Buch geschrieben hat.Schließlich könnten es schon scheinbar unwichtige unwichtige Detailsim Kindes- und Jugendalter sein, die sich mit den Jahren potenzieren,so dass die Männer und Frauen noch mit 40 allein sein.
«Die Ursachen für dieses Problem sind sehr unterschiedlich undvielschichtig», erklärt Hoffmann. «Um nur mal ein Beispiel zu nennen:Wenn Kinder unsportlich sind und von den Mitschülern nur ungern inSportmannschaften gewählt werden, werden sie möglicherweise auch aufanderen Gebieten immer weiter ausgegrenzt». Flüchten sie sich dannauch noch in ihre Schulbücher, weil sie besonders schlau wirken oderihr Selbstbewusstsein durch gute Noten aufwerten wollen, haben siestattdessen schnell den Ruf als Streber weg - und werden kaum zuPartys eingeladen, auf denen andere ihre ersten Annäherungsversuchezum anderen Geschlecht wagen.
So ähnlich war es auch bei Peter Krause. Allerdings war er nichtnur sportlich und ungelenk, ihn interessierten Mädchen einfach langeZeit nicht. Erst als seine Freunde dann während der Oberstufe schondie erste Beziehung hinter sich hatten, bemerkte er, dass auch ergerne eine Partnerin hätte. Doch da fehlten ihm bereits einige JahreErfahrung im Flirten und spielerischem Umgang mit Mädchen. Alsoflüchtete er sich in sein Studium und beruhigte sich lange Zeitselber: «Mach' erst einmal den Abschluss, vorher hast Du eh' zu wenigZeit.» Nun ist er 36, hat noch immer keine Freundin und will dasendlich ändern.
Unterstützung findet er bei der Berliner Selbsthilfegruppe der«Absolute Beginners». Der Name stammt von einem David Bowie-Song, indem es heißt «I've nothing much to offer, There's nothing much totake, I'm an absolute beginner» («Ich habe nicht viel zu geben, Esgibt nicht viel zu nehmen, Ich bin ein blutiger Anfänger»). Beiregelmäßigen Treffen tauschen sich die Gruppenmitglieder aus undgeben sich gegenseitig Halt.
«Einige Betroffene kommen mit ihrer Situation zwar sehr gutzurecht, doch die meisten leiden darunter», berichtet Hoffmann ausseiner Erfahrung. «Sie sind unglücklich, so wie andere Menschen mitetwas in ihrem Leben unzufrieden sind, doch sie haben sich oft auchschon mit ihrem Leben ohne Partner arrangiert.»
Das kennt auch Peter Krause. «Ich war lange Zeit nicht wirklichunglücklich mit meiner Situation, aber seit einigen Jahren tut esrichtig weh, wenn ich sonntags alleine durch den Park spaziere unddie ganzen Paare sehe - dann sehne ich mich besonders stark nacheiner eigenen Beziehung», sagt er. Schwierig sei auch, dass vieleFreunde selber Partnerinnen hätten und er sich bei gemeinsamenTreffen oft als «drittes Rad am Wagen» fühle.
«Ich habe jetzt aber erkannt, dass ich mich nicht nur grämen,sondern aktiv etwas ändern muss», sagt Krause. So versucht er, imAlltag insgesamt offener für andere Menschen zu sein und besondersfremde Frauen gezielter anzusprechen. «Das ist nicht so einfach undkostet einige Überwindung, aber es klappt langsam immer besser.»Deswegen hofft er, dass er schon bald kein blutiger Anfänger mehrist. Die erste Kontaktanzeige hat er jedenfalls schon geschrieben.
(Arne Hoffmann: «Unberührt: Menschen ohne Beziehungserfahrung. Wegezu erfüllter Liebe und Sexualität», Kreuz Verlag, 16,95 Euro)